Drei Visionen für das Georgische Kammerorchester

13.11.2020 | Stand 23.09.2023, 15:27 Uhr
Ein Klangkörper der Spitzenklasse: Das Georgische Kammerorchester spielt mit dem Solisten Julian Rachlin. −Foto: Schaffer

Ein Gutachten der Unternehmensberatung Metrum entwickelt Zukunftsszenarien für das Georgische Kammerorchester. Das Orchester soll größer werden, ein neues Management bekommen und stärker die Ingolstädter Musikbedürfnisse berücksichtigen.

 

Ingolstadt - Lange Zeit hat sich beim Georgischen Kammerorchester Ingolstadt (GKO) kaum etwas bewegt. Die Gehälter stagnierten über zehn Jahre hinweg, an der Größe des Orchesters, am Konzept und an der Anzahl der Gastspiele änderte sich so gut wie nichts, ebenso an der inneren Struktur der Verwaltung. Einzig die Anzahl der Abonnenten befindet sich seit Jahren im Sinkflug. Die Zukunft des Orchesters sah bis zuletzt düster aus. Zumal alle seit Jahren bekannten Mängel des Orchesters - die Unterfinanzierung, das personell unzureichend aufgestellte Management, die zu kleinen Probenräumlichkeiten - nie wirklich angegangen wurden.

Nun gibt es einen Hoffnungsschimmer: Die Unternehmensberatung Metrum hat ein Gutachten erstellt, das weit mehr ist als nur eine kühle Bestandsaufnahme des Status quo. Vielmehr werden Reformen vorgeschlagen. In denen geht es vor allem darum, das Orchester finanziell und konzeptionell an den mitteleuropäischen Standard anzugleichen. Nur wenn die finanziellen und strukturellen Bedingungen für die Orchestermusiker ähnlich sind wie bei vergleichbaren Kammerorchestern, kann das GKO in Zukunft erfolgreich sein. Außerdem wird in der Studie sehr genau die spezifische Ingolstädter Situation analysiert. Auch daraus ergeben sich neue Konzepte.

Eine Besonderheit ist die Lage des Orchesters. In Ingolstadt, ziemlich genau im Zentrum von Bayern, hat das Orchester seit 1990 seinen Sitz - in einer Region, in der sonst im Umkreis von mehr als 70 Kilometer kein anderes professionelles Orchester ansässig ist. Würde das Orchester abgeschafft, wäre das Umfeld von Ingolstadt der wahrscheinlich größte weiße Fleck in der deutschen Orchesterlandschaft. Allein daraus ergibt sich fast schon die Notwendigkeit, das Orchester weiterzuführen, ja, auszubauen.

Für die Weiterentwicklung haben die Metrum-Gutachter drei Szenarien entwickelt. Allen gemeinsam sind zwei Anforderungen: Das Orchester sollte die Gehälter der Musiker an den Tarif angleichen; denn nur mit einer höheren Bezahlung ist das Orchester mit anderen deutschen Kammerorchestern vergleichbar und kann mit ihnen konkurrieren. Zumal das Lohnniveau (und damit auch die Lebenshaltungskosten) in Ingolstadt einen deutschen Spitzenwert einnehmen. Außerdem sollte das Orchester wie alle anderen Kammerorchester einen in Vollzeit beschäftigten Geschäftsführer erhalten.

Die drei Szenarien unterscheiden sich vor allem in einer Hinsicht: in der Anzahl der Orchestermitglieder von entweder 18 Musikern ("Optimierung Status Quo"), 23 Planstellen ("Komplettierung Streichorchester") und 30 Stellen ("Erweiterung Kammerphilharmonie").
Szenario "Optimierung Status Quo"Neben der Erweiterung der Orchesterstärke auf 18 Stellen - eine mehr als bisher - sieht der Plan vor, dass auch das Orchesterbüro verstärkt wird - von derzeit dreieinhalb auf fünfeinhalb Vollzeitkräfte. Mitgerechnet ist dabei auch schon der Vollzeit-Geschäftsführer, der neu eingestellt werden sollte. Dabei soll die Verwaltung der Abonnements von der Veranstaltungs-GmbH auf die Orchesterverwaltung übergehen. Mit dem größeren Verwaltungsapparat sollte es dann auch möglich sein, deutlich mehr Konzertaufträge zu akquirieren - insgesamt 70 Konzerte pro Jahr erwartet Metrum gegenüber dem derzeitigen Stand von ca. 42 Auftritten. Damit würde das Orchester fast genauso viele Konzerte geben wie vergleichbare Kammerorchester.Szenario "Komplettierung Streichorchester"In diesem Konzept werden sogar noch mehr Konzerte für das Orchester erwartet. Denn mit der Vergrößerung des Klangkörpers nimmt auch das Repertoire zu, insgesamt steigt die Attraktivität des Ensembles. Während das Orchester in der gegenwärtigen Besetzung nur ca. 1000 Werke des gängigen Repertoires aufführen kann, wächst die Anzahl im zweiten Szenario auf rund 1500 Kompositionen. Um das Orchester adäquat zu verwalten, würden nun sechs Vollzeitkräfte in der Geschäftsstelle beschäftigt werden. Damit würden jedoch die Räumlichkeiten im Ingolstädter Kamerariat (dem Sitz des Orchesters) bereits an Grenzen stoßen. Die Räume habe eine Größe von 205 Quadratmeter. Das ist für ein Orchester in dieser Besetzung eher zu wenig. Es wäre ohnehin sinnvoll, in absehbarer Zeit einen neuen Sitz für das Orchester zu finden, da bereits jetzt die Büros zu klein sind, vor allem aber der Probenraum eine schlechte Akustik besitzt und im Sommer schnell überhitzt, ohne dass die Fenster geöffnet werden können.
Szenario "Erweiterung Kammerphilharmonie"Nun wird die räumliche Situation definitiv prekär und es ist dringend geboten, für das 30-köpfige Orchester und die sieben Geschäftsstellen-Mitarbeiter ein neues Büro mit mindestens 325 Quadratmeter zu finden. Aber die große Besetzung eröffnet auch neue Möglichkeiten: Nun kann nach den Berechnungen von Metrum ein Repertoire von 7500 Werken dem Publikum präsentiert werden, vor allem eine große Anzahl echter Meisterwerke - Sinfonien von Beethoven und Mozart, von Schumann bis hin zu Brahms - könnten im Festsaal erklingen. Das Orchester würde in dieser Besetzung erstmals einem Bedarf entsprechen, der seit Langem bereits im Großraum Ingolstadt existiert: der nach einem Symphonieorchester. Nicht umsonst leisten sich praktisch alle großen und mittleren Städte in Deutschland (ab 100 000 Einwohner) einen solchen Klangkörper, es ist fast schon Ingolstadts Alleinstellungsmerkmal, dass es über kein Symphonieorchester verfügt. Gerechnet auf die Einwohnerzahl verfügt Ingolstadt deutlich weniger Orchestermusiker wie andere deutsche Städte. Durchschnittlich arbeiten in Städten mit einer Größe zwischen 100 000 und 199000 Einwohnern 48 Orchestermusiker pro 100000 Einwohner; in Ingolstadt sind es 12.
Von Kosten und NutzenNatürlich: Alle Szenarien belasten die Staats- und die Stadtkasse zusätzlich. Nutzen aber auch Kosten für das Ingolstädter Publikum sind desto größer, je mehr Musiker fest angestellt im Orchester wirken. Mehrkosten entstehen allein schon dadurch, dass die Musiker endlich Tarifbezahlung und einen Vollzeit-Geschäftsführer erhalten sollen. Das Szenario 1 wird Mehrkosten von 380000 Euro verursachen, das Szenario mit 23 Planstellen im Orchester erfordert einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf von 590000 Euro und die Kammerphilharmonie-Lösung hat einen Zusatzbedarf von 920000 Euro. Derzeit beträgt der Etat des Kammerorchesters 1,7 Millionen Euro, davon tragen Stadt und Land 805000 Euro, 320000 Euro kommen durch Sponsoren zusammen (Sparkasse und Audi), den Rest erwirtschaftet das Orchester selber. Das wirkt auf den ersten Blick wie ein hoher Zuschussbetrag, verglichen mit dem, was andere (meist erheblich ärmere) Städte für ihre Orchester ausgeben, ist der finanzielle Aufwand allerdings gering.

Ein paar Beispiele: Die Duisburger Philharmoniker werden mit 11,6 Millionen Euro gefördert, die Bergischen Symphoniker (in Solingen) erhalten 3,5 Millionen, die Jenaer Philharmonie 6,4 Millionen, das Orchester in Frankfurt (Oder) 8,4 Millionen Euro. Da steht der Ingolstädter Klangkörper mit einem städtischen Zuschuss von 510000 Euro wie ein Discount-Orchester da.
Konzepte im KreuzfeuerDennoch werden die anstehenden zusätzlichen Kosten bei einigen Stadträten und Parteien vermutlich auf Widerspruch stoßen. Noch mehr Disput wird es bei den anderen Plänen geben. Etwa die Frage, wie stark das Orchester vergrößert werden soll. Sollte tatsächlich mehr Geld für zusätzliche Stellen ausgegeben werden, oder wäre es nicht stattdessen besser, in einen noch stärkeren Anstieg des Gehaltes der Musiker zu investieren. So könnte das Orchester in die höchste Tarifgruppe A vorstoßen und gleich gut bezahlt werden wie die Mitglieder der großen und bekannten Sinfonieorchester des Landes. Umstritten ist vermutlich auch, wie bestimmend die georgische Identität des Orchesters in Zukunft noch sein wird. Lässt sich das Orchester auch in Zukunft noch als georgisches Ensemble weiterführen oder ist es unrealistisch, regelmäßig Musiker aus dem entfernten Heimatland des Exilorchesters nach Ingolstadt zu holen? Und es wird darum gehen, ob das Orchester eher als Ingolstädter Stadtorchester geführt werden soll oder als international agierendes Gastspiel-Ensemble. Ein weiteres Streitthema betrifft die Zusammenarbeit mit dem Stadttheater. In fast allen mittelgroßen Städten Deutschlands sind die Symphonieorchester zugleich auch Opernorchester. Denn nur so lassen sich die Orchester wirklich vertretbar auslasten. Ist das auch ein Modell für das GKO? Im Metrum-Gutachten wird von einer solchen sehr engen Zusammenarbeit eher abgeraten. Ein Bedarf an Opernaufführungen in Ingolstadt ist dennoch spürbar und kann bisher allenfalls durch Gastspiele befriedigt werden.

Die Vorschläge des Metrum-Gutachtens sind bedenkenswert. Sie könnten den bereits seit Jahrzehnten erwarteten und ersehnten Durchbruch für das Orchester bedeuten. Dass das Orchester von seiner institutionell erstarrten Lage befreit werden muss, dass etwas passieren muss, ist eigentlich fast unstrittig. Welches Szenario das passende für Ingolstadt ist, muss diskutiert werden. Es fällt aber auf, dass die Metrum-Gutachter sich vorsichtig für die Kammerphilharmonie-Lösung aussprechen: "Die Bewertung der Szenarien zeigt, dass das Szenario 3 die mit Abstand größten Potenziale und damit auch das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis bietet."

DK

 

Jesko Schulze-Reimpell