Neuburg
„Ein bisschen zu wenig Wir“

SPD-Kandidat Werner Widuckel spricht über soziale Notwendigkeiten, E-Mobilität und Satire

12.09.2017 | Stand 02.12.2020, 17:30 Uhr
Kandidat vor Flusslandschaft: Werner Widuckel geht für die SPD ins Rennen um ein Bundestagsmandat. Der Wahl-Karlskroner ist im Gemeinderat und im Kreistag aktiv, lehrt an der Uni Erlangen-Nürnberg Personalmanagement und findet, die Politik müsse sich um gute Arbeitsbedingungen kümmern. −Foto: Frank

Neuburg (DK) „Politik ist sehr wichtig, aber auch nicht alles im Leben.“ Vielleicht ist es diese Einstellung, die Werner Widuckel zu einem nüchternen und analytischen Geist in einer Szene macht, in der es von Haudraufs und Selbstdarstellern nur so wimmelt. Der Professor aus Karlskron, der einen Lehrstuhl für Personalmanagement an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg innehat, muss sich nichts beweisen.

Als er im Café Wortschatz in Neuburg über das bedingungslose Grundeinkommen spricht, steht ein gelehrter Sozialwissenschaftler vor einem überwiegend jungen Publikum, stellt Denkmodelle vor, analysiert sie. Er fordert sein Publikum, weicht keiner Frage aus. Da gibt es keine Plattitüden und keine bierseligen, trivialen Lösungen. Abwertende Kritik an politisch Andersgläubigen ist seine Sache nicht. Der Linken vorzuhalten, sie habe ihr Modell wohl noch nicht richtig durchgerechnet, gilt schon als Attacke auf der Widuckel-Skala. Er ist kein Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens, würde aber die Hartz-IV-Sätze deutlich anheben und die Politik keinesfalls aus der Pflicht entlassen, sich um die Gestaltung von Arbeitsbedingungen zu kümmern. Und zur Arbeit gehört für den 59-jährigen Wahl-Karlskroner, der seit 2005 mit seiner Frau Anke in Bayern lebt, Vater zweier Töchter und Opa von drei Enkeln ist, auch das Großziehen von Kindern. „Das ist kein Privatvergnügen, sondern eine gesellschaftlich notwendige Arbeit.“

 

Sozialpolitik ist Werner Widuckel auf den Leib geschneidert. Das mag in seiner Vita begründet sein. Am 23. Oktober 1958 in Salzgitter geboren, wuchs Widuckel in Wolfsburg auf. Die Mutter war Hausfrau und hat in Teilzeit gearbeitet, der Vater, Polsterer und Dekorateur, war bei VW tätig. Und im Betriebsrat. Nach dem Abitur hat Widuckel ein Jahr bei VW in der Produktion gearbeitet und 18 Monate als Zivildienstleister im Stadtkrankenhaus. Es folgte das Studium der Sozialwissenschaften in Göttingen. Von 1985 bis 2005 war er koordinierender und leitender Referent im Gesamtbetriebsrat bei VW und von 2005 bis 2010 Personalvorstand und Arbeitsdirektor bei Audi in Ingolstadt. Seit 2010 lehrt er als Professor an der Uni Erlangen-Nürnberg Personalmanagement.

Mag auch Politik nicht alles im Leben sein, Spaß macht sie ihm schon. Bereits als 16-Jähriger nahm er das Parteibuch der SPD in Empfang, in seiner Wahlheimat Karlskron sitzt Widuckel im Gemeinderat, im Kreistag Neuburg-Schrobenhausen ist er stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Mitglied im Landesvorstand der SPD. Und jetzt nimmt der 59-Jährige Kurs auf Berlin. Was sagt die Gattin dazu? „Meine Frau ist Sozialdemokratin“, erklärt er kurz und knapp. Damit ist alles gesagt. Ob es klappt mit dem Bundestagsmandat? Landrat Roland Weigert (FW) will Widuckel seine Stimme geben. Der sei ein hoch geschätztes Mitglied des Kreistages, sagte Weigert im Gespräch mit unserer Zeitung. Auf persönlicher und sachlicher Ebene können der überzeugte Sozialdemokrat und der Freie-Wähler-Landrat gut zusammenarbeiten. So ist Widuckel, der sich selbst als „naturalisierten Mösler“ bezeichnet, Befürworter eines dritten Nationalparks, der in den Donau-Auen entstehen könnte. „Wir würden durch einen Nationalpark stark gewinnen.“ Auwälder sind Naturräume, die in Deutschland äußerst selten geworden seien. „Es wäre auch ein hervorragendes Naherholungsgebiet und würde die Region von einer weiteren Seite zeigen, nicht nur von der industriellen.“

Letztere hat er in seinem früheren Job ausreichend kennengelernt. Klar, dass Widuckel auch der Dieselskandal beschäftigt. „Ich war sehr geschockt und enttäuscht von dem, was da ans Tageslicht gekommen ist. Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. Das muss zurückgewonnen werden. Die überwiegende Zahl der Menschen in den Betrieben hat nichts dafürgekonnt.“ Der 59-Jährige denkt an die Arbeitsplätze. Für einen sauberen Diesel werde man noch eine zeitlang brauchen, und für die E-Mobilität fehle es noch an sauberem Strom, wobei für ihn feststeht: „Wir müssen insgesamt weg von fossilen Energien.“

Sein persönliches Scherflein dazu hat er bereits beigetragen. Ehefrau Anke fährt ein Elektroauto, das über die eigene Photovoltaikanlage zu Hause geladen wird. Sein Haus hat das Ehepaar energetisch sanieren lassen. Die Aufträge dazu gingen an Firmen aus der Region. Widuckel ist für eine staatliche Förderung, um der E-Mobilität Schwung zu verleihen, wobei für ihn aber klar ist, dass wir uns auf Dauer „keine Mobilität werden leisten können, bei der jeder Einzelne fährt und einen Parkplatz sucht“.

Mag der 59-Jährige auch ernst und manchmal ein wenig professoral wirken, so hat er doch einen wohltemperierten Humor. Den Vorhalt, er wirke an und ab etwas hölzern, lässt er mit einem Lächeln und einem „da stimme ich Ihnen zu“, einfach verpuffen. Der Mann, der viel von Disziplin hält und sich als Mannschaftsspieler sieht, versichert, er habe ein „starkes Faible für Satire“. Etwa im Stil von Monty Python. Außerdem sei er bekennender Borussia-Dortmund-Fan und Vespa-Fahrer. Nicht zuletzt – und da spricht er von Leidenschaft – schlägt sein Herz auch für den Jazz. Er besitzt nicht nur etliche CDs dieser Musikrichtung, sondern liest zur Zeit auch die Biographie des Jazz-Saxophonisten John Coltrane.

Andere Seiten und andere Sichtweisen kennen lernen, gehört wohl zu den Voraussetzungen für analytisches Betrachten. Beim Thema Integration, findet Widuckel, sei es wichtig, etwas über die Menschen zu lernen, die nach Deutschland kommen. „Ich sehe Leute, die arbeiten wollen, aber daran gehindert werden. Ich sehe aber auch Leute, die mit überzogenen Forderungen zu uns kommen.“ Dass es mit der Integration lange dauern wird, davon ist der Kandidat überzeugt. In der Asylpolitik, so seine Kritik, sei der Staat nicht in der Lage gewesen, schnell und koordiniert zu handeln und zu Ergebnissen zu kommen. „Notfalls muss man improvisieren. Das hat mir gefehlt.“ Auf Schulen und Kindergärten würden jetzt noch mehr Anforderungen zukommen, „und wir müssen viel mehr für den Wohnungsbau tun. Der Markt regelt das nicht. Die Baulandpreise steigen. Die Haushaltsgrößen sind kleiner, das heißt, wir brauchen mehr Wohnungen.“

Eckpunkte seines Programms sind die Soziale Gerechtigkeit, Arbeit bei guten Bedingungen und gerechter Entlohnung, Rente, die ein würdiges Leben ermöglicht, beitragsfreie Bildung und Kinder, die frei von Armut aufwachsen. Und wie beurteilt Werner Widuckel die gesellschaftliche Entwicklung? „Wir haben ein bisschen zu viel Ich und ein bisschen zu wenig Wir.“

FRAGEN AM RANDE

Herr Widuckel, was lesen Sie gerade?

Fachliteratur natürlich, das gehört zu den Aufgaben eines Professors. Aber ich lese auch immer wieder gerne Romane. Als Letztes habe ich „Die Geschichte der Bienen“ von Maja Lunde gelesen. Das war sehr interessant. Jetzt lese ich gerade die Buddenbrooks von Thomas Mann. Dabei geht es um jemanden, der an seinen Ansprüchen scheitert. Ich finde, das hat auch etwas mit Politik zu tun.

 

Welchen Politiker, der nicht ihrer Partei angehört, bewundern Sie?

Barack Obama. Er hat in einer wahnsinnig schwierigen Konstellation mit der Krankenversicherung ein wichtiges Signal gesetzt. Er hat das durchgestanden. Das hat mir unglaublich imponiert. Und dann ist da noch Norbert Lammert, den ich hochgradig schätze. Er denkt auf einer Metaebene über Demokratie nach. Er hat mir als Bundestagspräsident sehr gut gefallen.

 

Bei welchem deutschen Politiker würden sie sofort umschalten, wenn Sie ihn im Fernsehen sähen?

Bei Andreas Scheuer. Und dann würde ich auf den Fußballplatz gehen und mit Senegalesen Fußball spielen. | kpf