Eichstätt
Die Wahrheit über den "Kreuzfrevel"

"Tatort Hohes Kreuz", dritter und letzter Teil: Legendenbildung und der Widerstand der Bevölkerung

22.08.2018 | Stand 23.09.2023, 4:27 Uhr
Theresia Asbach-Beringer
Um das Hohe Kreuz zwischen Schönblick und Wintershof rankt sich in Eichstätt so manche Geschichte. Nun kann nach dem Auftauchen der Prozessakten aus dem Jahr 1933 die Geschichte vom Kreuzfrevel neu erzählt werden. −Foto: Fotos: Asbach-Beringer

Eichstätt (EK) Im zweiten Teil unserer Reihe "Tatort Hohes Kreuz" berichteten wir über die Pläne zur Errichtung eines nationalsozialistischen Mahnmals unterhalb des Hohen Kreuzes im Jahre 1933. Um die Geschehnisse rund um das Kreuz und das Vorhaben des Nazifunktionärs Walter Krauß ranken sich bis heute einige Legenden.

In der Nacht vom 7. auf den 8. Oktober hatten Mitglieder der Sturmabteilung (SA), der SA Reserve und der Hitlerjugend auf Veranlassung des NSDAP-Kreisleiters Dr. Walter Krauß versucht, das Hohe Kreuz zwischen Schönblick und Wintershof von seinem erhabenen Platz zu entfernen. Das Vorhaben aber misslang aufgrund des sehr massiven Sockels, der trotz enormer Beschädigungen nicht gänzlich entfernt werden konnte. Dabei handelte es sich buchstäblich um eine Nacht- und Nebelaktion und eine solche ist sie größtenteils geblieben, da über die Hauptakteure kaum etwas bekannt wurde.

Wegen der überaus dürftigen Faktenlage legte sich bald auch der Schleier des Mystischen darüber. So wird bis heute erzählt, drei Männer hätten das Hohe Kreuz zerstören wollen und bald darauf den Tod gefunden. Mitte der 1970er-Jahre hat die volkskundliche Sagenforscherin Emmi Böck für ihr Buch "Sagen und Legenden aus Eichstätt" Zeitzeugen zu den Vorfällen am Hohen Kreuz befragt. Wie schwierig bis unmöglich es gewesen war, die Fakten herauszufiltern, macht ihr ungeschönter und bisweilen gefühlsbetonter Erfahrungsbericht deutlich. "Es scheint unglaublich", schreibt sie, "keine einzige andere Sage oder Legende in diesem Buch ? bereiteten mir bei der Wahrheitsfindung beziehungsweise bei dem Bemühen um Stimmigkeit solche Schwierigkeiten wie die Geschichte vom Hohen Kreuz aus der Zeit des Dritten Reiches, also aus verhältnismäßig junger Vergangenheit. ? Merkwürdig ist auch, dass all die Gewährsleute, die damals in Eichstätt lebten und somit dicht von dem unerhörten Ereignis tangiert wurden, heute nicht exakt das Jahr des Vorfalls angeben können. ? So viele Widersprüchlichkeiten fanden sich da, dass ich schließlich ? völlig erschöpft von all den Unstimmigkeiten die neueste Gewährsperson nicht mehr interviewte: Die Spannung zwischen Erwartung und Frustration war mir unerträglich geworden."

In der Tat: Vergleicht man die Vernehmungsprotokolle aus dem Jahr 1933 mit den Erzählungen, lassen sich nur wenige Gemeinsamkeiten feststellen. Gerade wenn es um die Personen geht, die mitgeholfen haben, das Hohe Kreuz zu entfernen, werden in der mündlichen Überlieferung andere Begebenheiten damit in Verbindung gebracht und vermischt. Der Junge beispielsweise, der angeblich am Entfernen des Hohen Kreuzes mit beteiligt gewesen und ein paar Monate später mit dem Fahrrad tödlich verunglückt sein soll, taucht namentlich in der offiziellen Liste der Unterstützer nicht auf. Laut einer Gedenktafel in der Nähe des Hohen Kreuzes ist er im August 1935 auf dem Heimweg vom Bau der Thingstätte tödlich verunglückt. Hier wurden also zwei Geschichten miteinander vermengt, obwohl die Geschehnisse eigentlich zwei Jahre auseinanderliegen.

Zu den Leuten, die sich gegen das Entfernen des Kreuzes wehrten, gehören der Wintershofer Bürgermeister Michael Heiß sowie zahlreiche Dorf- und Stadtbewohner, Bischof Konrad Graf von Preysing und ein SA-Sturmführer.

Es verwundert zunächst, dass es ein SA-Sturmführer war, der den NSDAP-Kreisleiter Krauß wegen Sachbeschädigung anzeigte. Doch seiner Aussage zufolge gab es offensichtlich auch innerhalb der SA heftigen Gegenwind: "Ich habe jahrelang in der Bewegung mit Dr. Krauß zusammengearbeitet, aber auch mir war in diesem Falle klar, dass Dr. Krauß hier nicht mehr in Schutz genommen werden kann, sondern dass im Interesse der Bewegung selbst unbedingt gegen ihn eingeschritten werden muss. Nicht nur in der Bevölkerung hier im Allgemeinen, sondern auch in den Kreisen der SA. Insbesondere unter den alten Kämpfern und im Motorsturm war allgemeine Entrüstung darüber, dass ein Kreisleiter so etwas machen und damit der Bewegung einen solchen Schaden zufügen kann."

Der Wintershofer Bürgermeister Michael Heiß zeigte nach eigenen Angaben durchaus Emotionen, als er am Hohen Kreuz ankam und sah, wie mehrere ihm unbekannte Personen an der Entfernung des Sockels arbeiteten: "Obwohl ich als Soldat im Felde gestanden bin, sind mir bei diesem Anblick die Tränen gekommen. Ich wollte daher die Gendarmerie verständigen, die jedoch noch vorher am Tatort eintraf." Gemäß Heiß' Ausführungen war Krauß darauf bedacht, sich nachträglich die Genehmigung für das Versetzen des Kreuzes vom Wintershofer Gemeinderat einzuholen, was bei einer Enthaltung und einer Gegenstimme mit vier Stimmen abgelehnt wurde.

Am 10. Oktober 1933 - also nur wenige Tage nach dem Entfernungsversuch - schaltete sich auch Bischof Konrad Graf von Preysing mit ein. Er schrieb an die Regierung von Ober- und Mittelfranken: "Wir dürfen annehmen, dass Hohe Kreisstelle nicht bloß über das Vorkommnis selbst unterrichtet sei, sondern auch über die Aufregung und Entrüstung, welche sich unserer, Gott sei Dank noch christusgläubigen Bevölkerung in Stadt und Umgebung bemächtigt hat und allerwärts sich Luft macht ohne Unterschied des Bekenntnisses oder politischer Anschauung."

Aufgrund des überaus starken Widerstandes in der Eichstätter und Wintershofer Bevölkerung dauerte es fast drei Jahre, bis am 29. Juni 1936 wieder auf Veranlassung Krauß' ein weiterer - und wohl letzter - Versuch unternommen wurde, das Hohe Kreuz zu entfernen. Diesmal war von einem nationalsozialistischen Siegesmal die Rede. Doch der Pfarrer von St. Walburg alarmierte die Wintershofer Gemeindeverwaltung und so war das Vorhaben - mittlerweile zum dritten Mal - zum Scheitern verurteilt. Dass das Kreuz tatsächlich nie entfernt wurde, ist auch einem geschickten Schachzug der Gemeinde Wintershof zu verdanken: Um nicht politisch dazu gedrängt werden zu können, übereignete sie eine 400 Quadratmeter große Fläche rings um das Kreuz der örtlichen Kirchenstiftung. Bei einer Begehung des Areals am 6. Oktober 1933 hatte sich Krauß noch sehr "siegessicher" gezeigt, auch wenn damals bereits von verschiedenen Seiten Einsprüche gegen die Entfernung des Kreuzes erhoben worden waren, wie der Betriebsleiter des städtischen Elektrizitätswerks später vor Gericht schilderte. Er persönlich habe Herrn Dr. Krauß gefragt, ob er dazu berechtigt sei, das Kreuz, das auf Wintershofer Grund steht, zu entfernen. Dr. Krauß habe daraufhin ungefähr erwidert: "Die Wintershofer werden sich schwer hüten bei der jetzigen Regierung irgendetwas dagegen zu sagen."

Innerlich hegte NSDAP-Kreisleiter Krauß sicherlich den einen oder anderen Zweifel dahingehend, ob sich das Mahnmal bei einem so großen offenkundigen Widerstand überhaupt realisieren lasse. Daher ergriff er sogleich eine Präventivmaßnahme: Er ordnete ein Schweigegebot an. Denn einer der Gründe, warum so vieles über die Geschehnisse am Hohen Kreuz im Oktober 1933 im Verborgenen blieb, ist zweifelsohne der Tatsache geschuldet, dass Krauß allen, die in seinen Plan involviert waren, sozusagen prophylaktisch eine Schweigepflicht auferlegte. Einer der Betroffenen gab bei den Vernehmungen zu Protokoll: "Dr. Krauß erklärte nur, dass über die ganze Angelegenheit vollständiges Stillschweigen gewahrt werden müsse, damit nicht der ganze Apparat in Bewegung gesetzt werde."

Der Wunsch des Kreisleiters Krauß ging nicht in Erfüllung. Stattdessen füllte sich nach und nach dessen Prozessakte mit der Aufschrift "Anklage gegen Dr. Walter Krauß, prakt. Arzt in Eichstätt wegen schw. Sachbeschädigung", die schließlich rund 140 Seiten umfasste. Zumindest erreichte Krauß durch seine Geheimhaltungspolitik, dass die Informationen über den genauen Tathergang erst heuer - also fast 85 Jahre später - ans Tageslicht kamen, als sich der gleichnamige Enkel des damals ermittelnden Polizeioberkommissärs Johann Kraus (wir berichteten) die Prozessakten aus dem Staatsarchiv Nürnberg schicken ließ.

Theresia Asbach-Beringer