Die Tillykaserne bestimmte Lebenswege

29.09.2009 | Stand 03.12.2020, 4:37 Uhr

Heimatpfleger Roland Thiele zeigt im Museum einen nachgebauten Spind (links) Rechts ist er als Soldat 1961 zu sehen.

Neuburg (r) "Eigentlich müssten wir uns heute mit einem Glas Sekt droben hinstellen". Reimund Schwab (60) kann eine nostalgische Regung nicht verbergen. Heute vor 15 Jahren schloss die Neuburger Tillykaserne für immer ihre Tore.

Als Kompaniechef Schwab und sein Kollege Reinhold Wawrzynek in Zeitlupe die Deutschlandfahne einholten und das Luftwaffenmusikkorps Erwin Kettls "Jägermarsch" intonierte, endete die 250-jährige Tradition Neuburgs als Heeresgarnison. Über das Namensschild "Tillykaserne" fiel ein schwarzes Tuch – ein letzter Hinweis der Soldaten, dass sie mit der Schließung dieses idealen Standortes nicht einverstanden waren.

Heute reduziert sich das Thema Tillykaserne auf ein Kapital der lokalen Militärgeschichte. Davon ist derzeit häufig die Rede, denn Stadt und Soldaten feiern 50 Jahre Bundeswehr in Neuburg. Dazu gab es am Montag, wie berichtet, einen Empfang und den Start einer interessanten Ausstellung. Kommenden Montag, 5. Oktober, sind Interessierte zum Zeremoniell des Großen Zapfenstreichs auf dem Karlsplatz eingeladen.

"Traurig" nannte Friedrich Wilhelm von Bernhardi den letzten Appell der Tillykaserne am 30. September 1994. Der Münchener war vor 50 Jahren als erster Kommandeur mit seinen Soldaten in die neugebaute Kaserne auf dem Burgwaldberg einmarschiert.

In der Folge leisteten mehr als 35 000 Rekruten aus Süddeutschland, später auch aus Thüringen und Sachsen, ihren Wehrdienst in Neuburg ab. Die Landser blieben nur 35 Jahre – Verteidigungsminister Volker Rühe zog das Heer aus dem Doppelstandort Neuburg ab. Die Heimatschutzbrigade 56 löste sich als Produkt des "Kalten Krieges" auf.

Viele Soldaten blieben für immer. Helmut Burger, Walter Rädisch und Siegfried Löffler kamen am Montag zum Empfang ins Rathaus. Die drei waren 1959 als Soldaten mit dabeigewesen, als der erste Trupp am 28. September nach einem Appell im Schlosshof über die Donauwörther Straße in die Tillykaserne einmarschierte. "Neuburg ist meine Heimat geworden, ich kann mir gar nichts anderes vorstellen", sagt Walter Rädisch, der vom Grenzschutz an die Donau gekommen war. Die Tillykaserne hat sein privates Leben mitbestimmt.

Mehrere solcher Lebenswege zeigt die aktuelle Ausstellung im Stadtmuseum auf. Der Berliner Roland Thiele (67) zum Beispiel war 1960 als Zeitsoldat nach Neuburg gekommen, verließ 1968 als Unteroffizier das Militär, blieb in Neuburg, wurde Fischergassler, Amtsleiter, Heimatpfleger und Vorsitzender des Historischen Vereins. Dieter Roth (68) rückte im April 1960 als Zeitsoldat in die Tillykaserne ein und ging bis 2004 zur Standortverwaltung. Der langjährige Chef der Wasserwacht übte politische Wahlmandate aus, genauso wie der heutige 2. Bürgermeister Heinz Enghuber, der aus 1973 aus Pinneberg gekommen war und Sicherheitsoffizier im Jagdgeschwader wurde.

"Ein bitterer Moment" sei die Schließung der Tillykaserne gewesen, erzählte Oberstleutnant Johann Schlamp (54) OB Bernhard Gmehling. Der Attenfelder muss es wissen, denn er leitete damals als "Abwickler" den letzten Appell der "Tillyranch". Die eingepackte Truppenfahne hatte er an Geschwaderkommodore Claus Volk übergeben. Vier Phantom-Düsenjäger entboten im tiefen Formationsflug ihren Abschiedsgruß. Die Landser gingen, die Flieger blieben. Sie pflegen den Kontakt zur Bevölkerung, so Volk, und das falle nicht schwer "in einer Stadt, in der die Soldaten herzlich aufgenommen und nicht nur geduldet sind."