Die Wonnen des Eskapismus

Kurze Flucht aus der Welt mit Barock, Klassik und Jakob D. Rattinger

14.01.2016 | Stand 02.12.2020, 20:19 Uhr

Große Musik in einem kleinen Ort: Jakob David Rattinger, Anna-Lena Ebert, Franz Hauk, Teona Gubba-Chkeidze und Kristina Kerestey (von links) beim Neujahrskonzert der Well-Verehrerinnen. - Foto: beh

Pöttmes (SZ) "Eskapismus, ruft ihr mir zu / vorwurfsvoll. / Was denn sonst, antworte ich / bei diesem Sauwetter!", schreibt Hans Magnus Enzensberger in seinem Gedicht "Der fliegende Robert". Versteht man das Sau-wetter als politisches Gleichnis, dann war das Konzert im Pöttmeser Kultursaal tatsächlich ein Aufruf zum - zeitweiligen - Eskapismus: Eine Insel der Freude und der Harmonie für die Zuhörer - und die Musiker lösten das Versprechen ein.

 

 

Die sechs Musiker nahmen die Besucher zunächst mit in eine Welt, die gleichfalls alles andere als in Ordnung war, deren Musik aber selbst ganz dunkle Zeiten heller macht - und mitunter schien es tatsächlich, als würde der sowieso hell erleuchtete Kultursaal noch ein wenig mehr strahlen.

Dessen Nüchternheit passt im Übrigen gut zur Verspieltheit des Barock, zu dessen Schnörkeln und Arabesken, aber auch zur wunderbaren Melodik der Kompositionen von Johann Sebastian Bach, Arcangelo Corelli oder Tomaso Albinoni, denen ja eine strenge Ordnung zu Grunde liegt.

Den Auftakt machte indes Jo-han Pachelbels berühmter Kanon, der so etwas wie den inhaltlichen Grundton des Konzerts vorgab: "Nur das Beste aus Klassik und Barock" versprachen die Vereinigten Well-Verehrerinnen für das Neujahrskonzert, und das wurde keineswegs zu einem bloßen Abnudeln der größten Klassikhits.

Das liegt an den Musikern, die jeder für sich eine der Eigenschaften ganz besonders verkörpern, die in ihrer Summe den Charakter des Ensembles Concerto de Bassus ausmachen: Da ist der stille Ernst von Franz Hauk (Cembalo), der dezente Witz von Jakob David Rattinger (Viola da Gamba), die schiere Lust am Spiel von Teona Gubba-Chkeidze und Kristina Kerestey (Violine) und die jugendliche Frische der Sopranistin Anna-Lena Ebert. Dazu kommt bei allen jene so leicht wirkende Virtuosität, die das Resultat schwerer Arbeit ist. Von einem bloßen Best-of-Classic hob sich das Konzert aber auch durch das Programm ab. Neben Pachelbels Kanon, der Pastorale von Corelli, dem Magnificat von Antonio Vivaldi oder Sonaten von Georg Friedrich Händel und Tomaso Albinoni gab es auch Unbekannteres, Ausgefallenes, ja Kurioses.

Viel Beifall ernteten die Musiker beispielsweise für eine Violinsonate des böhmischen Ba-rockkomponisten und Geigenvirtuosen Ignaz Franz Bieber, Jakob D. Rattinger nahm die Zuhörer mit einem kleinen Stück des Franzosen Marin Marais mit zur Gallensteinoperation Ludwig XIV., und demonstrierte zudem, dass in der mit der Gitarre verwandten Viola da Gamba ein ganzes Orchester versteckt sein kann.

Der Bogen schloss sich mit der Wiener Klassik: Ein Satz aus einem Cellokonzert von Joseph Haydn, der Kindermarsch Franz Schuberts, vierhändig als Zugabe gespielt von Franz Hauk und Tom Stotko, der wieder mit viel Humor durch das Programm führte; und, unbestritten einer der Höhepunkte, Wolfgang Amadeus Mozarts Motette "Exsultate, jubilate", bei dem die junge Sopranistin Anne-Lena Ebert die Zuhörer gleichsam hypnotisierte.

In keinem Barock-Konzert und in keinem Konzert der Vereinigten Well-Verehrerinnen darf natürlich Johann Sebastian Bach fehlen. Die Arie aus der Kantate BWV 84 "Ich bin vergnügt mit meinem Glücke" und das wiederum gemeinsam dem Publikum dargebotene "Jesu bleibet meine Freude" sind nicht nur herzzerreißend schön, sondern durften auch als Kommentar zum von Eva Ziegler ausgegebenen Motto des Abends verstanden werden: Freude und Harmonie in finsteren Zeiten.

Waren das nun zwei Stunden Eskapismus, Flucht der Welt? Und wenn schon, das muss auch mal sein. Auch im nächsten Jahr dürfen wir hoffentlich wieder den Regenschirm aufspannen, und dem Sauwetter für kurze Zeit in den Pöttmeser Elfenbeinturm entfliehen.