Ingolstadt
Dramatik einer Bürgerlichen

Zu Gast im Altstadttheater: Sabine Wackernagel ist "Frau Jenny Treibel"

18.02.2019 | Stand 23.09.2023, 5:59 Uhr
Einstieg ins Fontane-Jahr: Sabine Wackernagel und Valentin Jeker in "Frau Jenny Treibel" im Ingolstädter Altstadttheater. −Foto: Weinretter

Ingolstadt (DK) Aufgeregt, dabei froh, kommt Jenny Treibel, geborene Bürstenbinder, in ihren kleinen Salon und ruft nach ihrem Faktotum, "Engelke! Engelke!", braucht etwas zu trinken. Champagner muss es sein, schließlich steht nun fest, dass ihr jüngster Sohn Leopold nicht diese freche Corinna heiratet. Viel Aufputz hat Sabine Wackernagel als Jenny Treibel aufgelegt - grünes Hutgebilde, glitzernde Ohrclips, helles Rot auf Lippen und Nägel, eine wahre preußisch-berlinerische Bürgersfrau, wie sie Theodor Fontane (1819-1898) in seinem Roman "Frau Jenny Treibel" auf etwa 200 Seiten beschrieb als Beispiel der von ihm kritisierten Bourgeoisie, die stets von Höherem, von Idealen, spricht und dabei Besitz, Stand und "Wohlleben" meint.

Dieses Sittenbild des wilhelminischen Bürgertums haben die Schauspielerin Sabine Wackernagel und Regisseur Valentin Jeker zu einem knapp 70-minütigem Zweipersonen-Stück zusammengefasst, das sich in der Textauswahl aus dem erzählerischen Gesamtwerk Fontanes auf geniale Weise bedient und damit eine fast atemlose Spannung am Freitagabend im Altstadttheater schafft.

Der dramaturgische Griff bringt mit der Figur des ruhigen, manchmal etwas abwesend dahinschlurfenden Engelke (dem Alterswerk "Der Stechlin" entnommen) einen genialen Gegenpol zu der temperamentvollen und standesbewussten Treibel auf die Bühne. Er verkörpert die festgefahrene Standesgesellschaft und die starren Verhältnisse, die auch in "Effi Briest", dem dritten Roman Fontanes, der in Zitaten auf die Bühne kommt, den Protagonisten zu schaffen machen. Während Sabine Wackernagel in ihren Erzählungen und Ausbrüchen - wie eine Furie schlägt sie mit einem Stock auf die Ratten ein, die sie in ihrer Kindheit mit ihren Freunden jagte, und ohrfeigt den kleinen Teddy, der auf einem Stuhl am Bühnenrand sitzt stellvertretend für diesen Leopold, der den Fauxpas der Verlobung mit Corinna Schmidt begangen hat - und ihren romantisierend-gefühlsduseligen Anwandlungen das Widersprüchliche der wilhelminischen Gesellschaft mitreißend spielt. Sie lebt die Fallhöhe aus, erinnert sich an ihre eigene Schwärmerei für Corinnas Vater, Willibald Schmidt, der sie,, damals aus niederem Stand, aber nicht nachgegeben hat zugunsten der Ehe mit dem vermögenderen Treibel. Sie erweist sich als intrigant und kupplerisch zugleich, indem sie verhinderte, dass die Tochter des nunmehr verwitweten Professors Willibald Schmidt, einen ähnlichen Weg geht wie sie.

Geschickt hat sie das zunächst von ihr abgelehnte Ansinnen ihrer Schwiegertochter, Helene Treibel geborene Munk, ihre jüngere Schwester Hildegard Munk aus Hamburg nach Berlin in das Haus Treibel zu holen, ausgenutzt, um ihren Sohn Leopold von der eher mit bescheidenen Mitteln ausgestatteten Corinna wegzuführen und mit der aus reichem Hamburger Bürgerhaus stammenden Hildegard zu verbandeln.

Was in allen drei Fontane-Romanen ruhig und episch breit geschildert wird, gewinnt durch die Textauswahl und durch das furiose Spiel Wackernagels die Dramatik eines bürgerlichen Trauerspiels mit absurd-komischen Zügen. Wie schnippisch und gehässig Sabine Wackernagel ihre Jenny Treibel auch über die hamburgische Schwiegertochter Helene herziehen lässt, diese aber akzeptiert, weil eben aus standesgemäßem Hause - fast gruselig. Und dann hat diese Helene dem erstgeborenen Treibelsohn Otto (der mit dem florierendem Holzhandel) eine süße Tochter geboren, die sie gerne selbst gehabt hätte. Denn mit einer Tochter kann man ja die (pseudo-)romantischen Gefühle besser teilen. Oder ist an dem Streben nach Idealen, nach romantischer Liebe doch etwas mehr dran? Spannend hält Sabine Wackernagel das bis zum Schluss in der Waage. Ein anregender Einstieg in das Fontane-Jahr.

Barbara Fröhlich