Ein besonderer Rekord

10.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:26 Uhr

Völlig alleine steht er da, am Startblock fünf im International Aquatic Centre. Vorlauf, 100 Meter Freistil. Vor ihm ein 50-Meter-Schwimmbecken, hinter ihm 17 000 Zuschauer, TV-Kameras, Journalisten. Er richtet sich noch einmal seine Schwimmbrille, dann springt er ab, taucht ein in das Becken von Sydney.

Éric Moussambani Malonga hat bei den Olympischen Spielen 2000 Geschichte geschrieben. Keine Geschichte über Erfolg und Medaillen, sondern eine, die berührt. Der damals 22-Jährige aus Äquatorialguinea hatte ein Startrecht in Sydney erhalten, über eine Wildcard des Internationalen Olympischen Komitees, mit der Sportler aus dem kleinen afrikanischen Land eine Olympia-Chance erhielten.

Als er in Australien ankommt, nach drei Tagen Reise von seiner Heimatstadt Malabo über die gabunische Hauptstadt Libreville, über Paris und Hongkong nach Sydney, sieht Moussambani zum ersten Mal in seinem Leben ein 50-Meter-Becken. "Ich sagte meinen Leuten, das wird schwierig, der Swimmingpool war so riesig für mich", erinnert sich Moussambani. Der 22-Jährige hatte erst nach dem Abschluss an der Highschool mit Schwimmen begonnen. Er trainierte in einem Hotelpool, der gerade einmal 13 Meter maß. Nebenbei schwamm er im Fluss; die Fischer lernten ihm, sich richtig zu bewegen, nicht unterzugehen.

Doch Moussambani lässt sich in Sydney nicht einschüchtern. Er sieht sich die Technik der US-Amerikaner an, holt sich Tipps des südafrikanischen Nationaltrainers, fragt andere Athleten. Die einen ignorieren ihn, andere helfen ihm. Doch als Moussambani am 19. September 2000 auf seinen Auftritt wartet, beschleicht ihn Panik. "In der Umkleidekabine war ich so nervös, ich konnte nicht mal mehr reden. Ich hatte Angst etwas zu tun, worüber die Leute am Ende lachen werden", erzählt er. Kurz darauf steht er am Becken. Der Startschuss ertönt, seine beiden Kontrahenten aus Nigeria und Tadschikistan springen ins Wasser, Moussambani bleibt stehen. Dann ertönt ein zweites Signal. Die anderen beiden Schwimmer sind wegen Fehlstarts disqualifiziert.

Jetzt steht Moussambani alleine am Startblock. "Dann war ich noch nervöser, weil nun wirklich jeder mich beobachtete." Er springt, er schwimmt die ersten 50 Meter, er nutzt all seine Energie, schlägt sich wacker. 40,97 Sekunden nach der Halbzeit, jetzt noch 50 Meter. "Ich wollte nur ankommen, weil jeder mich beobachtete. Ich wusste, meine Familie, mein Land, meine Mutter, meine Schwestern, meine Freunde sahen mich gerade. Deshalb war ich so hungrig auf den Wettkampf", sagt Moussambani.

Doch die zweite Bahn wird qualvoll. Er wird müde, er kann seine Beine nicht mehr fühlen. Dann aber schreit das Publikum. 17 000 Zuschauer feuern Moussambani an, er hört die Leute, das gibt ihm Energie. Der 22-Jährige kämpft sich durch, schafft es ins Ziel. 1:52,72 Minuten, die schlechteste Zeit, die je ein Schwimmer bei Olympia in dieser Disziplin geschwommen ist. Er braucht doppelt so lange wie der spätere Olympiasieger Pieter van den Hoogenband.

Aber das ist egal. Moussambani ist nach dem Lauf so müde, dass er sofort schlafen geht. Nach vier Stunden wacht er auf und sieht sein Gesicht auf allen Kanälen. "Dann wusste ich, ich hatte etwas getan, was die Menschen lieben." Er hatte Geschichte geschrieben. Eine, wie sie nur Olympische Spiele schreiben können.