Ingolstadt
Drogen für Rio und Udo ohne Schuhe

Benjamin von Stuckrad-Barre las im Ingolstädter Kulturzentrum neun aus seinem Buch "Panikherz"

17.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:02 Uhr

Zigaretten, sein Buch und ein Glas Wasser - mehr braucht Benjamin von Stuckrad-Barre nicht für eine gelungene Lesung. - Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Da ist er nun also in der "Diaspora" angekommen. Benjamin von Stuck-rad-Barre meint das nicht despektierlich, keine Angst. Er gebe auch nicht viel darauf, dass ihm hinter der Bühne gesagt worden sei, Ingolstadt sei für jeden Künstler der Tiefpunkt der Tour. Nein, das könne er schon einordnen. "Ich war ja auch schon in Siegen. Und in Fulda. Ich bin vorbereitet."

Der Blick in die Halle neun dürfte für den 41-jährigen Popliteraten dennoch ein wenig ernüchternd sein: Das kleine Häufchen der vielleicht 50, 60 Besucher verteilt sich auf die locker arrangierten Stühle und Sofas im Bereich direkt vor der Bühne. Auf kleinen Tischchen stehen Getränke. Wohnzimmeratmosphäre. Und Stuck-rad-Barre - weiße Jeans, Kapuzenpulli, in der Hand eine Stofftasche, aus der er lediglich sein Buch herausholt, weswegen er hier ist, und eine Packung Zigaretten, die er im Laufe des Abends weitgehend leeren wird - Stuckrad-Barre also ist zum Plaudern aufgelegt. Erzählt von seinem vierjährigen Sohn und von der einen oder anderen Station seiner Lesereise. Könnte Material für sein nächstes Buch geben. Was in dem dann wohl über Ingolstadt stehen würde?

Zurück zum Thema. "Panikherz": So heißt sein aktuelles Buch, das er gerade, wie man "im business" so schön sagt, "promotet". Darin geht es um Stuckrad-Barres Werdegang vom musikinteressierten, aber offenbar noch etwas naiven Abiturienten, der die Punkrockband The Bates zum Abi-streich nach Göttingen holt, hin zum Promi auf Drogenentzug und weiter zum Moderator und Schriftsteller, der er heute ist. Und immer wieder geht es um Udo. Ja, genau, den Udo. Die Kapitel mit Lindenberg liest er auch am liebsten vor, wohl schon deshalb, weil er dessen Sprechweise nahezu perfekt imitieren kann. Wer die Augen schließt, meint, der Panikrocker mit Hut stehe persönlich auf der Bühne. Nebenbei: Wer die Ohren schließt, wähnt eher Neil Tennant auf der Bühne zu sehen, den Sänger der von Stuckrad-Barre ebenfalls verehrten Pet Shop Boys. Das liegt sicherlich in erster Linie am Kurzhaarschnitt, der bei beiden die Charakterköpfe betont.

Aber die Ohren zu schließen, das wäre eine schlechte Idee. Denn man hört ihm gerne zu, wenn Benjamin von Stuckrad-Barre mit seiner angenehmen, leicht sonoren Stimme liest (er sei jetzt drei Wochen unterwegs, das sei genau der Zeitpunkt, an dem seine Stimme für zwei Tage sexy klinge, sagt er, nimmt einen Schluck aus dem Wasserglas und zündet sich die nächste Zigarette an). Zum Beispiel das Kapitel, in dem Udo Lindenberg am Flughafen von Los Angeles einen Zollbeamten so lange mit seinem Nuschelcharme bearbeitet, bis der ihn passieren lässt - strumpfsockig und mit brennender Zigarre in der Hand. Oder die Szene mit Rio Reiser, dem er, zu diesem Zeitpunkt noch völlig unerfahren mit Drogen, Haschisch beschaffen muss. Neues Kapitel, neue Zigarette. Auch seine eigene Flucht aus dem Drogensumpf, nur wenige Jahre später, lässt er nicht aus.

Benjamin von Stuckrad-Barre, der auch als ausgebuffter Musikjournalist ganz offensichtlich noch immer Fan geblieben ist, sind in den vergangenen Jahren einige Figuren über den Weg gelaufen, die man, wenn sie denn wirklich echt sind, nicht besser erfinden könnte. Nicht nur Udo oder Rio oder Peter Maffay, sondern zum Beispiel auch der namenlose Herr in L. A., der ihn streng ermahnt, wegen der immensen Gesundheitsgefahren die Finger von zuckerfreier Cola zu lassen, während er auf dem Couchtisch gerade ein paar Linien Koks klarmacht. Das ist dann übrigens schon die Zugabe, die Stuckrad-Barre liest, ohne zuvor von der Bühne gegangen zu sein. Denn dieses übliche Verabschieden-Applaus-Zurückkommen-Dings sei schon ein bisschen gefährlich, wenn so wenige Leute da seien, meint er - am Ende seien die dann ganz weg, wenn er zurückkomme. Benjamin von Stuckrad-Barre kennt sich aus in der großen, weiten Welt. Und in der Diaspora.