Flüchtlingsgipfel
"Drei Monate Verfahrensdauer sind kein frommer Wunsch"

Manfred Schmidt, der Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, zum Umgang mit dem Flüchtlings-Ansturm

23.10.2014 | Stand 02.12.2020, 22:05 Uhr

Flüchtlingsgipfel im Berliner Kanzleramt: Ziehen Bund, Länder und Kommunen jetzt in den entscheidenden Fragen an einem Strang

Manfred Schmidt: Es geht um eine große, nationale Kraftanstrengung. Es ist die Verantwortung des Bundes, dass über den Status von Flüchtlingen schnell entschieden wird. Die Länder müssen die Unterbringung organisieren. Die Herausforderungen sind inzwischen so groß, dass keine staatliche Ebene sie alleine bewältigen kann. Wenn Bund, Länder und Kommunen hier besser zusammenfinden, ist das ein wichtiges Signal.

 

Die Zahl der Flüchtlinge und Asylbewerber steigt rasant. Ist diese Entwicklung unterschätzt worden?

Schmidt: Von unterschätzen kann keine Rede sein. Wir stellen seit 2008 einen Anstieg der Flüchtlingsbewegungen fest. Die Dynamik, die sich in den letzten zwei Jahren entwickelt hat, war aber so nicht absehbar. Zwischen Januar und September 2013 sind beispielsweise rund 6000 syrische Flüchtlinge zu uns gekommen. In diesem Jahr waren es im gleichen Zeitraum fast 25 000. Eine Vervierfachung der Zahlen innerhalb von zwölf Monaten – das ist schon mehr als ungewöhnlich. Ähnlich stark sind die Zahlen der Zugänge aus dem Westbalkan und aus anderen Herkunftsländern gestiegen. Das hat vielfältige Ursachen und war in diesem Maße nicht prognostizierbar.

 

Rechnen Sie mit einem weiteren Anstieg der Zahlen?

Schmidt: Für 2014 erwarten wir unterm Strich 200 000 Anträge. Im kommenden Jahr rechnen wir bislang mit einem Anstieg auf 230 000.

 

Der Bund hat zugesagt, dass die Dauer der Verfahren auf drei Monate beschränkt werden soll. Wann werden Sie so weit sein?

Schmidt: Wir brauchen aktuell für die erste Entscheidung im Asylverfahren im Schnitt 6,9 Monate. In diesem Jahr haben wir für die Bearbeitung 300 neue Kolleginnen und Kollegen bekommen. 2015 werden wir das Personal weiter aufstocken. Drei Monate Verfahrensdauer sind kein frommer Wunsch. Nur bekommen wir das sicherlich nicht im nächsten halben Jahr hin. Wir haben im Moment schließlich noch 140 000 offene Verfahren, in denen noch eine Entscheidung getroffen werden muss.

 

Viele Kommunen fühlen sich überfordert. Es werden Zeltstädte und Container-Lager errichtet. Was ist jetzt das Gebot der Stunde?

Schmidt: Die Kommunen und die Länder tun alles, was möglich ist, um die Situation so schnell wie möglich in den Griff zu bekommen. Dazu sind erhebliche Anstrengungen notwendig. Die Lage wird sich im nächsten Jahr entspannen, wenn wir neue Erstaufnahmeeinrichtungen haben. Es müssen auch schnell Lösungen für die dauerhafte Unterbringung gefunden werden. Nur ein Beispiel: Syrienflüchtlinge haben bei uns derzeit eine Anerkennungsquote von mehr als 99 Prozent. Das bedeutet, dass sie für längere Zeit bei uns bleiben werden.

Bei den Bürgern gibt es Vorbehalte gegen Flüchtlingsheime. Wie lässt sich Akzeptanz erreichen?

Schmidt: Ich erlebe nicht nur Vorbehalte, sondern auch viel Engagement und den Willen zur Hilfe. Aber es stimmt auch: Wo ein Flüchtlingsheim eingerichtet wird, entwickeln sich oft Ängste. Man fragt sich, wer da überhaupt kommt. Unsere Erfahrung ist, dass die Akzeptanz umso größer wird, je schneller und je umfassender die Anwohner informiert werden. DK

 

Manfred Schmidt ist Präsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg. Die Fragen stellte

Rasmus Buchsteiner.