"Doping ein regelrechtes Lifestyle-Problem"

05.12.2007 | Stand 03.12.2020, 6:17 Uhr

Viernheim (DK) Doping ist Missbrauch der Wissenschaft und Körperverletzung. Doping ist der Untergang des Nachwuchssports. Doping ist ein Systemproblem, in dem versucht wird, den einzelnen Athleten zu kriminalisieren. Doping stellt die Glaubwürdigkeit des Sports und der Medizin in Frage.

Mit diesen Thesen wurde eine Podiumsdiskussion in Viernheim eröffnet. Aufgestellt wurden sie von Personen, die den Sport und sein größtes Problem aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten: als Wissenschaftler, Verbandsfunktionär, Journalist, Radprofi, Ärztin, Apotheker. In dieser Zusammensetzung wurde diskutiert unter dem Motto "Der verratene Sport".

Kein Zufall, dass der Titel identisch ist mit einem gerade erschienenen Buch, dass der Molekularbiologe und Dopingexperte Professor Werner Franke (Foto) zusammen mit Spiegel-Autor Udo Ludwig geschrieben hat. Beide saßen auch auf dem Podium, nutzten die Gelegenheit aber weniger für Eigenwerbung als für die allgemeine Behandlung des Problems.

"Zwischen Ekel und Entsetzen" hatte Moderator Klaus Jancovius seine Leseeindrücke geschildert und die in dem Buch aufgestellte These eines nicht mehr zu rettenden Sports mit einem Kartenspiel gestützt. Mit zweierlei Karten sollten die Diskussionsteilnehmer anzeigen, welche Sportarten ihrer Meinung nach dopingbelastet (rot) und welche sauber (grün) seien. Von Fußball über Sportschießen, Rodeln, Motorsport und Tischtennis wurde allen die rote Karten gezeigt, erst bei Minigolf gab es vereinzelt Grün. Nach Radsport war erst gar nicht mehr gefragt worden. Aber die Diskussion drehte sich ohnehin um Doping als Problem des gesamten Sports.

Beim nordischen Skisport hielt Professor Franke seine Karte besonders weit in die Höhe. Womit er eine Stimmung erzeugte, in der es Franz Steinle als Vizepräsident des Deutschen Ski-Verbands schwer hatte, seine Überzeugung einer sauberen Langlaufmannschaft zu vermitteln. "Ich kann nicht für Einzelne die Hand ins Feuer legen. Aber es gibt kein Netzsystem, wie zum Beispiel im Radsport", sagte Steinle, dessen Worten nicht nur der dopinggeständige Jörg Jaksche mit einem Lächeln verfolgte: "Die Diskussion erinnert mich an die Zeit des Festina-Skandals 1998. Da wurde ein Mannschaftswagen in krankenhausähnlichem Zustand gestoppt und beim Team Telekom hieß es: Wir sind sauber, hängen aber trotzdem alle ab."

"Ich kann mich nur wundern: Alle dopen, nur der gemeine Germane nicht", verstärkte Professor Franke den Tenor und ergänzte in seiner offenen und bisweilen bewusst polternden Art, dass man die meisten Kontrollen den "Hasen geben kann". Gefordert seien intelligente Kontrollen, eingesetzt mit kriminalistischem Gespür. Zum Beispiel nicht unmittelbar vor dem Wettkampf, sondern drei, vier Tage zuvor oder in den entscheidenden Trainingsphasen.

Auch müsse das Kontrollsystem von den Verbänden abgekoppelt werden, deren Interesse es am Ende trotz aller Anti-Doping-Bemühungen ja doch sei, Erfolge feiern zu können. "Um unentdeckt dopen zu können, brauchst du eine Kontaktperson in einem lizenzierten Kontrolllabor", knüpfte Jörg Jaksche die These des Netzes zwischen Sportlern, Funktionären und Kontrolleuren weiter.

"Mediziner, die sich am Doping beteiligen, missbrauchen ihre Situation", sagte die Viernheimer Ärztin Katja Linke, die berichtete, wie immer mehr Hobbysportler und sogar Jugendliche um Hilfe bei der pharmazeutischen Leistungssteigerung bitten. "Doping ist mittlerweile ein regelrechtes Lifestyle-Problem", sagte die frühere Triathletin. Die Menschen würden sich immer mehr überfordern und sich nicht mehr an den eigenen Ressourcen orientieren. Über die Nebenwirkungen würde sich kaum jemand Gedanken machen.

Aber gibt es eine Zukunft für den Sport ohne Doping? Wenn der Staat endlich hart durchgreift, sagt der Apotheker. Wenn man auf Ehre und Verantwortung jedes Einzelnen setzt, sagt die Ärztin. Wenn alle an einem Strang ziehen, sagt der Verbandsfunktionär. Wenn nur zehn Prozent der in den deutschen Sport investierten zwei Milliarden Euro für den Anti-Doping-Kampf eingesetzt würden, sagt der Journalist. Wenn mehr Wert darauf gelegt wird, dem Sportler statt hoher Erfolgsprämie eine berufliche Zukunft zu bieten, sagt der Wissenschaftler. Aber dort, wo es um viel Geld geht, wird es auch immer Betrug geben, sagt der früher dopende Radprofi.