Neuburg
Die Wahrheit siegt

Simon Mayrs Oper "Elena" wird im Neuburger Kongregationssaal frenetisch gefeiert

28.08.2018 | Stand 23.09.2023, 3:55 Uhr
Heike Haber

Neuburg (DK) Als er sie komponierte, befand er sich auf dem Höhepunkt seines musiktheatralischen Schaffens: Giovanni Simone Mayr schrieb "Elena e Costantino" 1814 für das Teatro de' Fiorentini in Neapel.

Mit diesem großen Bühnenwerk hat der künstlerische Leiter und Musikwissenschaftler Franz Hauk nach "Le due duchesse" in der vergangenen Saison nun erneut ein "Dramma semiserio", also eine tragikomische Oper, aus mehreren Quellen rekonstruiert und auf seinen Neuburger Spielplan gesetzt. Im barocken Ambiente des dortigen Kongregationssaals setzt er so gleichzeitig den krönenden Schlusspunkt zum neu ins Leben gerufenen "Musiksommer" in der Region.

Dabei erweist sich die konzertant-moderierte Aufführung, präsentiert von zehn Gesangssolisten, einem Männerchor und dem Originalklang-Ensemble "Concerto de Bassus" (angeführt von Konzertmeisterin Theona Gubba-Chkheidze), als mitreißende, packend umgesetzte "Rettungsoper", wie sie für die postrevolutionäre, napoleonische Zeit typisch war: Von der farbenreichen Orchestrierung über die melodiös differenziert angelegte Charakterisierung der Figuren bis hin zur spannenden, konfliktgeladenen, sich immer mehr zuspitzenden Handlung inklusive Befreiung in letzter Minute ziehen Simon Mayr als Komponist und sein Librettist Andrea Leone Tottola sämtliche Register.

Da der französische Graf Costantino unter Verdacht geraten ist, seinen Vater ermordet zu haben, musste er sich von seiner Frau Elena, Prinzessin von Tarascon, und seinem kleinen Sohn Adolfo trennen, um den Verfolgern zu entkommen. Adolfo wächst seitdem unter dem Namen Paolino beim Bauern Carlo und seinen beiden Töchtern auf, Elena zieht unter dem Pseudonym "Riccardo" im Männergewand umher. Auf Carlos Gutshof in der Provence trifft die adlige Familie endlich wieder zusammen. Doch leider währt die angstvolle Wiedersehensfreude nur kurz: Ihre Identität fliegt auf, der Gouverneur erscheint und will das Verbrechen sühnen. Costantino gelingt die Flucht, an seiner Stelle sollen nun Elena und Adolfo mit dem Tod bestraft werden. Gerade noch rechtzeitig enthüllt Graf Edmondo den wahren Täter und beweist Costantinos Unschuld.

Als eben jener Edmondo führt Tenor Markus Schäfer charmant-eloquent aus Sicht seiner Rolle sowie als Conférencier in Personalunion durch das Geschehen, überbrückt zusammenfassend die fehlenden Rezitative und sorgt bei allen Irrungen und Wirrungen geschickt für den nötigen Durchblick. Eine ungewöhnliche, aber zum besseren Verständnis durchaus sinnvolle Herangehensweise. Auch gesanglich verleiht er dem zu Unrecht an die Macht gekommenen Edelmann ein nachdrückliches Profil zwischen Wut, Verzweiflung und innerer Zerrissenheit. Humoristisch-heitere Akzente, die einen regelrecht schmunzeln lassen, bringen dagegen die beiden markanten Bässe Niklas Mallmann (der lebensfrohe, pfiffige Großbauer Carlo, herrlich witzig in seinem lautmalerischen neapolitanischem Dialekt) und Andreas Mattersberger (der alte, polternde Schäfer Urbino, chronisch verliebt, aber im Zweifelsfall vor allem auf die Rettung seiner eigenen Haut bedacht) anhand ihrer Buffo-Partien in das komplizierte Versteckspiel. Ihre weiblichen Pendants verkörpern unbekümmert Anna-Doris Capitelli mit volltönendem Mezzo und Anna Feith mit leichtfüßigem Sopran als einmütig kokettierendes Schwesternduo Anna und Ernesta.

Den ernst-tragischen Gegenpol dazu bildet das eindrucksvoll dramatisch agierende Heldenpaar Elena (alias Riccardo) - Costantino. Fesselnd, wie Sopranistin Julia Sophie Wagner leuchtend-brillant alle Facetten der leidgeprüften, tapferen Prinzessin, Gattin und Mutter auszuloten vermag. Atemberaubend, wie Daniel Ochoa in Gestalt des zu Unrecht angeklagten Grafen seinen stimmgewaltigen Bass in einem Wechselbad aus Schmerz, Liebe, Leidenschaft, Auflehnung und unerschütterlicher Vehemenz durch den Saal tönen lässt. Hier wird ein leidenschaftliches Dilemma entfacht, das Fang Zhi in der tenoralen Unerbittlichkeit des Widersachers, des Gouverneurs, noch wirkungsvoll unterstreicht.

Innige, anrührende Momente beschert Mira Graczyk mit ihrem knabenhaft schlanken Sopran als junger Adolfo/Paolino. Zu einem der lyrischen Höhepunkte gerät die anrührende Duett-Romanze zwischen ihr und Julia Sophie Wagner, in der die glockenhellen Stimmen von Mutter und Sohn zu einer fast engelsgleichen Einheit verschmelzen.

Ihre vorantreibende Zugkraft allerdings nimmt die szenisch-musikalische Entwicklung besonders während der turbulenten Ensembles auf. Im großen Sextett etwa, das schon nach der Uraufführung Furore machte und sogar das Interesse von Literaten wie Stendhal oder Goethe weckte, sowie auch in den obligatorischen effektreichen Finali steigern sich die Sänger noch einmal zur Höchstform.

Nicht zuletzt der Männerchor, bestehend aus Mitgliedern des Münchner Staatsopernchors und des Simon-Mayr-Chors, zeigt intonatorisch wie artikulatorisch hohe Präzision bei seiner Darstellung der kommentierenden Bauern und Wächter. Aus ihnen, die wesentlich zur Belebung des Fortgangs beitragen, ragt Harald Thum als solistischer Heroldsrufer hervor.

Unter dem engagierten Dirigat von Franz Hauk entwirft das mit sichtlicher Spielfreude musizierende Concerto de Bassus auf authentischen Instrumenten - von denen zu Anfang exemplarisch einige vorgestellt werden - eine vielschichtige, energiegeladene und ausdrucksstarke Klangkulisse, die sowohl ländliches Schäferidyll erweckt als auch neapoletanisches Lokalkolorit durchscheinen lässt.

Am Ende siegt die Wahrheit, das Liebespaar ist wieder vereint, der rechtmäßige Herrscher kann endlich seines Amtes walten. Lang anhaltender Applaus und Bravo-Rufe für eine vielleicht dramaturgisch etwas unkonventionell gelöste, aber in ihrer Art rundum gelungene weitere Mayr-Opern-Renaissance.

Heike Haber