Ingolstadt
Dramatische Strauß-Walzer

Lavard Skou Larsen und den Georgiern gelingt ein spannendes Neujahrskonzert

02.01.2012 | Stand 03.12.2020, 1:59 Uhr

Forderndes Dirigat: Lavard Skou Larsen trieb das Georgische Kammerorchester beim Neujahrskonzert zur Höchstleistung - Foto: Schaffer

Ingolstadt (DK) Vielleicht sollte man keine Konzerte mit dem Georgischen Kammerorchester besuchen, um vom Alltag abzuschalten. Denn kaum sitzt man im Ingolstädter Festsaal, da verfolgen uns die leidigen Themen schon wieder. Den „Schatzwalzer“ von Johann Strauß (Sohn) solle man Finanzminister Schäuble widmen, erzählt da Chefdirigent Lavard Skou Larsen.

Schließlich habe der im vergangenen Jahr völlig überraschend eine Geldsumme von fast 25 Milliarden in seinem Etat entdeckt. Und „Wein, Weib und Gesang“ erinnere ihn unweigerlich an die Versicherungsbranche. Heute würde man das Werk ohnehin in „Ergo-Wüstenrot-Walzer“ umbenennen oder „Dominique-Strauss-Walzer“. Auch den brutalen Ernst des Lebens für die Musiker spricht Skou Larsen an. „Stellen Sie sich vor, wir wären ein Orchester aus dem Süden Europas, zum Beispiel die Gyros Strings, und wir bräuchten dringend Geld“, erzählt er. Man könne etwa seinen Frack verkaufen – und sofort legen die Musiker ihre Jacketts ab – und seinen Bogen, und auch den legen die Georgier weg. Musik machen könne man dennoch: Und schon erklingt die Pizzicato-Polka von Johann Strauß.

Aber auch bei der Musik selbst gönnt Skou Larsen dem Publikum keine wirkliche Entspannung. Mit dem sofafaulen, einschläfernden Tanzmusik-Einheitsbrei so vieler Strauß-Interpreten (etwa auch dem im Zweijahrestakt gastierenden Budapester Johann-Strauß-Orchester) hat der neue Chefdirigent nichts im Sinne. Sein Strauß ist genauso dramatisch, extrem, im höchsten Maße expressiv und wild wie sein Mozart. So schockiert er das Publikum bei der berühmten Zugabe mit überraschend lauten Pizzicato-Attacken. Sein Schatzwalzer ist eine Studie im Rubato-Spiel: Ständig ändert er das Tempo, irritiert das Publikum, weckt Erwartungen, die er plötzlich nicht einhält, zögert Effekte hinaus, verleiht den Streichern süßlichen Kaffeehaus-Seidenglanz, um dann plötzlich einen rasanten Endspurt hinzulegen. Nicht weniger delikat gelingen „Rosen für den Süden“ und „Wein, Weib und Gesang“. Dabei agiert Lavard Skou Larsen als Stehgeiger inmitten des Orchesterrunds, wendet sich von Streichergruppe zu Streichergruppe, strahlt, stachelt an, animiert, inspiriert – ein vor Musikalität und Temperament schier überschäumender Gravitationspunkt des orchestralen Geschehens. So radikal, so mitreißend wurde Strauß wahrscheinlich in Ingolstadt noch nie musiziert.

Am liebsten hätte man den ganzen Abend lang nichts anderes gehört als diese grandiose, ironische Neujahrs-Unterhaltungsmusik. Aber Skou Larsen hatte sich entschieden, den unterhaltsamen Tänzen einen eher ernsten klassischen Programmabschnitt voranzustellen mit Gioachino Rossinis Ouvertüre zu „La scala di seta“ und Beethovens 2. Klavierkonzert mit dem Pianisten Alfredo Perl als Solisten. Die Werke standen fast zwangsläufig im Schatten der Straußschen Walzerseligkeit – und waren doch wunderbar gespielt. Besonders Alfredo Perl ist inzwischen zu einem tiefgründigen Beethoven-Interpreten herangereift, der im langsamen Satz den Steinway zum Singen bringt und in den Ecksätzen perlende Läufe und dramatische Akzente produziert. Und der Rossini gerät für das Orchester und hier besonders für die Holzbläser zum virtuosen Abenteuerausflug: eine eindrucksvolle Anstrengung an der Grenze der Leistungsfähigkeit des Orchesters.

Ein außerordentliches Konzert also, bei dem von der Seite immer wieder noch ein besonderer Gast glucksend mitwirkt: Lavard Skou Larsens wenige Monate alter Sohn Lauritz.