"Die Stadt fühlt sich jetzt anders an"

26.10.2009 | Stand 03.12.2020, 4:33 Uhr

Signieren den Katalog zum Projekt: Fleißer-Preisträgerin Kerstin Specht und Künstler Rudolf Herz. - Foto: ksd

Ingolstadt (DK) Sie überspannten einen Monat lang die Donau in ebenso riesigen wie rätselhaften Notationen: Die 31 Anagramme des Münchner Künstlers Rudolf Herz zu "Ingolstadt". Nun sind "Tatlins Dog", "Lottas Ding" und "Island Gott" wieder da: Gemeinsam zu sehen diesmal als Bilderwand im Museum für Konkrete Kunst.

Im Rahmen eines "Szenenwechsels" zeigt das Haus noch bis zum 8. November die fotografische Dokumentation des Ingolstädter Fotografen Helmut Bauer über das ungewöhnliche Kunstprojekt. Zugleich ist das 150 Seiten starke Katalogbuch zur Installation erschienen, das ebenfalls im Museum erhältlich ist – und Rudolf Herz’ assoziative Umdeutungen des Stadtnamens mit einem Text der Theaterautorin und Fleißer-Preisträgerin Kerstin Specht ergänzt.


"Die sind schon etwas schlärfig / die da über die Brücke gehen / Die Strähnenmähnen/ Miesmuscheln / die auf dem Schlachtfeld der Liebe Verwundeten" beginnt Spechts Text "Als der Nil über die Donau ging" – eine poetische Reminiszenz an das Projekt und seine Wirkung. Zur Vernissage gab’s ihn komplett zu hören, gelesen von der Literatin höchstpersönlich, die wie Herz einführte in die Schau. Noch einmal ein ganz anderer Eindruck sei die Präsentation der Anagramme "simultan an der Wand", so der 55-Jährige. "Eine Erzählung ist etwas anderes als das Ereignis!" In der Tat: Komplex nachdenken lässt sich nun, dank der von Bauer hochatmosphärisch aufgenommenen Buchstabenzüge im Ambiente von Donau, Klenzepark und Gießereigelände, über die Selbstverständlichkeit von Stadtidentität, die man doch auch so anders wahrnehmen könnte. Während bei der tatsächlichen Installation, die als Wettbewerbsgewinn der Reihe "Kunst im Fluss" vom 6. August bis 5. September auf dem Donausteg realisiert wurde, das Überraschungsmoment und spontane Assoziationen im Vordergrund standen. Jeden Tag ein anderes Anagramm – von "in satt gold" über das amüsiert aufgenommene "glad no tits" bis "tango distl" – in drei Meter hohen weißen Versalien bot die Installation; dankenswerterweise dokumentiert der Katalog auch ausgiebig die Knochenarbeit des Hängeteams um Museumsmann "Simon" Templer, das jeden Morgen für den Umbau sorgte.
 
"Ich war selbst überrascht, wie gut ,Tatlings Dog‘ funktioniert hat", so Herz zur Vernissage. Denn auch für den Künstler seien Projekte im öffentlichen Raum (wiewohl im Fall Anagramme festen Regeln folgend) unberechenbar, erklärte der Münchner in einem klugen und aufschlussreichen Vortrag über die Bedingungen solcher Art von Kunst. Denn im öffentlichen Raum arbeitet Herz, der unter anderem 2004 mit dem Projekt "Lenin on Tour" Furore machte, nahezu ausschließlich, um dem "Akademismus" etablierter Kunst an etablierten Stätten zu entgehen. Dass sein Projekt nun doch in den musealen Rahmen zurückgekehrt ist, mag ein Wermutstropfen sein. Aber: "Die Stadt / fühlt sich jetzt anders an" endet der Text von Kerstin Specht.