Eichstätt
Dunkle Formen von Protest

Zum Wintervortrag an der Katholischen Uni von Benedikt Korf aus Zürich über "Geographie des Zorns"

01.01.2018 | Stand 02.12.2020, 17:00 Uhr

Eichstätt (buk) Einen bemerkenswerten Umweg zu seinem Thema schlug Benedikt Korf (Foto: Buckl) in seinem Wintervortrag an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt ein: Um das Aufkommen rechtspopulistischer Strömungen bei uns zu erklären, warf der Wissenschaftler, der als Professor für Politische Geographie an der Universität Zürich wirkt, einen Blick in den Osten, nach Indien und Sri Lanka.

Denn diese Region ist nicht nur sein Spezialgebiet in geographischer Entwicklungsforschung, sondern tauge auch für Rückschlüsse auf mögliche Entwicklungen hierzulande.

Korf, der unter anderem bereits in Aachen und Berlin wissenschaftlich tätig war, sicherte sich das Wohlwollen der rund 40 Vortragsbesucher nicht nur durch seine angenehm ruhige Sprechweise, sondern auch durch ein eingangs geäußertes Bekenntnis zu Eichstätt: "Ich kenne die Stadt und komme immer wieder gern hierher - denn meine hochbetagte Tante lebt hier im Kloster St. Walburg." Sympathisch wirkte auch, dass der Referent zu Beginn seines Vortrags offen zugab, dass dessen "Titel geklaut ist". Denn "Geographie des Zorns" sei der Titel eines Buches des indischen Ethnologen Arjun Appadurai, worin Aggression und Protest von Mehrheiten gegen kleine politische Minderheiten das Thema sind: "Es geht um dunkle Formen von Protest".

Korf wolle ergründen, was "Populisten und Teile des sogenannten Volkes" im Rahmen einer gemeinsamen Politisierung eint. Hilfreich sei hier ein Blick auf Indien, die größte Demokratie der Welt, die zwar "ohne Europa nicht denkbar" sei, uns "in manchem aber vielleicht auch voraus sein könnte". Dazu müsse zunächst aber eine "Phänomenologie von Protest, Affekten, feindlichen Stimmungen und Gefühlen" vorgenommen werden. Heute werden Wut, Zorn, Hass und Empörung als negativ und unbeherrscht angesehen. Doch sei mit Peter Sloterdijk daran zu erinnern, dass Zorn in der Antike als "Göttergeschenk" galt; erst seit der Aufklärung werde er als negativ und eindämmenswürdig betrachtet, heute als Privileg der Unterdrückten und der Verlierer. Aber schon das Alte Testament zeige, dass Zorn auch "gerecht" sein könne, und im mittelalterlichen Rittertum galt Zorn als Ausdrucksform von Edelmut.

Appadurai zeige auf, wie sich in Indien Aggression mit Angst verbinde; so komme es auch in einem demokratischen Gemeinwesen zu Gewaltausbrüchen. Hier hätten 1992 in Ayodhya radikale "hinduistische Wutbürger" die Babri Masjid-Moschee der muslimischen Minderheit zerstört; bei antimuslimischen Protesten habe es Tausende Tote gegeben. Als Grund erkannte man "narzisstische Kränkungen der Mehrheit". Es habe sich nicht um spontane Krawalle gehandelt, sondern "Zornmanager" hätten Affekte kanalisiert und gegen bestimmte Ziele gerichtet. Ähnlich seien 1983 in Sri Lanka anti-tamilische Proteste gelenkt gewesen.

Heute lasse sich in Indien die paradoxe Situation bemerken, dass mit Gewalt und illegalen Mitteln Rechte vom Staat und Zugänge zu Ressourcen eingefordert werden - von politischen Gruppen mit mafiösen Strukturen. Politik werde nicht mehr in Form von Austausch rationaler Argumente ausgetragen, "sondern als Kampf". Dabei beziehe man sich auf Carl Schmitt, der auch in Europa als Vordenker der Neuen Rechten gelte: Dieser sah im Unterschied zwischen Freund und Feind die spezifische politische Unterscheidung.

Damit schließe sich ein Kreis zwischen Ereignissen, wie sie in Indien und Sri Lanka stattfanden, und solchen, die sich hier abzeichnen. Auch hier komme es zur Ausgrenzung und Einschüchterung von Minderheiten, auch in Europa seien "postpolitische Tendenzen" zu beobachten, die aber erst ermöglicht wurden durch moralischen Ausschluss etwa rechtspopulistischer Positionen, was Affekte von Hochmut und Hilflosigkeit zugleich erzeugt habe. Der Referent warf die Frage auf, ob nicht auch "der moralische Hochmut linksliberaler Eliten" diese Affekte erst verstärkt hätten.