Nürnberg
Die Räder stehen still

Es kehrt Ruhe ein: In Nürnberg verlaufen sich nur noch wenige Menschen in der Fußgängerzone

20.03.2020 | Stand 02.12.2020, 11:42 Uhr
  −Foto: Pelke

Nürnberg - Rien ne va plus.

 

Nichts geht mehr. Wie beim Roulette lautet die traurige Botschaft für die Nürnberger Innenstadt: Das Spiel ist aus. Die allermeisten Läden sind seit Mittwoch geschlossen. Die Geschäfte stehen still. Während die Spatzen den Frühling von den Dächern in der Altstadt pfeifen, verharren die Menschen im Winterschlaf.

Nicht nur aus Angst vor dem Virus. Sondern auch aus Sorge um die Mitmenschen. "Ich sperre meinen Laden jetzt freiwillig zu, um mich und meine Gäste zu schützen", sagt Pina und hängt ein Schild mit der Aufschrift "Closed" ins Schaufenster. "Es ist vielleicht ganz gut, wenn wir jetzt alle mal alles komplett herunterfahren", sagt sie und erzählt, dass eine Freundin aus Angst vor dem Virus nicht mehr gemeinsame Spaziergänge mit ihr im Park unternehmen möchte.

"Außerdem sitzt meine Mama in Thailand fest. Zum Glück haben wir noch einen Rückflug bei der Lufthansa bekommen", erzählt Pina und versucht die Sonne und die Einsamkeit vor ihrer kleinen, aber feinen Eisdiele mit dem schönen Namen "Halt die Waffel", die sich direkt beim Tiergärtnertor im Schatten der Kaiserburg befindet, im Stillen zu genießen. "Zum Glück habe ich einen Hund", sagt sie und winkt einer einsamen Passantin zu, die in gebührendem Abstand beim Hinaufradeln des Burgbergs freundlich zurücklächelt.

Auch beim Dürer-Denkmal, wo sich sonst die Touristen die Türklinke in die Hand geben, ist mittlerweile der Hund begraben. Selbst beim Wanderer-Café rund um den anarchischen "Horror-Hasen" von Bildhauer Jochen Goertz, um dem sonst die Müßiggänger unter dem Kastanienbaum in der Sonne dösen und nur von Besuchern aus aller Welt mit ihren unvermeidlichen Handykameras gestört werden, herrscht jetzt gähnende Leere.

 

Sogar in der Gaststätte "Hütt'n", die mittlerweile in fast jedem Reiseführer für ihre hervorragende Bierauswahl und gute Bratenqualität gelobt wird, hockt niemand. Nur ein Zettel an der Fensterscheibe vertröstet die Gäste bis auf Weiteres. "Hütt'n"-Wirt Udo Deppisch findet, die Schließung sei ein sinnvoller Beitrag, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. "Passt aufeinander auf und bleibt gesund! ", schreibt der Wirt in dicken Lettern am Schluss in die unterste Zeile des Zettels.

Auf dem Hauptmarkt fast das gleiche Bild. Das ruhige Treiben erinnert an alte Aufnahmen aus den 50er-Jahren. Nur rund um die rot-weißen Gemüsestände ist etwas los. "Die Leute kaufen plötzlich unser Obst und Gemüse wie verrückt", sagt Gerdi und packt einer Kundin frische Karotten aus dem Knoblauchs-land in die dicke Einkaufstasche. Tote Hose herrscht dagegen am Taxi-Stand. "Wo sollen die Leute auch hinfahren? Es hat ja alles zu", übt sich Wolfgang vor seinem beigefarbenen Wagen in Galgenhumor. "Ich bin seit fast fünf Stunden unterwegs und habe nur zwei Kurzfahrten gehabt", schaltet sich Siggi vom zweiten Taxi in der langen Warteschlange ein und berichtet von kargen 14,70 Euro, die er seit Dienstbeginn in der Kasse habe.

Unterdessen haben die Stadttauben die sonst so belebte Innenstadt fast für sich alleine. Die Rollläden vor den zahlreichen Klamotten-Geschäften sind wie an Sonn- und Feiertagen heruntergefahren. Juweliere verzichten sogar darauf, ihre teuren Steine und Uhren überhaupt noch ins Schaufenster zu legen. Nur hier und da hat ein Drogeriemarkt geöffnet. Auch manche Imbissbude versucht mehr oder weniger vergeblich, trotz der Krise ein kleines Geschäft zu machen.

City-Manager Reto Manitz regt derweil zum Umdenken an. "Alle haben jetzt die große Chance, sich einmal wirklich Gedanken über die Zukunft zu machen", findet Manitz und rät insbesondere den Geschäftsleuten in der Innenstadt dazu, neue Kraft zu tanken und keine Energie mit Jammern zu verschwenden. Ladenbesitzer in der City könnten den Stillstand nutzen, unendlich viele Dinge endlich zu erledigen.

 

Wenn sich alle korrekt verhalten würden, könnte die Krise schneller gemeistert werden, ist sich der von der Stadt beauftragte City-Manager sicher. Bei einer Grippe müsse man auch im Bett liegen bleiben. Und nicht durch die Gegend hüpfen. "Sonst verschleppt man die Krankheit wochenlang. " Genau diesen Verzögerungseffekt will Manitz für die Innenstadt am liebsten vermeiden.

Manitz weiß natürlich, dass die Einschnitte für den Handel in der City dramatisch sind. "Besonders die Kleinen wird es hart treffen. " Genau deshalb müssten jetzt alle an einem Strang ziehen und gemeinsam die Krise eindämmen, um die Dauer des Ausnahmezustandes so kurz wie möglich zu halten. Nach dem Motto: Je konsequenter, desto besser.

Unterdessen verkündete die Stadtverwaltung weitere Maßnahmen. Für die Bevölkerung wohl besonders bitter ist die Absage der "Blauen Nacht", die am 1. und 2. Mai hätte stattfinden sollen. Einen Ersatztermin wird es laut Stadt nicht geben. Außerdem weist die Verwaltung darauf hin, dass neben Spielplätzen auch andere Freizeiteinrichtungen unter freiem Himmel wie Grill- und Bolzplätze gesperrt werden. 3000 neue Hinweisschilder will die Stadt obendrein in städtischen Grünanlagen aufstellen, um die Menschen an die Einhaltung des virusbedingten Mindestabstandes in Höhe von 1,5 Metern zu erinnern. Am Freitag hat die Stadt mit dem Aufstellen der Schilder begonnen.

HK