Die ungleichen Brüder

14.09.2011 | Stand 03.12.2020, 2:24 Uhr

Idyll im neuen Zentrum: Helmut Schlittenlohr lebt in der in den 1960er Jahren entstandenen Müllerbadsiedlung bei der Kirche St. Peter.

Ober-/Unterhaunstadt (DK) Die Herren und Damen aus dem hohen Norden Ingolstadts leben mit Sicherheit im Stadtteil mit dem sperrigsten Namen. Als Ober-/ Unterhaunstadt wird er zusammengefasst. Die Bewohner sind stolz auf ihre Orte mit langer Tradition. Doch auf einen Supermarkt müssen sie verzichten.

Die Formel entbehrt im Grunde jeglicher Logik. Jedem Mathelehrer stellen sich die Zehennägel auf, sofern ihm jemand ernsthaft mit diesem Ergebnis kommt: Eins und eins macht drei. Doch im Falle der beiden Dörfer Oberhaunstadt und Unterhaunstadt ist es tatsächlich so. Sie standen sich über Jahrhunderte in einiger Entfernung gegenüber. Ober war stets größer als Unter, doch tatsächlich zusammen kamen sie erst, als in den 1960er Jahren zwischen ihnen die Müllerbadsiedlung entstand. Der neue geografische Mittelpunkt Haunstadts wurde das Band, das die rund 5000 Ingolstädter (2700 in Ober, 2200 in Unter) zu einem Stadtviertel verbindet.

Das Grummeln ist noch heute bei den Älteren zu vernehmen. „Wir sind Unterhaunstädter“, betonen die einen. „Wir sind Oberhaunstädter“, sagen die anderen. Helmut Schlittenlohr sagt als Variante: „Ich bin aus Oberhaunstadt, aus der Müllerbadsiedlung.“ Seit 25 Jahren wohnt der frischgebackene Rentner, der sich in vielen Vereinen sowie im örtlichen Bezirksausschuss engagiert, genau gegenüber der neuen Haunstädter Hauptkirche St. Peter. Eins und eins macht auch hier drei: Zu St. Willibald in Ober und St. Georg in Unter kam mit der Müllerbadsiedlung St. Peter. Schlittenlohr spaßt: „Bei mir muss jeder auf dem Weg zum Gottesdienst vorbei. Ich habe eine Liste und da wird abgehakt.“ Das soll erklären, wie sich die Dorfgemeinschaft in kirchlichen Leben engagiert. In den Vereinen ebenfalls: beim Turn- und Sportverein, dem Männergesangsverein, Obst- und Gartenbauverein und vielen anderen. Die feinen Unterschiede werden aber geschätzt. Seit 1874 gibt es den Feuerwehrverein Oberhaunstadt, seit einem Jahr später den in Unterhaunstadt. Sie bestehen noch immer, obwohl die Aktiven der Freiwilligen Feuerwehr längst unter Haunstadt ihre Einsätze fahren.

Drei ist so etwas wie die magische Zahl des Stadtteils: „Wir haben vor ein paar Jahren fast mal gedacht, ob wir nicht einen Ortssprecher benennen müssen, um politisch vertreten zu sein“, sagt Schlittenlohr. Jetzt machen gleich drei Stadträte von CSU, ÖDP und FW sowie dazu die Bundestagsabgeordnete Eva Bulling-Schröter die Haunstädter zu einer Art Schwergewicht. „Ich könnte mir nicht vorstellen, irgendwo anders zu wohnen“, sagt Schlittenlohr. „Die Verkehrsanbindung ist hervorragend. Wir sind hier wie auf dem Dorf, aber innerhalb von Minuten mitten in der Stadt.“

Der Stolz, mit dem die einstigen Provinzler auf ihre Heimat blicken, ist ohnehin nicht unbegründet. Immerhin besaßen sie einen eigenen Bahnhof an der Strecke Ingolstadt - Riedenburg, dazu ein Schloss, das Ritter Arno von Hunestatt vor fast 1000 Jahren erbauen ließ. Daher auch der Ortsname Haunstadt. Als sich die Gebietsreform 1972 anbahnte, stand für die Leute fest, dass sie zu Ingolstadt gehören wollen. Daran erinnert Hans Fegert in seinem Buch über die Ingolstädter Stadtteile. Ganze 47 Wahlberechtigte sprachen sich in einer Umfrage damals für einen Anschluss an Eichstätt aus. Mehr als 1200 für Ingolstadt. Der Haunstädter Bürgermeister Franz Klug sagte: „Die Stadt heiratet keine arme Braut, die froh sein muss, geheiratet zu werden, sondern eine sehr reiche Braut.“

Das hängt mit den dominierenden Betrieben zusammen: Der Raffinerie von Esso (inzwischen Petroplus) im Osten und dem „Bräu“ im Zentrum. Seit 1693 besteht die Brauerei, die seit Anfang des 19. Jahrhunderts mit dem Namen Wittmann untrennbar verbunden ist. Mit der Gebietsreform wurde aus ihr Nordbräu. Ihr eigenes Bier haben die Haunstädter also, aber einen Supermarkt sucht man vergebens.