Ingolstadt
Die Stunde der Gutachter

Verhandlung um Faustschlag in Partynacht nähert sich zentraler Frage: Was führte zum Tod? Der Schlag oder der Sturz?

18.03.2019 | Stand 02.12.2020, 14:24 Uhr

Ingolstadt (DK) Eine enthemmte Partynacht findet in den frühen Morgenstunden des 11. Juni 2016 ein schreckliches Ende: Eine Gruppe junger Menschen feiert mit viel Alkohol und Drogen seit dem frühen Abend.

Doch eine Streiterei zwischen zwei Männern, 24 und 27 Jahre alt, spitzt sich zu. Bis die beiden die Bar Touch Down in der Gerbergasse verlassen, um ihren Konflikt draußen Auge in Auge auszutragen. Der 24-Jährige, ein Gelegenheitsarbeiter, schlägt zuerst zu - ob ein oder zwei Mal, ist noch unklar. Sein Kontrahent, ein Gasthausmitarbeiter, sackt zusammen; er stirbt drei Tage später im Klinikum an einer Gehirnblutung. Die Große Strafkammer des Landgerichts ergründet seit Februar, was genau in jener Nacht geschehen ist, und wie viel Schuld den heute 28-jährigen Angeklagten am Tod des Mannes trifft.

Verhandlungstag sieben: die Stunde der Gutachter. Doch zuerst muss die Kammer über den Befangenheitsantrag entscheiden, den Strafverteidiger Klaus Wittmann (Kanzlei Levelingstraße) gegen den rechtsmedizinischen Sachverständigen, Prof. Randolph Penning, gestellt hatte. Der stellvertretende Leiter des Instituts für Rechtsmedizin in München hatte die Theorie des sachverständigen Zeugen, Neurochirurgen und operierenden Arztes des Verletzten im Klinikum als "Märchenstunde" bezeichnet. Dieser vertritt die Auffassung, die Hirnblutung des Zusammengeschlagenen sei eine "untypische Folge eines Schädelhirntraumas" gewesen. Das Gericht unter Vorsitz von Jochen Bösl weist den Befangenheitsantrag jedoch als unbegründet zurück. Das Misstrauen sei nicht gerechtfertigt, so Bösl. Penning habe sich nur auf die seiner Meinung nach "wissenschaftlich nicht haltbare Theorie" des Zeugen bezogen. "Seine fachliche Beurteilung lässt keine Rückschlüsse auf eine Befangenheit zu. "

In der Erläuterung seines Gutachtens geht Penning - er hat auch die Obduktion des Verstorbenen geleitet - auf die Zeugenaussage des Arztes im Klinikum ein: "Hirnblutungen führen oft zu Krampfanfällen, aber es ist nirgendwo die umgekehrte Reihenfolge beschrieben. Das wäre völlig ungewöhnlich! " Er selbst "überblicke 15000 Obduktionen", so der Sachverständige. Als er den Erklärungsansatz des Ingolstädter Neurochirurgen in seinem Münchner Institut vorgetragen habe, "sind dort über 100000 Obduktionen zusammengessen - doch keiner der Kollegen hat jemals davon gehört oder darüber gelesen, dass ein Krampfanfall zu einer Hirnblutung geführt hätte".

Penning muss einer zentralen Frage nachforschen: Was hat zu der tödlichen, nicht operablen Hirnblutung geführt? Der Schlag ins Gesicht? Oder der Sturz? Oder haben sich Gewalteinwirkung und Aufprall fatal verbunden? "Eine exakte Einstufung ist nicht möglich", stellt er fest. "Der Sturz war nicht so heftig, dass die Sturzverletzung todesursächlich war. " Ein Faustschlag und ein nach hinten aufknallender Mensch "sind der Klassiker". So etwas "kann immer zu tödlichen Verletzungen führen", es muss aber nicht. Resümee: "Man kann nicht sicher sagen, was unmittelbar todesursächlich war - auch mangels experimenteller Untermauerung. "

Richter Jürgen Häuslschmid übersetzt diesen Teil des Fachjargons überaus allgemeinverständlich: "Es gibt dazu keine Studien, weil man keine Experimente macht, wo man Leuten eine draufhaut und dann die so erzeugten Newtonmeter misst. "

Zwei Zahlen im rechtsmedizinischen Gutachten kommt hohe Bedeutung zu: Der Beschuldigte hatte zum Tatzeitpunkt einen Alkoholpegel von 1,2 Promille. Er habe keine relevanten Ausfälle und konnte direkt nach der Tat "aus dem Effeff der Polizei falsche Personalien angeben", sagt Penning. "Er schien genau zu wissen, was er tat. " Motorisch sei der Angeklagte nicht stärker beeinträchtigt gewesen, "ein Vollrausch ist absolut nicht anzunehmen. " Der später Verstorbene sei jedoch stark alkoholisiert gewesen: 2,7 Promille. Das habe wesentlich dazu beigetragen, dass er mit "nicht mehr koordinierten Abwehrreflexen" zu Boden sackte.

Der psychiatrische Gutachter Béla Serly führt die Analyse des Verhaltens des Angeklagten in der düsteren Nacht fort: "Die Zeugenaussagen ergeben da ein durchgängiges Bild: Der Beschuldigte hat keine Ausfallerscheinungen im Tatzeitraum gezeigt, seine Handlungskompetenz war nicht aufgehoben, er war aber wegen des Alkohols enthemmt und er wurde vorher lange provoziert". Der Angeklagte hat eine bedrückende Lebensgeschichte, 16 Einträge im Strafregister und ein sehr ernstes Drogenproblem. Serly rät daher zu einer eineinhalbjährigen stationären Therapie. "Denn wenn er unbehandelt bleibt, ist das Risiko sehr hoch, dass er in alte Muster zurückfällt. " Der 28-Jährige hat seine Bereitschaft bereits angedeutet. Die Verhandlung wird am Freitag (9.15 Uhr) fortgesetzt.