Ingolstadt
"Ein Akt der Unmenschlichkeit"

Muss Urologe zurückzahlen, weil er Krebspatienten im Endstadium zu viel Schmerzmittel verordnet hat?

15.11.2017 | Stand 02.12.2020, 17:12 Uhr
Im Klinsch mit der Kasse: Die AOK Bayern lässt die Verordnungen des Urologen Peter Schmauß für einen mittlerweile verstorbenen Krebspatienten prüfen. Durch zu viel verordnete Schmerzmittel sei der Kasse ein Schaden von 7041,19 Euro entstanden. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Der Urologe Peter Schmauß spricht von "einem mir bisher nie bekannten Akt der Unmenschlichkeit".

Seine harten Worte richten sich gegen die AOK Bayern. Es geht um die Schmerzmedikation für einen mittlerweile verstorbenen Krebspatienten. Der Arzt soll den "verursachten Schaden", gut 7000 Euro, zurückzahlen. Der Fall liegt jetzt bei der Prüfungsstelle für Ärzte in Bayern.

 

 

"Der Mann kam vor Schmerzen schreiend in die Praxis."

Peter Schmauß, Urologe

 

Um es gleich vorwegzunehmen: Entschieden ist in dieser Angelegenheit noch nichts. Die inhaltliche Prüfung laufe noch, teilte Arthur Scheufler, der Leiter der Prüfungsstelle für Ärzte in Bayern, auf Anfrage mit. Sie solle "zeitnah erfolgen". Anfang August hatte die Kasse die Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise des Ingolstädter Urologen beantragt, weil ihrer Anschauung nach die maximale Tagesdosis von vier Tabletten für ein opiathaltiges Medikament deutlich überschritten worden sei. Schmauß hatte dem an Prostatakrebs mit Knochenmetastasierung leidenden Ingolstädter, der von ihm palliativ behandelt wurde, erlaubt, seine tägliche Tablettendosis auf bis zu sieben zu erhöhen und ihm die entsprechende Dosis des Präparates verordnet. Jetzt will die Kasse das Geld für das zu viel verordnete Medikament zurück - für drei Quartale im Jahr 2016 sind das 7041,19 Euro. Schmauß hat seine Sicht der Dinge Ende August der Prüfungsstelle in einer ausführlichen Stellungnahme mitgeteilt. Bislang hat er keine Antwort bekommen.

Der Patient, um den es geht, war, als er im Februar starb, gerade 53 geworden. Er hatte Prostatakrebs, war austherapiert, wie man das so nennt. Seine Knochen waren komplett mit Metastasen durchsetzt. "Der Mann wurde ab Ende 2015 oft wöchentlich schreiend vor Schmerzen in die Praxis gebracht", schreibt Schmauß in seiner Stellungnahme an die Prüfungsstelle der Ärzte. Wortwörtlich soll er gesagt haben: "Kein Tier lässt man so leiden wie mich." Aufgrund des fortschreitenden Verlaufs und der Palliativsituation bei sonst unstillbaren, unbehandelbaren Schmerzen habe man sich in Absprache mit dem Patienten und seinen Angehörigen entschieden, die bisherige, wirkungslose Schmerztherapie abzusetzen. Doch auch unter der neuen Therapie mit täglich vier Tabletten des Arzneimittels Effentora war der Ingolstädter nur bedingt schmerzfrei. Die Schmerzattacken kamen in immer kürzeren Abständen zurück. Also hatte man dem Patienten erlaubt, die Dosis zu erhöhen. Der Patient, heißt es in der Stellungnahme Schmauß', "tolerierte die Mehreinnahme von Effentora sehr gut, ohne sonstige Nebenwirkungen", sodass es gelungen sei, ihm "bis zu seinem Tod eine wenigstens erträgliche Lebensqualität zu ermöglichen". Die erhöhte Verabreichung des Medikaments war aus Sicht des Urologen "aus medizinischer Sicht unumgänglich, aufgrund der Erkrankung dringend erforderlich und gerechtfertigt".

Ein Abgleich mit der Fachinformation des Arzneimittelherstellers habe ergeben, dass Schmauß "bei seinem Patienten eine starke Überdosierung des Arzneimittels Effentora verordnet hatte", teilte die AOK Bayern auf Anfrage mit, nachdem sie von dem Arzt und der Tochter des Verstorbenen von der Schweigepflicht entbunden worden war. In solchen Fällen könnten Krankenkassen laut Gesetz die medizinische Notwendigkeit prüfen lassen - aus der Verordnung alleine sei diese nicht ersichtlich. Für die Kasse ist der Vorgang nichts Außergewöhnliches. "Grundlage sind in allen Bundesländern demokratisch legitimierte Gesetze, die für alle Vertragsärzte, Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenkassen gleichermaßen gelten", betont Michael Leonhart, Pressesprecher der AOK Bayern in München. Der verordnende Arzt habe die Möglichkeit, die hohe Dosierung im konkreten Einzelfall zu begründen. "War die Überdosierung aus Sicht der prüfenden Ärzte notwendig, ist die Angelegenheit erledigt", so Leonhart. "Kein Arzt muss bei nachgewiesener medizinischer Notwendigkeit für verordnete Arzneimittel aufkommen."

Genau dies jedoch fürchtet Peter Schmauß. In der Gemeinschaftspraxis, in der er tätig ist, betreut er etwa 100 Krebspatienten im Palliativstadium. "Wenn das Schule macht, wie soll ich die dann versorgen?" In über 20-jähriger Praxistätigkeit habe er ein solches Vorgehen wie jetzt noch nie erlebt, sagt der Facharzt für Urologie, Andrologie und medizinische Tumortherapie. Schmauß sieht darin nicht zuletzt "eine Ungerechtigkeit im System". 45 Euro bekommt er im Quartal für einen gesetzlich versicherten Patienten, egal wie oft dieser die Praxis aufsucht. Müsste er die rund 7000 Euro tatsächlich nachzahlen, müsste er - allein auf dieser Basis gerechnet - 155,5 Quartale arbeiten, um den Betrag wieder reinzuholen. Das wären fast 39 Jahre.
 

Prüfstelle Ärzte

Die Prüfungsstelle Ärzte Bayern ist eine gemeinsame Einrichtung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) und der gesetzlichen Krankenkassen. Die Prüfung der eingebrachten Fälle erfolgt nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches V. Die medizinische Beurteilung nehmen Mediziner verschiedener Fachrichtungen vor, die auch als niedergelassene Vertragsärzte tätig sind. Die Krankenkassen sind dabei nicht vertreten.

Das Verfahren ist schriftlich. Rechtlich hat die gemeinsame Prüfungsstelle nach der Antragstellung bis zu sechs Monate Zeit für die Prüfung. Gegen den Prüfbescheid kann jeder Verfahrensbeteiligte Widerspruch beim Beschwerdeausschuss Ärzte Bayern erheben. Vor dem Beschwerdeausschuss, der in nicht-öffentlichen Sitzungen tagt, kann der betroffene Vertragsarzt dann eine persönliche Anhörung beantragen. | DK