Die Wahrheit liegt neben dem Platz

Marvin Kohou muss sich mit vielen Vorurteilen herumschlagen

22.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:22 Uhr
Geboren und aufgewachsen in Karlshuld: Auch wer sich nur kurz mit Marvin Kohou unterhält, merkt, er ist ein echter Donaumösler. -Foto: S. Hofmann −Foto: Sebastian Hofmann, Hofmann, Sebastian, Neuburg

Marvin Kohou muss sich im Alltag mit vielen Vorurteilen und rassistischen Beleidigungen herumschlagen, obwohl er in Karlshuld geboren und aufgewachsen ist. Schimpfwörter bekommt er vor allem auf den Fußballplätzen zu hören. Trotzdem geht er mit einem Lächeln durchs Leben

Karlshuld (DK) Wenn Marvin Kohou lächelt, dann ist das ansteckend. Wenn er redet, dann hört man den original Karlshulder Zungenschlag. Da ist nichts Gekünsteltes dabei. Der 21-Jährige ist ein echter Donaumösler - meist aber nur für Leute, die ihn kennen. Wegen seines Aussehens ist er häufig rassistischen Beleidigungen ausgesetzt. Ganz besonders auf dem Fußballplatz. Beschweren möchte er sich deshalb nicht. "Mei, des is halt leider so", sagt der Sohn einer Karlshulderin und eines Ivorers. Aber der Wunsch nach Veränderung, einem besseren Miteinander, ist dennoch groß.

Seit Marvin Kohou vier Jahre alt ist, spielt er Fußball beim SV Grasheim - obwohl er am anderen Ende von Karlshuld wohnt. "Wegs mei'm Opa", erklärt er und grinst wieder. Der Großvater, Hugo Kramer, war erst im vergangenen Jahr für 25 Jahre ehrenamtliches Engagement beim SVG ausgezeichnet worden und ist bis heute heute glühender Anhänger des Ortsteilvereins. Klar, dass der Enkel seinen Opa stolz machen will. "Ich bin froh, dass ich in dem Umfeld, in der Familie aufgewachsen bin", sagt Kohou. Als erster Schwarzer - so darf man ihn tatsächlich bezeichnen - in Karlshuld sei es nicht immer leicht gewesen. "Aber mit meiner Familie und meinen Freunden passt des trotzdem."

Es war in seinem ersten Grundschuljahr, als der heute 21-Jährige zum ersten Mal zu spüren bekam, was Rassismus ist. Seine damalige Lehrerin habe ihn und eine polnisch-stämmige Klassenkameradin schikaniert, nach wenigen Wochen kam er auf Drängen seiner Mutter Marion Kohou in eine andere Klasse. "Ab da war alles gut, er hatte dann einen Lehrer, der mich schon unterrichtet hat", berichtet die Mutter. Besagte Lehrerin habe die Karlshulder Grundschule nach dem Schuljahr dann verlassen, erklärt sie weiter.

Abseits der Schule war und ist es nicht leicht, wenn man redet wie alle anderen und auch so denkt, aber eben nicht so aussieht. "Wer mich net kennt, der sieht in mir immer zuerst einen Ausländer. Aber der erste Blick täuscht halt", sagt Marvin Kohou, dessen Vater von der Elfenbeinküste stammt. In seiner Jugend hätten Beleidigungen wegen seiner Hautfarbe dann zugenommen. "Neger hörst sehr oft, für die meisten Leut' is' des normal. Aber Neger geht halt gar nicht, ich fass' des als Beleidigung auf. Schwarzer find' ich zwar auch a bisserl komisch, aber des is' okay", sagt er. Beim SV Grasheim fand Marvin Kohou nicht nur Mannschaftskameraden, sondern in den meisten seiner Mitspieler auch Freunde fürs Leben. "Ich spiel' heut noch mit vielen in der ersten Mannschaft zusammen, mit denen ich in der Jugend angefangen hab'." Man geht auch zusammen weg, trifft sich außerhalb der Mannschaftsaktivitäten, alles ganz normal eben. Vereinsintern habe er nie Probleme gehabt, er sei immer wie alle anderen behandelt worden - als der, der er ist, ein Karlshulder.

Eine nette Anekdote weiß einer seiner ehemaligen Trainer zu berichten. Als dieser gerade neu nach Grasheim gekommen war, hatte ihm niemand von Marvin Kohous familiärem Hintergrund erzählt. In der Annahme, er habe wahrscheinlich einen jungen Flüchtling vor sich, erklärte er dem Angreifer eine relativ einfache Übung mit Händen und Füßen und fragte, ob dieser verstanden habe. Kohou habe daraufhin in seiner markigen Art geantwortet: "Freilich, i bin ja net auf da Brennsuppn dahergschwumma." Dem damals neuen Trainer sind daraufhin, laut eigener Aussage, die Gesichtszüge etwas entglitten.

So normal es im Training auf heimischem Platz für Marvin Kohou läuft, so extrem schlecht kann es bei Punktspielen für den 21-Jährigen und seine Mannschaftskameraden werden, besonders auf fremdem Rasen. "Vor ein paar Jahren is' es bei einem Auswärtsspiel mal total eskaliert", berichtet er. Den Namen des Gastgebervereins möchte er nicht in der Zeitung gedruckt sehen, um keine Vorurteile entstehen zu lassen. "Da bin ich von einem Gegenspieler und dessen Trainer so beleidigt worden, dass meine Mama und meine Freundin auf den Platz gestürmt sind und den Spieler zur Rede gestellt haben." Beide, Mutter und Freundin, habe er im Nachgang gebeten, so etwas nicht mehr zu tun. "Des is' doch den Ärger net wert", sagt Marvin Kohou. Das Schimpfwort Bimbo sei in jener Partie mehrmals gefallen. Wie auch zu erfahren war, habe der damalige Grasheimer Trainer sein Gegenüber von der anderen Mannschaft nach der Partie auf dem Weg in die Kabine zur Rede gestellt. Da seien verbal die Fetzen geflogen. Derlei Vorfälle seien für den SV Grasheim fast an der Tagesordnung. "Letzte Woche zum Beispiel, da hatten wir einen schwarzen Schiedsrichter. Des war sogar noch schlimmer als mit jedem anderen Schiri, weil ich mir von den gegnerischen Fans dann dauernd anhören hab müssen, dass er zur mir hilft", sagt Kohou.

Seine Mutter sieht sich jedes Spiel des Sohnemanns an, voller Stolz fiebert sie mit seinem Team mit. Aber sie muss darauf achten, von wo aus sie die Begegnungen verfolgt. "Ich muss immer mitten unter den anderen Grasheimern stehen und so weit wie möglich weg von den Gästefans, sonst halt ich das manchmal nicht aus", sagt Marion Kohou. Dass auf vielen Fußballplätzen diverse Fair-Play-Logos und Anti-Rassismus-Sprüche auf Bannern und Werbetafeln angebracht sind, schlage sich im Verhalten der Zuschauer und Spieler nicht nieder, so die Beobachtung der Familie Kohou.

Gebessert habe sich in den vergangenen Jahren nicht viel. "Seit der Flüchtlingskrise vor ein paar Jahren is' sogar noch schlimmer g'worden", sagt Marvin Kohou. Es seien vor allem die ältesten Zuschauer, die ihm von der Seitenlinie aus despektierliche Dinge an den Kopf schleudern. "Aber auch welche aus meiner Generation plärren Neger rein, wenn ich am Ball bin." Für ihn sei Rassismus deswegen keine Eigenheit einer bestimmten Gruppe, sondern existiere in vielen Teilen der Gesellschaft.

Der Umgang mit Flüchen und Beschimpfungen stellt für den gelernten Maurer kein Problem dar, wie er sagt. "Wie magst denn auf so an Schmarrn reagieren? Am besten gar net, weil's sowieso immer schwierig is'. Wenn ein Mensch einen anderen beleidigen will, dann sucht der bei dem immer des aus, was anders is', was für ihn nicht normal is'", sagt er. Er sei ein ruhiger Typ und noch nie ausgerastet. Oft seien es auch seine Mitspieler, die sich wegen verbaler Entgleisungen gegen ihn aufregten und dann beruhigt werden müssten. In seinem Beruf hat er zwar weniger mit Rassismus, dafür aber häufig mit Vorurteilen zu kämpfen. "In meinem Maurertrupp bin ich der Kapo, aber bis die Bauherren des merken, vergehen oft zwei, drei Tage", erzählt er und grinst. Er werde meist erst mal für einen ungelernten Hilfsarbeiter gehalten, bei aufkommenden Fragen gehen die Leute zuerst auf seine Kollegen zu. "Die meisten behandeln mich aber ganz normal, wenn's mal g'merkt haben, was Sache is'."

Welche Veränderung ein neues Umfeld schaffen kann, hat der Karlshulder bei einem Urlaub erlebt. Mit seiner Freundin war er in Paris, wo weit mehr afrikanisch-stämmige Menschen als in den meisten deutschen Großstädten leben. "Er ist heimgekommen und hat gesagt, Mama, da hab ich mich richtig normal gefühlt", berichtet Marion Kohou. In Thailand sei es ihm ähnlich ergangen. Obwohl er gern verreist, hat er die Heimat seines Vaters noch nicht besucht. "Afrika sehen würd' mich schon interessieren. Irgendwann vielleicht mal. Aber daheim bin ich in Karlshuld, ich kenn ja nix anderes", sagt er und grinst wieder. Hätte er einen Wunsch frei, so wäre dies ein einfacher, allerdings bewegender: "Ich würd' mir wünschen, dass alle gleich gesehen und behandelt werden", sagt er - und wieder sieht man ein breites Lächeln auf seinem Gesicht.