Ingolstadt
Durchbruch oder Beruhigungspille?

01.08.2017 | Stand 02.12.2020, 17:42 Uhr

Vorteil Diesel: Der Sprit ist günstiger, der Verbrauch niedriger - Gründe, warum in Deutschland jedes dritte Auto ein Selbstzünder ist. Die Zahlen für die Region erläutert die Grafik links. - Foto: Belzer

Ingolstadt (DK) In Berlin treffen sich heute Autobauer und Politiker zum großen Diesel-Gipfel. Nachrüstungen, Fahrverbote, Steueranreize - die Palette an möglichen Maßnahmen ist groß. Wir haben bei Diesel-Fahrern nachgefragt, was sie von dem Gerangel halten.

Politik und Automobilbranche - das funktionierte für eine sehr lange Zeit wie eine harmonische und eingespielte Ehe. Die Politik sorgte für die passenden Gesetze, die Automobilbranche für einen Großteil der deutschen Arbeitsplätze, kontinuierlich steigende Absatzzahlen und einen enormen Imagegewinn für dieses Land. "Vorsprung durch Technik" ist da nur ein Slogan unter vielen. Und nun? Treffen sich die Partner zum Diesel-Gipfel in Berlin. Klingt ein bisschen wie ein Termin bei der Eheberatung.

Aus der Diesel-Krise sei längst eine Staatskrise geworden, schreibt die Chefin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Claudia Kemfert, in einem Beitrag für das Magazin "Capital". Es seien große Teile der deutschen Wirtschaft bedroht. Sie fordert, dass Diesel-Fahrzeuge in den kommenden 20 Jahren von Deutschlands Straßen verschwinden. In Frankreich und Großbritannien wurden ähnliche Gesetze bereits beschlossen. Währenddessen hat ein Stuttgarter Gericht der Deutschen Umwelthilfe recht gegeben - die Luftverschmutzung muss eingedämmt werden, Fahrverbote für Diesel inklusive.

Beim Gipfel stehen sich heute nun konträre Positionen gegenüber, die Ehe hat Risse bekommen. Die Autobauer plädieren für Software-Updates. Verbraucherschützer halten das für nicht ausreichend - sie sind allerdings zum Krisengipfel nicht eingeladen. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) fordert Nachrüstungen am Auto, und zwar auf Kosten der Hersteller. Und die Automobil-Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen? Wollen die Krise mit Steuergeldern lösen. Eine Klimaprämie für den Umstieg auf Euro-6- oder Elektroautos brachte Stephan Weil (SPD) ins Spiel, Horst Seehofer (CSU) will eine geringere Kfz-Steuer für emissionsarme Diesel-Fahrzeuge.

Aber was sagen eigentlich die wirklich Betroffenen zu der ganzen Debatte - die Diesel-Fahrer? Was erwarten sie vom Krisengipfel? "Meine Erwartungen sind gering", sagt beispielsweise Georg Rudolf aus Ingolstadt. Der 56-Jährige, der beruflich viel in Bayern unterwegs ist, fährt schon seit 20 Jahren Diesel. Die Gründe liegen auf der Hand: geringerer Verbrauch, niedrigere Spritkosten. "In erster Linie wird es auf allen Seiten darum gehen, Beruhigungspillen zu verteilen, immerhin stehen wir kurz vor einer Wahl", ist er sich sicher. Wenn es nach ihm ginge, sähe das Ergebnis so aus: "Nachrüstung auf das technisch beste Niveau, und zwar auf Kosten der Automobilbranche."

Von Prämien und Steueranreizen hält er dagegen nichts. "Davon profitieren nur die Leute, die auch das Geld für ein neues Auto haben. Der Kleinunternehmer, der Handwerker oder Taxifahrer, der sich das nicht leisten kann, hat dann ein massives Problem. Und am Ende ist wieder die Automobilindustrie, die uns die ganze Misere eingebrockt hat, der Nutznießer." Fahrverbote hält er durchaus für ein realistisches Szenario - aber nicht, weil es die Politik fordert. "Es gibt europäische Richtlinien, die seit Jahren überschritten werden. Die Politik hat nicht wirklich etwas unternommen, um das in den Griff zu bekommen. Es wird der Tag kommen, an dem das Gerichte anordnen."

In den Augen von Georg Rudolf sind auf allen Seiten Fehler gemacht worden: "Die Politik hat viele Jahre weggeschaut, die Prüfbedingungen waren immer viel zu wachsweich", kritisiert der Diesel-Fahrer. "Und die Automobilindustrie sagt uns seit Jahren, wie toll sie ist. Jetzt soll sie sich mal Gedanken machen, wie sie die Autos so schnell wie möglich so sauber wie möglich bekommt." Ein Software-Update reiche seiner Meinung nach nicht aus, es müsse die Hardware nachgerüstet werden. "Es wird aber überhaupt nicht darüber gesprochen, was das eigentlich kosten würde. Und auch wenn ich weiß, dass das technisch nicht ganz ohne wäre: Rein theoretisch weiß man natürlich schon, wie das ginge." Ein anderer Punkt ist dem Ingolstädter aber auch wichtig: "Über was bei der ganzen Debatte überhaupt nicht gesprochen wird, ist der geringe CO2-Ausstoß des Diesels. Der und die Ressourcenschonung sind Argumente, die für den Diesel sprechen. Es wäre alles gut, wenn der Diesel auch die Sauberkeit hätte, die den Käufern versprochen wurde."

Dem Diesel skeptisch gegenüber eingestellt ist derweil Mike Bergmann, 28 Jahre alt und ebenfalls aus Ingolstadt. "Bis keine Klarheit geschaffen ist, wie es mit dem Diesel weitergeht, gibt es für mich keinen Diesel." Erst kürzlich ist er vom Selbstzünder auf einen Otto-Motor umgestiegen - und ist heilfroh darüber. Fahrverbote hält er aus Umweltsicht für sinnvoll, aber auch er befürchtet, dass solche Maßnahmen für den Mittelstand zu großen Problemen führen könnten. "Die Fahrzeuge umrüsten, das kostet Geld. Wenn die Regierung das verlangt, dann sollte sie das auch finanziell unterstützen", meint der 28-Jährige. Anders bei den Fahrzeugen, die einen sauberen Diesel versprechen - aber trotzdem überhöhte Stickstoffdioxidwerte aufweisen und nur durch eine Betrugssoftware auf dem Prüfstand sauber zu sein schienen. "Da sollten die Autobauer auf ihre Kosten nachrüsten. Man ist schließlich einen Kaufvertrag eingegangen, und wenn die eine Seite nicht das liefert, was versprochen wurde, dann muss sie das jetzt korrigieren."

Seinen geleasten Audi-Diesel bald in einen Benziner umtauschen wird ein 72-jähriger Rentner aus Ingolstadt, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Mit dem Selbstzünder ist ihm bei all der Diskussion der vergangenen Monate nicht mehr ganz so wohl. "Aber beim Diesel-Gipfel wird auch nichts rauskommen", ist er sich sicher. "Da wird wieder im Sinne der Autoindustrie entschieden, die reden sich ja immer auf die Arbeitsplätze raus." Sein derzeitiges Diesel-Modell ist ziemlich neu und hat schon einen Adblue-Tank mit Harnstoff. So ganz versteht der Rentner aber nicht, was da in seinem Wagen vor sich geht. "Am Anfang hieß es, dass ich nach 8000 Kilometern nachtanken muss. Jetzt bin ich 11 500 Kilometer gefahren, ohne nachzutanken. Da kann doch irgendwas nicht stimmen." Ein Gefühl, das er vermutlich mit vielen anderen Diesel-Fahrern teilt.