Eichstätt
Die Natur als Bündnispartner des Menschen

Bei der K'Universale-Vortragsreihe sprach Frank Adloff über Solidarität mit nicht menschlichem Leben

17.12.2020 | Stand 21.12.2020, 3:33 Uhr
Live am Bildschirm: Der Hamburger Soziologe und Sozialökonom Frank Adloff sprach bei der Vortragsreihe K'Universale über das Zusammenleben und den Umgang mit nicht menschlichem Leben. −Foto: Simone Zink/KU

Eichstätt - Eine ungewöhnliche Perspektive nahm der jüngste Vortrag im Rahmen der interdisziplinären Reihe K'Universale zum Thema Solidarität ein: Der Hamburger Soziologe und Sozialökonom Frank Adloff ging über die humane Gesellschaft hinaus und fragte nach einer Solidarität zwischen Menschen und nichtmenschlichem Leben in Flora und Fauna.

Dabei kam er zu dem Schluss, dass die Konzepte der Konvivialität und die sogenannte "Gabentheorie" durchaus brauchbare Instrumentarien sind, um fruchtbare Bündnisse zwischen Menschen und nichtmenschlichen Wesen zu beschreiben und als zukunftsweisende Wege einer Symbiose zu begreifen.

Der Eichstätter Soziologe Jost van Loon stellte seinen Kollegen Adloff als ausgewiesenen Experten für Kultursoziologie, Zivilgesellschaft und der "Theorie der Gabe" vor, mit der der Wissenschaftler an Überlegungen des französischen Soziologen Marcel Mauss zur "Gabe" als Prinzip des Austauschs in archaischen Gesellschaften anknüpft.

Ausgangspunkt des Vortrags war die Feststellung, dass es im jüngsten, vom Menschen dominierten Erdzeitalter, dem Anthropozän, für die Soziologie inzwischen fragwürdig geworden ist, sich nur auf menschliche Gesellschaften zu konzentrieren. Vielmehr sei eine derartige ontologische Trennung von Natur und Gesellschaft gerade zu überwinden, um tragfähige Modelle des Zusammenlebens beider Bereiche auf dem gleichen Planeten zu entwickeln. Nichtmenschliche Lebewesen müssen als Geber anerkannt und ernst genommen werden, wobei Adloff zwischen abiotischem und tierlichem Leben unterschied. Nur Letzteres biete Kapazitäten für Gefühle, Absichten und Subjektivität.

Der Begriff Symbiose wurde eigentlich in der Biologie entwickelt und zielt auf eine speziesübergreifende Zusammenarbeit. In der Soziologie wird er jedoch angesichts der Dynamik der anthropogenen Erderwärmung und des Schwundes der Biodiversität als Konzept für ein mögliches Zusammenleben humaner und nichthumaner Lebewesen immer wichtiger. Natur- und Menschheitsgeschichte sind nicht mehr voneinander getrennte, statische Bereiche, sondern bedingen sich zunehmend gegenseitig und die eine ist ohne die andere nicht mehr zu schreiben, seit der Mensch massiv in die Natur eingreift.

Adloff unterschied zwischen Materie, Leben und bewusstem Leben, wie es nur der Mensch führen könne. In der Natur finden vielfach grenzüberschreitende Prozesse des Lebens statt, bei denen Gaben hin und her fließen und so ein dynamisches Gleichgewicht erzeugen: Indem Tiere und Pflanzen geben, nehmen und erwidern, schaffen sie einen Zustand der Gegenseitigkeit.

Adloff verband nun diese Beobachtungen mit der von ihm entwickelten interaktionistischen "Theorie der Gabe" - jenem Beziehung stiftenden Akt, der nach Meinung des Soziologen weder reinem Eigennutz noch reinem Altruismus entspringe, sondern in dem sich unterschiedlichste Motive miteinander vermischen könnten: Eigennützige Erwägungen spielen mit hinein, aber genauso gehe es um Momente von Spontaneität und Freiheit, um das Gefühl einer moralischen Verpflichtung oder den Ausdruck einer Zuneigung zu anderen. Auch in der Natur ist bei Lebewesen der Austausch von Gaben zu beobachten.

Der Mensch nimmt von den Seen, Bergen, Wäldern, Nutz- und Wildtieren und sollte ihnen auch etwas zurückgeben, um eine partnerschaftliche Beziehung herzustellen. Diese Beziehung bezeichnete Adloff als Symbiose. Dazu muss der Mensch allerdings nichtmenschliche Lebewesen überhaupt einmal als Geber anerkennen, statt sie utilitaristisch auszubeuten.

In der Symbiose mit nichtmenschlichen Lebewesen, so der Vortragende, entstehen neue speziesübergreifende Lebensformen. So sehen zum Beispiel Bauern, die sich nicht ausschließlich der Massentierhaltung mit ihrer Reduktion der Tiere als Milch- und Fleischproduzenten hingegeben haben, ihr Verhältnis zu den Kühen und Schweinen als wechselseitiges Geben und Nehmen von Sorge, Arbeit und Emotionen. In Anlehnung an französische Soziologen kann man dieses Modell als "Konvivialität" bezeichnen: Adloff erweiterte diesen Begriff, der eigentlich für menschliche Gesellschaften entwickelt wurde, auf alle Formen von Leben. Danach wird Konvivialität in der besonderen Form der Symbiose als Minimalform des respektvollen sozialen Zusammenlebens von Mensch und Natur gesehen, das auf Praktiken des Gebens und Nehmens beruht.

Es sind diese artenübergreifenden Gabenbeziehungen zwischen Tieren, Menschen und Pflanzen, die unser Leben auf diesem Planeten bestimmen, sofern es in Zukunft gelingen soll. Der Symbiosebegriff, so Adloff, dürfe sich nicht auf nur menschliche Gesellschaften beschränken, sondern müsse biosoziale Kollektive aus menschlichen und nichtmenschlichen Akteuren mit einbeziehen. Menschen, so führte der Referent an zahlreichen Beispielen aus, müssen Bündnisse mit nichtmenschlichen Wesen eingehen, damit Solidarität auf diesem Planeten gelingen kann.

Resümierend wies Adloff darauf hin, dass normative Fragen in den kommenden Jahren völlig neu zu justieren seien und damit aktuell gewohntes Terrain verlassen werde. Denn die Vielfalt an direkten Interaktionen von menschlichen mit nichtmenschlichen Lebensformen zeige auf, dass sich das Soziale nicht auf rein menschliche Gesellschaften beschränken lässt. Daher erhalte ein aufgeklärter Animismus heute sogar Beistand aus den Naturwissenschaften: Tierrechte, neue Solidaritäten, neue Bürgerrechte für natürliche Entitäten, Ökosysteme als Rechtssubjekte, neue Affektivitäten über Speziesgrenzen hinweg - dies alles sei keine versponnene Esoterik, so Adloff, sondern eine theoretische und praktische Weiterentwicklung und teilweise auch Überwindung der Moderne im Anthropozän.

Alternativen, die nicht den Menschen in den Mittelpunkt der Betrachtung stellten, seien paradoxerweise auch dringend notwendig, allein schon aus menschlicher Sicht, betonte der Soziologe. Denn Nachhaltigkeit könne es nur geben, wenn die Bewohnbarkeit der Erde auch für nichtmenschliches Leben sichergestellt sei: "Der Planet braucht die Menschen nicht, aber der Mensch braucht das nichtmenschliche Leben", sagte Adloff.

EK