Ingolstadt
Drei Jahre Haft für Messerstecherei vor Dönerladen

Gericht sieht keine Chance auf Bewährung - Angeklagter muss zudem 1000 Euro Schmerzensgeld zahlen

15.11.2019 | Stand 23.09.2023, 9:29 Uhr

Ingolstadt (PK) Von einem Kaufvertrag kann man - unter bestimmten Voraussetzungen - zurücktreten.

Aber kann man auch von einer Straftat zurücktreten? Ja, man kann, solange diese noch nicht vollendet ist. Damit soll honoriert werden, wenn ein Täter freiwillig die Tat aufgibt, obwohl er noch weitermachen könnte.

Strafbefreiend vom Versuch des Totschlags zurückgetreten ist nach Ansicht der ersten Strafkammer des Landgerichts Ingolstadt ein 40-Jähriger. Der Mann ist am frühen Abend des 20. Januar dieses Jahres mit einem 30-jährigen Bekannten in einem Kebap- und Pizzahaus am Hofberg in Pfaffenhofen in Streit geraten. Dabei hat der 40-Jährige dem Jüngeren mit einem Tafelmesser aus dem Besteckkasten des Lokals das Ohrläppchen verletzt sowie einen Schnitt am Hals zugefügt hat. Zwar habe der Angeklagte bei seiner Messerattacke den Tod seines Kontrahenten billigend in Kauf genommen und somit vorsätzlich gehandelt, so der Vorsitzende Richter Konrad Kliegl bei der Urteilsbegründung am Freitag. Dann aber habe er erkannt, dass die Verletzungen seines Gegners nicht tödlich waren. Im Fall eines "unbeendeten Versuchs" genüge es, wenn der Täter freiwillig auf weitere Stiche verzichte, die ihm möglich wären, erläuterte Kliegl die Gesetzeslage und stellte fest: "Genau das hat er getan. "

Nicht mehr zurücktreten konnte der Angeklagte von der Körperverletzung, weil diese mit den Wunden am Ohr und am Hals vollendet war. Auch waren sich Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung einig, dass eine gefährliche Körperverletzung vorliegt. Bei einer Abweichung von nur wenigen Zentimetern nämlich hätte der Stich wohl tödlich geendet, wie das rechtsmedizinische Gutachten ergeben hatte. Zudem könne, so Richter Kliegl, kein Zweifel bestehen, dass man auch mit einem handelsüblichen Tafelmesser einen Menschen erheblich verletzen könne: Der Fall habe das deutlich gezeigt.

Zugunsten des Angeklagten wertete das Gericht, dass er selbst einen Nasenbeinbruch erlitten hat, nicht vorbestraft ist und beide "Streithähne" zu einer "verabredeten Schlägerei" vor die Tür gegangen sind. Eine "rechtfertigende Einwilligung" des Geschädigten komme nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bei Todesgefahr aber nicht in Betracht, stellte der Richter fest.

Mit einer Freiheitsstrafe von drei Jahren blieb das Gericht nur sechs Monate unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Die Verteidigung hatte eigentlich angeregt, einen minder schweren Fall der gefährlichen Körperverletzung festzustellen. Das lehnte die Kammer ab und bestrafte den Angeklagten deutlich strenger als seinen Kontrahenten. Der 30-Jährige hatte nämlich vor dem Messerstich dem Älteren eine Holzbank des Lokals ins Gesicht geworfen, dafür hatte ihn das Amtsgericht Pfaffenhofen im Juli zu einem Jahr und sechs Monate auf Bewährung verurteilt.

"Bei einem Messerstich in den Hals ist eine Bewährungsstrafe meilenweit entfernt", begründete Richter Kliegl die Entscheidung der Kammer und ergänzte in Richtung des Angeklagten: "So etwas ist nicht hinnehmbar. "

Auch habe sich der Angeklagte nicht in einer Notwehrlage befunden. Eine solche sei denkbar, wenn er den Angriff mit der Holzbank hätte abwehren wollen. Nachdem diese ihn aber bereits getroffen hatte, sei der Angriff nicht mehr "gegenwärtig" gewesen, so Kliegl. Dabei stützte sich das Gericht auf Aufnahmen mehrerer Überwachungskameras im Dönerladen und vor allem auf die Aussage des Betreibers, den die Kammer als glaubwürdig einschätzt.

Schließlich wurde auch dem Adhäsionsantrag des Geschädigten stattgegeben. Mit einem solchen Antrag will man dem Opfer einer Straftat die Möglichkeit geben, Schmerzensgeld geltend zu machen, ohne einen Zivilprozess führen zu müssen. Weil seine Ohr- und Halsverletzungen folgenlos verheilt sind und er sich freiwillig auf die Auseinandersetzung eingelassen hatte, sprach ihm das Gericht aber nur 1000 Euro zu.

Andreas Müller