Ingolstadt
"Die Realschule ist für viele der Königsweg"

Die Rektoren Ludwig Hörner und Heinz Hinzen gehen in Pension – Ein Gespräch über Lehrer und Schüler

25.07.2014 | Stand 02.12.2020, 22:25 Uhr

Zwei Stühle, eine Meinung: Ludwig Hörner (l.) und Heinz Hinzen lassen nichts auf die bayerische Realschule kommen. Hörner war fast 22 Jahre lang Rektor der Gnadenthal-Mädchenrealschule. Hinzen leitet seit 2007 die Fronhofer-Realschule. Jetzt gehen beide in Pension - Foto: Hauser

Ingolstadt (DK) Sie haben viel erlebt. Und wissen leidenschaftlich davon zu berichten: Ludwig Hörner (62), fast 22 Jahre lang Leiter der Gnadenthal-Mädchenrealschule, und Heinz Hinzen (60), seit 2007 Chef der Ludwig-Fronhofer-Realschule, davor Rektor in Neuburg und Konrektor an der Ickstatt-Realschule. In dieser Woche sind die zwei mit Feiern, bei denen es Anerkennung nur so hagelte, in den Ruhestand verabschiedet worden. Für den DK resümierten sie ihr Berufsleben. Ein Gespräch über den Wandel der Realschule, die Vorzüge dieser Schulart, Sorgen von Rektoren und schöne Erfahrungen.

Welche Erinnerungen verbinden Sie mit Ihren ersten Tagen als Realschullehrer?

Ludwig Hörner: Ich habe das Bild noch genau vor mir, als ich 1977 mit den Schülerinnen am ersten Schultag zum Anfangsgottesdienst gegangen bin. Ich kann sogar noch alle Namen sagen. Ich war glücklich, denn ich war am Ziel: in dem Beruf, den ich mir gewünscht habe.

Heinz Hinzen: Ich habe gute Erinnerungen. Im Rückblick wird mir aber deutlich, dass die Ausbildung, die die jetzigen Referendare genießen, eine deutlich höhere Qualität hat als bei uns damals. Die werden heute ganz anders vorbereitet, gerade in Pädagogik und Unterrichtsmethoden. Aber damals haben wir es auch gemeistert. Man reift ja im Laufe der Zeit.

Wie dürfen wir uns die bayerische Realschule in den 1970er Jahren vorstellen?

Hörner: Damals war bereits eine Umbruchsituation, in der alte Zöpfe abgeschnitten wurden. Ich habe die Stelle im Gnadenthal ja nur bekommen, weil Mathematik als Pflichtfach für alle Jahrgangsstufen eingeführt wurde. Vorher konnte man an den Mädchenschulen Mathematik nur in der siebten Klasse haben. Damals gab es noch einige Jahre lang die Wahlmöglichkeit, ob man mit Mathe oder ohne die Realschule macht. Da hat es von der Großmutter geheißen: „I hab’s a ned g’habt“, und der Bruder hat zur Schwester gesagt: „Du bist ja eh z’blöd dafür!“ Aber dann hat sich doch recht schnell die Überzeugung durchgesetzt: Auch Mädchen brauchen Mathematik!

Hinzen: Und dann war eine Realschule ohne Mathematik auch schnell eine Sackgasse. Anders hatte man keine Chance mehr.

Wo steht die Realschule heute?

Hinzen: Sie ist nach wie vor eine äußerst wichtige Schulart und für viele Kinder der Königsweg. Vor allem in der Kombination Mittlere Reife, Berufsausbildung, Berufsoberschule und Studium. Gerade in dem schwierigen Alter, in dem wir die Kinder haben, ist das Lernen mit etwas näheren Zielen – also Abschluss, Lehre, Abschluss – geeigneter. Die Realschule braucht sich deshalb keine Sorgen um die Zukunft zu machen, zumindest nicht von der Nachfrage her, die wir spüren.

Sie waren Schulleiter in unruhigen Zeiten: Die Erweiterung der Realschule auf sechs Stufen (R 6) um das Jahr 2000 führte vorübergehend zu sehr großen Klassen und Personalmangel. Auch sonst hat sich viel verändert. Wie haben Sie diesen Wandel erlebt?

Hinzen: Sehr positiv, weil wir nach der Aufstockung auf sechs Jahre die Kinder in einem Alter bekommen haben, in dem man noch prägend arbeiten kann, und nicht so wie vorher erst ab der siebten Jahrgangsstufe, also fast direkt in der Pubertät. Es ist seit der Reform auch mehr Zeit für schulische Projekte.

Hörner: Das war eine spannende Zeit, weil wir eine Versuchsschule für die sechsstufige Realschule waren. Dann kam das Volksbegehren gegen die R 6, das gescheitert ist. Dieser Kampf hat besonders in Ingolstadt getobt, weil hier derjenige, der die Idee zu der Reform hatte, Rainer Rupp (damals Vorsitzender des Bayerischen Philologenverbands und Direktor des Scheiner-Gymnasiums, d. Red.), ansässig war. Da hat alles nach Ingolstadt geschaut – und natürlich auch auf unsere Schule.

Rupp, so darf man behaupten, wollte mit der R 6-Reform aber nicht in erster Linie die Realschulen stärken, sondern vor allem die Gymnasien entlasten.

Hörner: Das ist zunächst ja auch gelungen.

Hinzen: Wir hatten anfangs besonders viele Schüler, die fürs Gymnasium geeignet waren.

Hörner: Die aber am Gymnasium nicht das geworden wären, was sie dann über die Realschule wurden. Von vielen weiß ich, dass sie studiert haben. Eine Schülerin ist sogar als Kollegin zu uns zurückgekommen.

Inzwischen entscheiden sich immer mehr Schüler mit gymnasialer Eignung für die Realschule und gelangen dann – in weitem Bogen um das G 8 – über die FOS 13 an die Hochschule. Wie beurteilen Sie diesen Trend?

Hörner: Der Notenschnitt ist dabei überhaupt nicht wichtig. Viel wichtiger ist die Frage: Für welche Arbeitsweise ist ein Kind geeignet? Denn die Schulen unterscheiden sich in erster Linie durch die Arbeitsweise. Die Realschulpädagogik ist eine andere als die Gymnasialpädagogik. Bei uns ist einfach mehr Zeit, man hat nicht so den Druck. Es gibt eben Kinder, die sich langsamer entwickeln. Schüler, deren Eltern sagen: „Unser Kind hätte die Berechtigung für das Gymnasium, aber wir geben ihm die Gelegenheit, auf der Realschule anders zu arbeiten.“ Das sind dann am Schluss die sehr, sehr erfolgreichen Schüler.

Hinzen: Das sehe ich genauso. Wir beobachten ebenfalls, dass bei vielen Eltern nicht mehr der Schnitt entscheidend ist, sondern die Möglichkeit, dem Kind einen Freiraum zu geben, um etwas langsamer zu lernen. Und man kann in der Realschule, wenn man will, auch die zweite Fremdsprache vermeiden.

Hörner: Man denke etwa an den Audi-Chef. Rupert Stadler hat es über die Realschule geschafft (in der Knabenrealschule Rebdorf / Stadt Eichstätt, d. Red.). Er ist sicher auch deswegen so bodenständig.

Horst Seehofer und Ilse Aigner gingen ebenfalls auf die Realschule.

Hörner: Und Alfred Lehmann. Zwar in Stuttgart, aber das akzeptieren wir auch noch.

Hinzen: Man glaubt nicht, wie viele diesen Weg gegangen sind. Gerade nach der zehnten Klasse tut es Schülern gut, eine Lehre zu machen. Die gehen dann viel motivierter auf die BOS und ins Studium. Das sind Macher mit Bodenhaftung.

Immer mehr Schüler strömen auf die Hochschule – zu Lasten klassischer Ausbildungsberufe. Viele Branchen beklagen Nachwuchsmangel. Brauchen wir wirklich so viele Studierte?

Hinzen: Je höher man sich qualifiziert, desto besser ist es. Allerdings ist da zu viel Image dabei. Wenn einer studiert, wird das höher bewertet, als wenn einer eine Lehre absolviert. Doch das ist der völlig falsche Ansatz! Wir brauchen gut ausgebildete Handwerker! Es muss in der Arbeitswelt alles stimmig sein. Und abgesehen davon: Ein tüchtiger Handwerker sticht beim Einkommen so manchen Akademiker locker aus.

Hörner: Es gibt viel zu viele Politiker, die ein Bildungssystem danach beurteilen, wie hoch die Übertrittsquote aufs Gymnasium ist. Aber so lange das so ist und die Leute nicht kapieren, um was es bei Bildung wirklich geht, wird sich das Image derer, die sich tagtäglich draußen im Handwerk und im Handel bewähren, oder das Image derer, die uns später einmal pflegen werden, nicht verbessern!

Hinzen: Man kann nicht an den Übertrittsquoten die Qualität der Ausbildung unserer jungen Generation messen! Denn es kommt auch entscheidend auf die Persönlichkeitsbildung an, auf das Wertegerüst.

Was werden Sie im Ruhestand sicher nicht vermissen?

Hörner: Die Beurteilung der Lehrer. Also wenn man das abschütteln könnte, dass man die Kollegen ständig bewerten und alles protokollieren muss! Denn das ist eine Riesenbelastung.

Hinzen: Da bleibt viel auf der Strecke. Wir Schulleiter sehen uns ja nicht nur als Verwalter, sondern als Menschen, die gern mit ihren Kollegen zusammenarbeiten. Und diese Verjuristerei bestimmter Dinge, das ständige Protokollierenmüssen – das ist oft wirklich Irrsinn.

Welches Erinnerungsstück aus Ihrem Büro heben Sie auf?

Hörner: Eine uralte Landkarte, die ich aufbewahrt habe, weil sie nicht mehr gebraucht wurde und sonst entsorgt worden wäre. An so etwas komme ich als Erdkundelehrer natürlich nicht vorbei.

Hinzen: Ich nehme sicher nichts mit, jedenfalls keinen Gegenstand. Aber ich nehme Erinnerungen mit, denn ich habe an der Fronhofer-Realschule sieben tolle Jahre erlebt, mit einem tollen Kollegium – und das werde ich nie vergessen.

Das Gespräch führte

Christian Silvester.