Ingolstadt
Düstere Töne im Gemäuer

Tannöd-Lesung in der Haderbastei eröffnet die Ingolstädter Literaturtage mit einem Paukenschlag

25.04.2013 | Stand 03.12.2020, 0:13 Uhr

Ingolstadt (DK) Johann Sterzer war dabei, als die Leichen entdeckt wurden. Krächzend, ja fast schon röchelnd schildert er den schrecklichen Fund auf dem Einödhof Tannöd. Sein Knecht Lois sei gestolpert und dann – er stoppt mitten im Satz, verharrt und starrt schockiert vor sich hin: „Da – seh’ ich – im Stroh – einen Fuß.“ Auf seinem Gesicht spiegelt sich das Grauen und ein quietschendes Geräusch, das in den Ohren schmerzt, wird immer lauter.

Die Tannöd-Lesung, mit der die 20. Ingolstädter Literaturtage am Mittwochabend eröffnet werden, ist nicht einfach nur eine Lesung. Nicht Autorin Andrea Maria Schenkel trägt die Sätze ihres Buches vor, sondern das Schauspieler-Ehepaar Johanna Bittenbinder und Heinz-Josef Braun. Beide verschmelzen nahezu mit den jeweiligen Dorfcharakteren, indem sie jedem eine einzigartige Stimme durch Tonfall, Sprechtempo, Wortwahl und Mimik verleihen.

Um die Geschichte klanglich zu illustrieren, werden sie vom Art Ensemble of Passau begleitet. Leo Gmelch, Peter Tuscher, Yogo Pausch und Christian Ludwig Mayer treiben das Stück in den Sprechpausen voran – mal mit volkstümlicher Blasmusik, mal theatralisch verjazzt. Und manchmal klingen die Stücke des Quartetts so, als wollten sie einen Hitchcock-Film vertonen. Dabei sticht vor allem Percussionist Pausch hervor: Mit seinen Instrumenten lässt er den Wind durch die Ritzen pfeifen oder die Kühe im Stadl herumlaufen. Sein Klänge evozieren Bilder in den Köpfen der Zuhörer. Etwa, wenn die alte Dannerbäuerin berichtet, wie sich ihr Gatte an der gemeinsamen Tochter vergeht: Dann erzeugt Pausch ein ekelhaft quietschendes Geräusch, das jedem klar macht, was gerade passiert – ganz ohne Worte. Ähnlich markant und einprägend ist ein sirrender Tusch, mit dem der Percussionist den Tod der Opfer Klang werden lässt. Sobald er anhebt, sacken die Schauspieler leblos zusammen.

Die Haderbastei ist für dieses Schauspiel die perfekte Kulisse. Man fühlt sich, als wäre man Teil der Geschichte und beginnt spätestens dann zu frösteln, wenn der Mörder die Bühne betritt. Diese Rolle liest und spielt Heinz-Josef Braun meisterhaft. Während die Tuba tief und bedrohlich durch den Raum hallt, setzt er im Zeitlupentempo seinen schwarzen Hut auf. Düster und mit eiskalten Augen blickt er in die Menge, als hielte er Ausschau nach seinem nächsten Opfer.

Während Braun seine Passagen vorträgt, runzelt Johanna Bittenbinder immer wieder die Stirn und kneift ihre Augen skeptisch zusammen, als würde sie das Zeugenprotokoll anzweifeln. Als sich jedoch der Mörder offenbart, seine Tat schildert und das Motiv klar werden lässt, spiegelt sich das Grauen in ihren Gesichtszügen. Erst blickt sie ungläubig und erschüttert, dann – als sie die Worte begreift – zeigt ihre gesamte Mimik unendliche Trauer. Ihre Augen werden feucht, Tränen laufen über ihre Wangen. Das Publikum in der Haderbastei ist gefangen von der Vorstellung. Betroffenheit macht sich breit, ganz so, als stammten Opfer und Mörder aus dem eigenen Bekanntenkreis. Ganz so, als wäre alles real.

Nein, die Tannöd-Lesung ist nicht einfach nur eine Lesung. Sie ist ein großes, mitreißendes Theater und ein gelungener Auftakt der Literaturtage.

Heute liest Timur Vermes um 19.30 Uhr in der VHS aus „Er ist wieder da“, morgen stellt Michael Lerchenberg um 19.30 Uhr in der VHS sein Ludwig-Thoma-Programm vor.