Breitenfurt
Die Zeit nutzen

Mohammed Sardar ist Asylbewerber, absolviert eine Lehre und nimmt täglich vier Stunden Fahrt in Kauf

28.08.2016 | Stand 02.12.2020, 19:22 Uhr

Sie wollen in Deutschland ankommen: Mohammed Amin Sardar und seine Frau Asma mit ihrem recht skeptisch blickenden Töchterchen Eliza. Die Deutschen seien sehr nett, hat das Ehepaar erfahren. Besonders der Dollnsteiner Bürgermeister Wolfgang Roßkopf helfe oft. - Foto: Bartenschlager

Breitenfurt (EK) "Die Deutschen sind sehr nett", betont Mohammed Amin Sardar. Das Land findet der Asylbewerber super. Und die Möglichkeiten, die sich ihm bieten, will der 27-Jährige nicht ungenutzt verstreichen lassen: Er macht eine Lehre. Nur die Sache mit der täglichen Fahrerei, die nervt.

Sardar hat eine bewegte Biografie: Seine Eltern sind Afghanen, doch ist er im Iran geboren und aufgewachsen. Dort habe er Abitur gemacht, erzählt er, und Naturwissenschaften studiert. Zwei, drei Jahre verdiente er seinen Lebensunterhalt, indem er Computer zusammengeschraubt. Irgendwann sah die Familie aber keine Zukunft mehr im Iran für Mohammed Amin. Der Vater als Familienoberhaupt traf eine Entscheidung: Sein Sohn und dessen Frau Asma sollen nach Deutschland gehen und dort Asyl beantragen. Die Begründung lieferte der Papa gleich mit: "Deutschland ist ein starkes Land." Am 4. Januar 2014 ist das junge Ehepaar angekommen. Ihr inzwischen 15 Monate altes Töchterchen Eliza ist hier geboren.

Die ersten sechs Monate seien mit einer Odyssee verbunden gewesen, erzählt der schlanke junge Mann. Ausgangspunkt war Zirndorf, danach kamen die Sardars nach München, von dort in den Landkreis Eichstätt, nach Titting. Weiter ging's nach Gaimersheim und schließlich nach Breitenfurt, wo sie bis jetzt wohnen. Doch auch hier stand ein kleiner Umzug an. Für kurze Zeit wurde die Familie in Dollnstein untergebracht, bis sie in die ehemalige Pension Lilly zurückkamen.

Dieses erste halbe Jahr sei schwierig gewesen, räumt der 27-Jährige ein. Eine deprimierende Phase. Dann riss er sich am Riemen. "Ich muss etwas machen", sagte er sich. Der Deutsch-Kurs, den er in Ingolstadt absolvierte, ist sowieso obligatorisch. Danach konnte sich Sardar passabel verständigen, jetzt parliert er schon sehr sicher in der nicht mehr so fremden Sprache. Was ihm dabei geholfen hat, war das TV-Programm. "Das Fernsehen ist sehr wichtig beim Deutsch-Lernen", sagt er. Das Fernsehen und YouTube.

Schnell stellte sich die Frage nach einer Beschäftigung. Untätig herumsitzen mochte Sardar nicht. Also verschickte er Bewerbungsschreiben. Geholfen mit Lebenslauf, Anschreiben und was sonst noch nötig ist, hat ihm Charlotte Markert. Sie ist für die Beratung von Asylbewerbern bei der Caritas Eichstätt zuständig. Mehrere Firmen kontaktierte der 27-Jährige per E-Mail. Zwei meldeten sich und luden ihn zu einem Vorstellungsgespräch. Bei der einen hätte er sofort als Ungelernter anfangen können, die andere bot einen Ausbildungsplatz. Sardar überlegte kurz und entschied sich für die langfristige Lösung. Obwohl er seine Anerkennung als Asylbewerber noch nicht hat. Aber er hat sich fest vorgenommen: "Ich muss meine Zeit nutzen."

Also lernt er Medientechnologie bei der Generation Druck GmbH in Wettstetten. "Eine Digitaldruckerei", berichtet er stolz. Der Geschäftsführer Rainer Schmid unterstütze ihn sehr und die Arbeit mache richtig Freude. Sardar lernt sogar mehr als er dachte: Lohnrechnung, Soli, der Unterschied zwischen brutto und netto. "Das ist alles neu und interessant."

Um nach Wettstetten zu gelangen, benötigt der iranische Afghane zwei Stunden - einfach. Im Sommer geht es zunächst mit dem Rad nach Dollnstein zum Bahnhof, von dort mit dem Zug zum Nordbahnhof in Ingolstadt und schließlich mit dem Bus weiter nach Wettstetten. Im Winter lässt Sardar das Rad im Schuppen und wählt den Bus nach Rebdorf, wo er an der Haltestelle Hofmühle in die Eisenbahn einsteigt. Vier Stunden täglich auf Achse: "Das ist total schlecht." Deshalb wäre er gern in der Nähe seines Ausbildungsplatzes. Aber das ist bei der derzeitigen Lage auf dem Wohnungsmarkt schwierig.

Das Wohlwollen von Geschäftsführer Schmid benötigt der Lehrling; mit dem Öffentlichen Nahverkehr kommt er jeden Tag zu spät zur Arbeit. Die Fehlstunden baut Sardar dann wieder ab. Zweimal in der Woche ist Berufsschule - in München. Kein Wunder, dass sich der 27-Jährige manchmal müde fühlt. Früher ging er gerne auf den Bolzplatz. Aber das Fußballspiel hat er aufgegeben. "Die Familie ist wichtiger", setzt er Prioritäten. Vor allem Töchterchen Eliza ist glücklich über jede Spielstunde.

Und da sind dann noch die bayerischen Sitten, Gebräuche und Speisen. Knödel gehören dazu, das hat Sardar bereits erkannt. Im Iran ist das anders. "Wir essen viel Reis", sagt er. "Was ich pro Woche an Reis esse, essen die Kollegen in einem Jahr." Die können es kaum fassen, welche Mengen der Lehrling vertilgt - und fragen nach den Rezepten. "Unserer Reiskörner sind größer als die in Deutschland verwendeten", verrät Sardar. Dafür lehren die Kollegen ihm die Grundlagen des bayerischen Idioms. Am Anfang hat die Anweisung "Die Rolle muas da nei" einen ratlosen Blick ausgelöst; jetzt weiß der Lehrling, was zu tun ist. Unsicherheiten gibt es noch im gesellschaftlichen Umgang. Wenn Sardar und seine Frau spazieren geht, grüßen sie die im Garten werkelnden Nachbarn und werden freundlich zurückgegrüßt. Aber dann? Kann er einfach stehenbleiben und sich unterhalten? Ist das unerwünscht, erlaubt oder wird das vielleicht sogar erwartet? Oft hat er erfahren: "Es gibt viele Fragen zu unserem Land."

Und es gibt Unterschiede in den Mentalitäten, aber keine unüberbrückbaren Gegensätze. Sardar zitiert ein Sprichwort: "Die fünf Finger an einer Hand sind auch nicht gleich."