"Die SPD wird niemals untergehen"

Bei den Wahlergebnissen und in Umfragen geht es für die Sozialdemokraten immer weiter abwärts. Das gilt auch für die Bayern-SPD. Nun sucht die Partei nach Rezepten für eine Trendwende. Darüber haben wir mit ihrem Fraktionschef im Landtag, Horst Arnold, gesprochen.

12.02.2019 | Stand 02.12.2020, 14:39 Uhr
Über den Dächern von Fürth: Horst Arnold, Vorsitzender der bayerischen SPD-Landtagsfraktion, in seiner Heimatstadt. −Foto: Hälbich

Bei den Wahlergebnissen und in Umfragen geht es für die Sozialdemokraten immer weiter abwärts. Das gilt auch für die Bayern-SPD. Nun sucht die Partei nach Rezepten für eine Trendwende. Darüber haben wir mit ihrem Fraktionschef im Landtag, Horst Arnold, gesprochen.

Herr Arnold, als Sie 1978 in die SPD eintraten, regierte in Bonn SPD-Bundeskanzler Helmut Schmidt, die SPD lag im Bund bei 42 Prozent, bei der Landtagswahl in Bayern bei 31 Prozent. Aktuelle Umfragen sehen die SPD im Bund bei zwölf und in Bayern nur noch bei sechs Prozent. Was ist los mit der SPD?
Horst Arnold: In den 41 Jahren, die zwischen diesen beiden Bestandsaufnahmen liegen, hat sich die politische Landschaft stark verändert. Ich habe noch Sozialdemokraten gekannt, die selbst im Krieg gekämpft und unter den Nazis gelitten haben. In den 1970ern herrschte noch der Kalte Krieg, es gab die Furcht um den Frieden und die Frage, wie man mit dem Ost-West-Konflikt umgehen soll. Zudem waren viele Errungenschaften der sozialen Gerechtigkeit, die wir heute für selbstverständlich halten, damals gesetzlich noch nicht verankert. All das hat die Menschen damals politisiert. Heute wird Gemeinwohl anders interpretiert. Die Ansichten über den Stellenwert von individuellen Interessen auf der einen und gesellschaftlichem Interesse auf der anderen Seite haben sich deutlich verändert - Individualität wird immer größer geschrieben. Wenn es früher eine Bürgerinitiative gab, dann gelang es in der Regel auch, die Leute in die Reihen der Parteimitglieder zu bringen. Heute löst sich eine Initiative am Ende auf und alle verschwinden wieder in den unpolitischen Raum, aus dem sie kamen.

Läuft die Mission der SPD auf ihr historisches Ende zu?
Arnold: Die SPD wird niemals untergehen! Die SPD hat eine große Tradition, sie hat die Verfassung und dieses Land wesentlich mitgeprägt. Aber die SPD muss wissen, dass eine großartige Vergangenheit nicht genügt, sondern dass sie Gegenwart und Zukunft jeden Tag neu bestehen muss. Dazu gehört, Probleme offen und ehrlich anzusprechen - und zu begreifen, dass die eigenen Ansichten nicht immer die alleine heilbringenden Lösungen sind.

Und was ist das Problem? Es muss ja angesichts der Wahl- und Umfrageergebnisse der SPD ein erhebliches Problem geben.
Arnold: Das muss man langfristig betrachten: Dass wir mit unserem Bundeskanzler Gerhard Schröder 1998 wieder die Regierung übernommen hatten, lag daran, dass wir nach Jahren des Stillstands in der Kohl-Regierung neue, frische Gedanken und Ideen hatten. Und wir haben in diesen Regierungsjahren ja nun wirklich dieses Land verändert und vorwärts gebracht. Bis?

?bis die Agenda 2010 kam.
Arnold: Das war ein Umbau des Systems, mit wirklich harten Maßnahmen, die aber angesichts der damaligen Krise und fünf Millionen Arbeitslosen notwendig, richtig und zielführend waren. Die Zusammenführung von Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe hat zu einer Entlastung der Kommunen geführt.

Man könnte es auch so formulieren: Ehemalige Wähler nehmen es der SPD übel, dass sie mit ihren Arbeitsmarktreformen der Ära Schröder kleine Löhne und große Schikanen zu einem politischen Programm gebündelt hat. Statt der Anwalt der kleinen Leute zu sein, hat die SPD sie verraten.
Arnold: Das war kein Verrat. Aber viele, zu viele Dinge sahen am grünen Tisch besser aus als in der Praxis vor Ort und der Lebenswirklichkeit der Menschen. Und viele der Liberalisierungs-Maßnahmen, von den Befristungen bis zu den 450-Euro-Jobs, wurden im Vertrauen auf eine redlich funktionierende Wirtschaft durchgeführt. Ziel war, möglichst viele Menschen möglichst schnell wieder in Lohn und Brot zu bringen.

Was ja eindeutig funktioniert hat...
Arnold: Die Maßnahmen damals waren angemessen, weil es sich sozusagen um einen wirtschaftlichen Notstand handelte. Das Problem ist aber, dass diese Notfallmaßnahmen, die Befristungen und Niedriglöhne, zu einem Dauerinstrument der Arbeitsgeber geworden sind.

Gleichwohl haben wir heute so viele sozialversicherungspflichtig Beschäftigte wie nie zuvor, das Lohnniveau ist höher als je zuvor und uns geht es eindeutig besser als den europäischen Nachbarn.
Arnold: Aber von dem Wohlstandsplus, das durch die harten Maßnahmen der Agenda 2010 erst möglich wurde, kommt nicht genügend bei denen an, die diese harten Maßnahmen erdulden mussten. Die Verteilung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ist aus unserer Sicht ungerecht.

Zugleich erleben wir, dass SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz den Spitzensteuersatz erhöhen möchte.
Arnold: Das ist aus meiner Sicht ein wichtiges Zeichen: Im Grundgesetz steht, dass Eigentum verpflichtet. Diejenigen, denen es sehr gut geht, müssen mehr soziale Verantwortung übernehmen. Das Problem, das noch zu lösen ist, ist, dass Arbeit zu hoch und Kapital zu niedrig besteuert wird. Wir müssen große Vermögen stärker heranziehen und brauchen unter anderem eine Finanztransaktionssteuer. Ich sage aber auch: Unternehmen, die Gewinne reinvestieren, sollen dabei steuerlich entlastet werden.

Wie erklären Sie sich den hervorragenden Lauf der Grünen?
Arnold: Die Grünen kommen aus der Friedens- und Umweltschutzbewegung. Das sind im Grunde nur politische Teilsegmente. Nachdem nun Klimakatastrophen immer mehr in der Wahrnehmungs- und Lebenswirklichkeit der Menschen ankommen, hat insbesondere das Thema Umweltschutz natürlich eine besondere Konjunktur. Zugleich schaffen es die Grünen geschickt, oberflächlich zu bleiben, wo die SPD nach einem Kompromiss zwischen Ökologie, Ökonomie und Sozialem sucht. Wir sind keine Beglückungspartei, sondern eine Kümmerer- und Verantwortungspartei.

DK



Die Fragen stellte

Alexander Kain.