Die Revolution frisst ihre Väter

17.04.2011 | Stand 03.12.2020, 2:55 Uhr

Der Vater ist der falsche Partner für einen Movie-Abend. Jonathan McGuiness und Angela Terence in "Fatherland". - Foto: Robert Workman

München (DK) Jeder Lebensabschnitt hat seine Hauptthemen, jede Phase ihre Dynamik, der man sich kaum entziehen kann. Jung, vielleicht sogar radikal, auf jeden Fall ungnädig gegenüber dem Establishment – so sehen sich neue Generationen gerne.

Und natürlich muss ein Festival junger Regisseure Spuren dieser ewig-gültigen postpubertären Revolution zeigen. So auch beim Münchner Festival "Radikal jung" im Volkstheater. Der letzte Festivaltag stand mit zwei Produktionen aus London und Leipzig im Zeichen der Väter und ihrer Kinder.
 
"Fatherland" von Tom Holloway blickt in den zerstörerischen, überkommenen Ritus einer Vater-Tochter-Beziehung. Teenager Angela löst sich von Vater Mark, will nicht mehr "Daddys Little Girl" sein, nicht mehr mit ihm kuscheln beim Videogucken – endlich ihr eigenes Leben führen. Doch Mark, ihr einsamer, von kaltem Irrsinn durchglühter Vater, lässt nicht von ihr ab, häuft die Edelsteine seiner übergroßen Zuneigung um sie, bis sie das so entstehende Gefängnis nur noch mit Gewalt durchbrechen kann. Regisseurin Caroline Steinbeis führt ihre Darsteller mit großer Präzision in einer kargen, aus der Zeit gefallenen Bühnenästhetik, sie inszeniert ohne doppelten Boden und ohne Tricks. Ihre Figuren leben den Moment – so wie sich auch der Stücktext einer Vorgeschichte verweigert. Dass die gleichsam aus der Zeit gestanzte Handlung so immer eine Distanz zum Zuschauer bewahrt und die Personenkonstellation die Identifikation verweigert, nimmt sie in Kauf.
 

Noch konsequenter auf der Flucht vor "gefälligem Theater" ist der gebürtige Erfurter Robert Borgmann mit seinem Dekonstruktionswerk "Vatermord". So heißt ein heute vergessenes Stück von Arnolt Bronnen – dem aus Wien stammenden Dramatiker. Sein "Vatermord", geschrieben im Alter von 25 Jahren, ist ein Entwicklungs- und Emanzipationsstück voller inzestuöser und homoerotischer Radnotizen und eskaliert dramatisch in der Hinrichtung des kleinbürgerlich-dumpfen Familientyrannen Ignaz Fessel. Robert Borgmann erzählt den ersten Teil des Abends als stummes Spiel, das die Zuschauer aus großer Entfernung zu verfolgen haben. Er spielt dabei auf die "Vierfachmörder von Eislingen" an, jene beiden Freunde, die am Gründonnerstag 2009 die Eltern und Schwestern des einen gemeinschaftlich ermordeten.

Dann zieht das Publikum auf die Hinterbühne um, wo passgenau die Rückseite des Grauens zu erleben ist – wortreich und bildstark, die Grenze des Ekels und der Langeweile auslotend und schmerzhaft überschreitend. Mit Wortkaskaden übergossen und Theaterblut bespritzt drängt sich dem Publikum eine bücherlastige und schwer dechiffrierbare Welt der Zitate auf – von Schiller (Räuber) und Wagner (Rienzi) über Heidegger und Goethe – die auch nicht davor Halt macht, Hitler auf einem Dreirad über die Bühne kurven zu lassen bevor er ein Hollaender-Couplet aus den 20er Jahren vorträgt.

Die Palme für die beste Regie, verbunden mit einem Preisgeld von 2500 Euro, erhielt aber nach Willen des Publikums Nicole Oder für ihre "ArabQueen". Das Integrationsstück hatte das Festival vor einer Woche eröffnet.