"Die Vorstellung, dass Technik ein unpolitisches Feld ist"

Der Technikhistoriker Helmuth Trischler, Leiter des Forschungsinstituts des Deutschen Museums, über die deutschen Ingenieure in Ägypten

24.06.2021 | Stand 24.06.2021, 21:15 Uhr
  −Foto: privat

Herr Trischler, deutsche Flugzeug- und Raketenexperten als Lohnarbeiter in Ägypten - wie kam es zu dieser seltsamen Verbindung?

 

Helmuth Trischler: Man muss das in einen größeren Zusammenhang einordnen. Zwischen den 30er- und den 60er-Jahren kam es in mehreren Wellen zu einer weltweiten Zirkulation von technischen Experten. In den 30er-Jahren waren es vor allem jüdische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aus Deutschland vertrieben wurden. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs bemächtigten sich die alliierten Siegermächte der deutschen Experten, die an Waffensystemen geforscht und gebaut hatten. Man spricht dabei auch von intellektuellen Reparationen. Die bekannteste Gruppe ist die von Wernher von Braun, die in die USA ging. Es gab aber auch viele andere Gruppen, und eine davon war die von Willy Messerschmitt, der zunächst für Franco in Spanien und dann für Nasser in Ägypten arbeitete.

Wie war denn die Situation der deutschen Flugzeug- und Raketen-Ingenieure am Ende des Zweiten Weltkriegs? Die waren erstmal alle arbeitslos, oder?

Trischler: Genau. Es gab, wie übrigens schon nach dem Ersten Weltkrieg, ein Verbot der Alliierten, in Deutschland militärisch relevante Technologien wie Flugzeuge oder Raketen zu bauen. Dieses Verbot galt bis 1955. Damit wurde der größte Rüstungskomplex, der bis dahin überhaupt existiert hatte, abgewickelt. Sie müssen sich vorstellen: Die deutsche Luftfahrtindustrie hatte auf ihrem Höhepunkt 1943/44 etwa 1,5 bis 2 Millionen Arbeitskräfte. Das waren zehntausende Ingenieure und noch viel mehr Facharbeiter, die nun nicht mehr in ihrem angestammten Gebiet arbeiten konnten.

Die Rüstungshilfe für Ägypten hat ja einen Skandal ausgelöst. Waren die Ingenieure wirklich so blauäugig, dass sie die politischen Verwicklungen nicht sehen konnten?

Trischler: Das kann man so sagen. Im Grunde ist das ein Muster, das in den technischen Berufen in Deutschland seit dem Ersten Weltkrieg vielfach vorkam. Es gibt den schönen Buchtitel: "Ich diente nur der Technik. " Dahinter steckt die Vorstellung, dass Technik ein unpolitisches Feld ist. Mit diesem Hintergrund gingen viele Ingenieure in der Nachkriegszeit in ganz unterschiedliche Länder. In autoritäre Staaten wie Spanien oder Ägypten genauso wie in demokratische, die USA oder Frankreich und Großbritannien. Vor allem die autoritären Staaten lockten mit attraktiven Arbeitsbedingungen. Die deutschen Ingenieure wurden privilegiert und hofiert. Das tat dem eigenen Prestige, das im Nachkriegsdeutschland nicht zur Entfaltung kommen konnte, gut.

Willy Messerschmitt war tief in die NS-Rüstungswirtschaft verstrickt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat er für Franco und Nasser gearbeitet. Sehen wir die Flugzeugbau-Ikone Messerschmitt zu positiv?

Trischler: Es ist jedenfalls erstaunlich, dass im Unterschied zu vielen anderen Sektoren, in denen gerade in den vergangenen beiden Jahrzehnten große Aufarbeitungsprojekte durchgeführt wurden, die Gruppe der Ingenieure hier relativ wenig beachtet wurde.

DKInterview: Johannes GreinerFoto: Deutsches Museum