Ingolstadt
Die Sucht nach Prozenten

SETanztheater widmet sich dem Politzirkus: "Frei und wild" hat am Freitag im Ingolstädter Kulturzentrum neun Premiere

15.11.2016 | Stand 02.12.2020, 19:03 Uhr

Vier Politstars kämpfen um die Stimmen des Parteivolks: In der Produktion "Frei und wild" mit Stephanie Roser, Kirill Berezovski, Thomas Rohe und Mathis Wagenbach von der Nürnberger Compagnie SETanztheater geht es auch um Populismus. - Foto: SETanztheater

Ingolstadt (DK) In seinem wohl berühmtesten Stück "Die Nashörner" erzählt der französisch-rumänische Schriftsteller Eugène Ionesco (1909 - 1994) von der Verwandlung einer ganzen Stadt in eine Schar schnaubender, mörderischer Dickhäuter. Die wilden Tiere faszinieren die Bewohner so sehr, dass sie unbedingt Teil dieser Horde werden wollen.

Alle reihen sich ein - aus Instinkt oder aus Angst. Alle - bis auf einen. Frei nach Ionescos böser Parabel von 1957 über opportunistische Anpassung und die Verführungskraft totalitärer Massenbewegungen erzählt der Choreograf Sebastian Eilers mit einem vierköpfigen Ensemble in der Tanztheaterproduktion "Frei und wild" vom modernen Politzirkus. Am Freitagabend ist Premiere im Kulturzentrum neun.

"Das Thema hat sich aufgedrängt", erklärt Sebastian Eilers, der mit seiner freien Compagnie SETanztheater eine zweijährige Kooperation mit dem Stadttheater Ingolstadt im Rahmen des "Doppelpass"-Programms (gefördert von der Kulturstiftung des Bundes) eingegangen ist. "Politik ist in letzter Zeit so präsent, wie ich es vorher noch nicht erlebt habe", sagt er und verweist etwa auf das Erstarken populistischer Bewegungen in Europa, wie man es an der AfD und Front National festmachen kann, und natürlich auf das jüngste Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen.

Zu Recherchezwecken hatte Eilers mit seinem Team unter anderem im Vorfeld versucht, eine Nürnberger AfD-Veranstaltung mit Frauke Petry zu besuchen, war aber nach mehreren Sicherheits- und Ausweiskontrollen nicht eingelassen worden. "Die sind zielgenau auf uns zugesteuert. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht sah ich nicht ganz so frustriert aus wie die AfD-Klientel", erzählt er.

In "Frei und wild", der ersten von insgesamt drei gemeinsamen Tanztheaterproduktionen, beschäftigt sich der Choreograf deshalb mit dem Politzirkus. Im Untertitel heißt der Abend "ein rhinozeresker Parteitanztag".

Vier Politstars einer fiktiven Partei - die Figuren Behringer, Daisy, Schmetterling und Hans sind Ionescos Stück entnommen - treten beim Parteitag in der Ingolstädter Halle neun auf, die in den Parteifarben Blau und Gelb geschmückt sein wird. Jeder von ihnen versucht, das Publikum auf sich einzuschwören und Stimmen zu sammeln. Denn am Ende wird gewählt - und nur der Sieger zieht nach Berlin. Neben den vier Tänzern Kirill Berezovski, Thomas Rohe, Stephanie Roser und Mathis Wagenbach gibt es auch noch eine Gruppe von neun jungen Ingolstädtern, Teilnehmer eines zuvor absolvierten Workshops, die hier die "Jungtiere" der Partei verkörpern. Sie sind im Rang niederer, aber wichtige Helfer im Wahlkampf. "Manpower ist da ein und alles", sagt Eilers.

Dazu gibt es Musik von einer Deutschrockband, die Eilers extra für die Produktion zusammengestellt hat. Die Kompositionen stammen von Gerhard Schmitt, Eilers selbst hat die Texte für die vier Songs geschrieben und sich dabei von Bands wie Rammstein oder Frei.Wild inspirieren lassen. "Einer der Songs entstand beispielsweise aus Björn-Höcke-Zitaten und dreht sich um Männlichkeit." In "Haute Couture" geht es darum, dass Kleider kleine Leute machen, und im "Prozent-Song" um die Sucht nach Prozenten und Hochprozentigem. Die Songtexte sind die einzigen Texte an diesem Abend, der sich natürlich in erster Linie über den Tanz erzählt.

"Es gibt übrigens sehr viele Parallelen zwischen Politik und Theater: Auch wir inszenieren, schlüpfen in Rollen, wir umgarnen das Publikum, machen Zirkus, wollen populär sein - und dazu fahren wir verschiedenste Strategien", so Eilers.

Die nächste Tanztheaterpremiere im Rahmen des "Doppelpass"-Programms wird vermutlich Anfang der nächsten Spielzeit sein. Dann im Stadttheater und mit Ingolstädter Schauspielern und zum Thema "Mensch und Maschine".

Uraufführung von "Frei und wild" ist am Freitag um 20 Uhr im Kulturzentrum neun. Karten gibt es in allen DK-Geschäftsstellen, im Westpark und bei der Tourist-Info.