Ingolstadt
Die zwei Gesichter des Punk

Mal politisch, mal primär dem Rausch zugeneigt: Wizo und Turbobier in der Halle Neun

20.02.2019 | Stand 23.09.2023, 6:01 Uhr
Die Musiker von Turbobier entsprechen schon rein optisch den Standardvorstellungen von einer Punkband. −Foto: Woelke

Ingolstadt (DK) Das war so was wie ein Treffen der Generationen beim Punk-Konzert am Dienstagabend in der Halle Neun: Die Antifa-Veteranen Wizo aus dem Schwäbischen demonstrierten, dass Punk mit Haltung auch mehr als 30 Jahre nach Bandgründung nicht peinlich sein muss - nachdem die Anarcho-Spaßgruppe Turbobier aus Wien-Simmering gekonnt nahegelegt hatte, dass einem eigentlich gar nichts peinlich zu sein braucht.

Die Frage, welche von beiden Bands bereits ihre eigene Partei gegründet hat, würde wahrscheinlich jeder falsch beantworten: Es sind nämlich Turbobier, die die BPÖ ins Leben gerufen haben, die angeblich sogar im österreichischen Parteiregister eingetragen ist. Das Parteiprogramm: "Wir wern die Alksteuer abschaffen", singt Frontmann Pogo in dem Song "die Bierpartei", der genauso wie die anderen Lieder des knapp dreiviertelstündigen Sets gnadenlos melodisch ist und auch noch mit ein paar Bier intus (oder gerade dann) wunderbar mitgesungen werden kann.

Ziemlich schnell ist klar, wie die perfekte Welt für die Jungs aus Wien - pardon: aus Simmering natürlich (das ist übrigens der Bezirk, in dem der Wiener Zentralfriedhof liegt) - aussieht: bloß nicht hackeln (arbeiten), sondern lieber dem Tachinierertum (Nichtstun) frönen, auf Kiwara (Polizisten) schimpfen und sich mit ein paar Hülsn (Halben Bier) einen Ziagl (Rausch) antrinken. BPÖ, das steht übrigens - man wird es inzwischen ahnen - für Bierpartei Österreich. Mit "Arbeitslos durch den Tag", einer sehr speziellen Coverversion von Helene Fischers "Atemlos", verabschieden sich Turbobier dann - vermutlich nicht in die Nacht, sondern an die nächste Bar.

Deutscher Punk und Schlager - dass die Grenze dazwischen eine dünne ist, wird dann auch bei Wizo klar, die der Volkstümelei eigentlich unverdächtig sind. Die ziemlich neue Nummer "Ich war, ich bin und ich werde sein" würde von der Musik her auch im Bayern-1-Nachmittagsprogramm nicht stören, der Text ist aber nicht so einfach: "Die Schlacht und der Kampf sind vergeblich geführt", heißt es da - es klänge fast verzweifelt, wenn Axel Kurth, das einzig verbliebene Gründungsmitglied von Wizo, nicht so schön singen würde. Seit 1986 kämpft er mit seiner Musik gegen Nazis und setzt sich für sozial Benachteiligte ein.



"Antifa - das ist ein kleines Wort, aber es ist uns sehr wichtig", sagt Kurth, fordert sein Publikum immer wieder auf, sich zu engagieren, nicht wegzuschauen. Die Songs mit Titeln wie "Ganz klar gegen Nazis" oder "Anarchie" sind aber durchaus tanzbar. Müssen sie sein, denn Trübsal zu blasen sei nicht der richtige Weg, um auf das Erstarken der Rechten zu reagieren: "Egal, was kommt, wir bleiben heiter", sagt Kurth und bezieht sich damit auf Rosa Luxemburg. Das Publikum hat er damit sofort auf seiner Seite. Beim "Apocalypso" gibt's dann sogar eine Polonaise.

Im Grunde ist das alles herrlich altmodischer, politischer Punk aus den 80ern, den Wizo so schon auch 1990 in der Fronte 79 (Kurth erinnert sich, dass das ihr erstes von schon einigen Konzerten in Ingolstadt gewesen sei) gespielt haben werden. Und wenn man nicht auf die Texte achtet, die manchem Besucher in ihren Forderungen nach Anarchie und Kampf gegen den Staat durchaus zu weit gehen könnten, kann man dazu auch einfach nur Spaß haben.

Natürlich haben sich die Zeiten geändert, der Sänger hält sich heutzutage mit Zumba fit und dankt am Ende nicht nur dem Publikum in der brechend vollen Halle Neun, sondern auch all den Babysittern, die den Fans den Konzertbesuch erst ermöglicht hätten. Doch die Haltung bleibt unbeugsam. Wizo werden die Welt nicht ändern mit ihren Liedern - aber sie geben denen, die sie ein bisschen besser machen wollen, das Gefühl, nicht allein zu sein. Und draußen auf der Straße warten schon Turbobier mit ein paar Hülsn.
 

Bernd Hofmann