Ingolstadt
Ein außergewöhnlicher Abend

11.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

Spielten seelenvolle Musik: Peijun Xu und Paul Rivinus - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Über die Streichinstrumente herrscht ohne Zweifel die Violine, eine strahlende Primadonna, der eine riesige Schar von Solosonaten huldigt. Da wirkt ihre größere Schwester, die Bratsche, wie ein Mauerblümchen.

Wie interessant, entdeckungsreich und beglückend ein Abend mit Bratschensonaten sein kann, war nun im Festsaal Ingolstadt zu erleben, wo Peijun Xu und Paul Rivinius (Klavier) ein sehr abwechslungsreiches und anspruchsvolles Programm gaben. Keine Musik für die Massen, aber eine feine, tiefe und seelenvolle Kunst jenseits des Standardrepertoires. Zum Glück bietet der Konzertverein immer wieder etwas für Leute, die das Besondere lieben.

In großen Schritten geht es durch die Musikgeschichte: zunächst eine Gambensonate (BWV 1027) von Bach, eigentlich eine Triosonate mit der zweiten Stimme im Cembalo, die in der Bearbeitung für Bratsche und Klavier die stille klangliche Harmonie der Originalinstrumente nicht erreicht. Zumindest konnte der stets sehr einfühlsam und subtil sekundierende Rivinius den mächtigen Flügel in den langsamen Sätzen so weit herunterdimmen, dass der Bratsche im mittleren Register genügend Raum blieb.

Peijun Xu setzte dagegen einen überraschend vollen Ton, eine markante, leicht rauchige Stimme, die sie gleichwohl geschmeidig zu modulieren wusste. Wie filigran waren etwa die langen Liegetöne ausgesponnen! Meisterhaft artikulierend machte sie jedes Motiv, jede melodische Phrase zu einer echten Mitteilung, und beide Partner dialogisierten, als ob sie sich wirklich etwas zu erzählen hätten. Das galt auch für Robert Schumanns „Märchenbilder“. Hier wurde das bei Bach problematische Klangverhältnis zum Vorteil, die lyrische Zwiesprache entfaltete sich zwischen zwei sehr unterschiedlichen Charakteren, die wie durch eine verhangene aber farbenreiche Herbstlandschaft wandeln, im stürmischen dritten Satz von dunklen Wolkenfetzen durchweht. Derartige Assoziationen setzte die ungemein plastische, klanglich und rhythmisch perfekt fokussierte Interpretation frei. Und wie schön sich am Schluss das schlichte, traurige Lied in die stille, schwarze Nacht träumte . . .

Weit weniger poetisch dann eine Sonate (op. 25,4) von Paul Hindemith, dem musikalischen Bürgerschreck. Das Klavier rotzt scharfe, holprige Motive hervor, die Musik kommt motorisch in Gang, von harten Akzenten getrieben. Und doch entwickelt sich das Werk sehr spannend weiter, von der Bratsche als gleichsam menschliche Stimme gemildert. Erneut agieren Peijun Xu und Rivinius sehr bildkräftig, mit viel Tiefenschärfe. Man muss an expressionistische Stummfilme mit ihren schrillen Gesten und sinisteren Stimmungen denken.

Nach der Pause kam dann nur noch ein einziges Werk, aber damit dafür eins mit Gewicht: Die Sonate in B-Dur op. 107 von Max Reger, entstanden 1908/09. Eigentlich wollte Reger, oft als zu schwer und avanciert geschmäht, ein kurzes, leichtes und zugängliches Stück schreiben: „Wenn die Herren Recensenten wieder behaupten, es wäre unverständlich – dann sind diese Herren eben Hornochsen.“ Dennoch wirkt die gar nicht so kurze Sonate wie komplexe Lyrik, in der viele Seelenzustände kunstvoll ineinander verwoben sind. Wiederholt leuchtet ein schlichter Choral auf, in reinen Akkorden, driftet dann aber immer wieder ab ins Zwielicht von Regers verschlungener Harmonik.

Diese Musik ist auf der Suche, auch deshalb scheint sie länger zu wirken als intendiert. Langweilig wird das nicht, denn Rivinius baut aus Regers eigensinnigen Harmonien große, lichtdurchflutete Klangräume, in der die dunkle Stimme der Bratsche prachtvoll zur Geltung kommt. Hier singt sich die in allerletzter Blüte stehende Seele der deutschen Romantik aus, und es ist erstaunlich, mit welcher Ausdruckskraft, welch innigem Verständnis die junge Chinesin sich darin einfühlt. Peijun Xu, Schülerin des gebürtigen Ingolstädters Roland Glassl, ist nicht nur eine technisch perfekte Virtuosin wie viele Asiaten, sondern hat tatsächlich etwas zu sagen auf ihrem Instrument.