Strategische Bedeutung
Die Rolle der Raffinerien in der Region für ein mögliches Öl-Embargo

28.04.2022 | Stand 23.09.2023, 1:01 Uhr
Vor allem die PCK-Raffinerie im brandenburgischen Schwedt bereitet der Politik auf dem Weg weg von russischem Öl noch manches Kopfzerbrechen. −Foto: Pleul, dpa

Ingolstadt/Berlin - Was vor einigen Wochen noch unvorstellbar klang, scheint zu klappen: Laut Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck ist es gelungen, den Anteil russischen Öls hierzulande von 35 Prozent vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine auf noch rund zwölf Prozent zu drücken.

"Das ist noch immer viel, aber nicht mehr so viel, dass es unmöglich wäre, es aufzufangen", sagte er diese Woche in weißem Hemd mit hochgekrempelten Ärmeln in einer Videobotschaft. Ein früher mit Schrecken erwartetes Embargo oder ein Lieferstopp Russlands ist laut dem Grünen-Politiker "handhabbar" - kleinere Engpässe und Preissteigerungen sind da wohl eingepreist.

Die verbleibenden zwölf Prozent entfallen demnach auf die Großraffinerie im brandenburgischen Schwedt. Diese wird aus der russischen Pipeline namens "Druschba" gespeist und gehört mehrheitlich dem russischen Ölkonzern Rosneft. Dafür sucht man nun in Berlin nach einer Lösung. Da Rosneft verständlicherweise kein Interesse hat, ohne russisches Öl auszukommen, kann diese beinahe nur in einem Betreiberwechsel liegen - also in einem Kauf der Anlage. Branchenmanager sehen es gegenüber unserer Zeitung ähnlich. Dann könnte die Schwedter Anlage künftig über den Rostocker Hafen versorgt werden, erklärte der 52-jährige Minister weiter. Die Republik wäre unabhängig von Öl-Importen aus Russland. Laut Medienberichten prüfe das Wirtschaftsministerium eine Übernahme derzeit.

Politik hat Ingolstädter Gunvor-Raffinerie im Blick

Gelingt dies nicht, könnte die Anlage, die Berlin sowie Teile Ostdeutschlands und Polens versorgt, bei einem Embargo oder Lieferstopp in den Stillstand gehen. Habeck benötigt also verlässliche Notfalllösungen. Und hier kommen Bayern und die Region ins Spiel. Denn die Raffinerien bei Ingolstadt werden über die Transalpine Öl-Leitung (TAL) versorgt, welche aus im Hafen von Triest anlegenden Tankern gespeist wird. Dort kann Rohöl aus allen Teilen der Welt verladen werden - gut für die Unabhängigkeit. Wie der Ingolstädter CSU-Politiker und Bundestagsabgeordnete Reinhard Brandl unserer Zeitung berichtete, weiß man in Berlin darum. Vor allem die Gunvor-Raffinerie bei Ingolstadt stehe im Fokus. "Denn neben dem Vorteil, dass der Betrieb an der TAL-Pipeline hängt, ist aktuell keine Verbindung der Gunvor nach Russland erkennbar. " In Bayern bestehe also ein wichtiges "Asset" für die Zukunft. "Die Gunvor-Raffinerie wird im politischen Berlin nicht als Problem, sondern als Teil der Lösung gesehen", meinte Brandl. Heißt: Die Raffinerie an der A9 wird als strategisch wichtig eingestuft. Ob die Beteiligung Rosnefts an der TAL Auswirkungen hat, scheint unklar. Russisches Rohöl verarbeite Gunvor aber gegenwärtig nicht, wie die Raffinerie gegenüber unserer Redaktion bereits vor Wochen bestätigt hatte.

Tatsächlich gab es zu Beginn des Kriegs in der Ukraine auch Zweifel an der Unabhängigkeit der Gunvor-Gruppe. Sie wurde einst von einem Schweden und einem Russen - Torbjörn Törnqvist und Gennadi Timtschenko - aus der Taufe gehoben und wird heute vor allem aus Genf verwaltet. Eigentlich ist Gunvor ein Rohöl-Händler und stieg erst später in das Raffinerie-Geschäft ein. Timtschenko hatte seine Anteile im Zuge früherer Sanktionen allesamt an Törnqvist abgegeben.

Welche Position hat Bayernoil?

Auch die Gesellschaft mit Raffinerien in Neustadt an der Donau (Kreis Kelheim) und Vohburg (Kreis Pfaffenhofen) bezieht ihr Rohöl über die TAL. Allerdings ist Rosneft Deutschland mit 28,57 Prozent an dem Unternehmen beteiligt. Vielleicht aus Sicht der Politik ein Pferdefuß? Alexander Struck, einer der Geschäftsführer der Bayernoil Raffineriegesellschaft, betonte im Gespräch mit unserer Zeitung, man halte sich an das Primat der Politik. "Derzeit bestehen keine Sanktionen gegen russisches Rohöl und auch nicht gegen Rosneft Deutschland. Insofern kommen wir weiter unseren Aufgaben bei der Versorgung Süddeutschlands nach. " Genauso würde sich Bayernoil selbstverständlich auch an ein Embargo halten. Die Rosneft Deutschland sei überdies eine Gesellschaft nach deutschem Recht, was auch das Wirtschaftsministerium deutlich gemacht habe. "Für uns wäre ein Embargo daher kein Problem, da wir über die TAL unkompliziert an Rohöle anderer Herkunft gelangen könnten", sagte Struck.

Zudem betonte er, dass Bayernoil vergangenes Jahr lediglich zwei Prozent russisches Öl verarbeitet habe und die Menge aktuell nur geringfügig höher sei. "Welches Öl wir verarbeiten, bestimmen letztlich unsere Gesellschafter. " Dazu muss man wissen: Bayernoil kauft nicht selbst ein, sondern wird von den Gesellschaftern Varo Energy (51,43 Prozent), Rosneft Deutschland (28,57) und Eni Deutschland (20 Prozent) beliefert. Sie übernehmen auch den Vertrieb.

Transport als weitere Herausforderung

Politiker Brandl sieht derzeit noch eine weitere Schwierigkeit. Sollte für Schwedt keine Lösung gefunden werden und der Standort ausfallen, müssten die Ersatzprodukte auch nach Berlin und in den Osten der Republik gelangen. Die Verkehrswege - vor allem Wasserwege - seien aber nicht so ausgebaut, wie es dafür nötig sei. "Auch Lastwagen oder Züge sind nicht einfach so verfügbar. Das ist eine Herausforderung. "

Die zweite Raffinerie in Ostdeutschland - Leuna in Sachsen-Anhalt -, die ebenfalls an der "Druschba"-Pipeline angeschlossen ist, hat laut Habeck bereits Lieferverträge umgestellt. Diese könnten auch vorgezogen werden. Dann würde Leuna über die Häfen Danzig und Rostock versorgt.

DK

Christian Tamm