Die Nato hat die Wahl

Kommentar

06.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:35 Uhr

"Abschreckung und Dialog" gehören zusammen, das beteuert Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg oft und gern. Wenn das westliche Militärbündnis allerdings jetzt zum Gipfel nach Warschau ruft, ist von Dialog so prominent nicht mehr die Rede. Denn die Staats- und Regierungschefs der 28 Nato-Länder versammeln sich unter dem Motto "Abschreckung und Verteidigung". Das ist wohl ganz im Sinn des Gastgebers, denn die polnische Rechtsaußen-Regierung scheint nur eine Gefahr zu kennen, nämlich Russland, und nur ein Mittel für den Umgang mit Moskau - militärische Stärke.

Aber ist Russland tatsächlich die vorrangige Bedrohung des Westens oder ist es nicht vielmehr der islamistische Terrorismus? Diese Frage spaltet derzeit die Nato. Die osteuropäischen Mitglieder verlangen die Konzentration aller Anstrengungen auf die angebliche Gefahr aus dem Osten und fordern deshalb Aufrüstung, um Russland in Schach zu halten. Die südlichen Nato-Staaten hingegen lehnen eine solche Fixierung ab und setzen stattdessen auf die neue Schnelle Eingreiftruppe des Bündnisses, die Brände löschen soll, die durch islamistische Gewalt entfacht wurden - und notfalls auch noch bei der Verteidigung Südeuropas helfen.

Zwischen diesen Positionen lavieren Deutschland, Frankreich und Großbritannien als die drei europäischen Schwergewichte im Bündnis, die weder Ost- noch Südeuropäer verprellen wollen. Entscheiden, wer der Nato als Hauptgegner gilt - Russland oder der islamistische Terrorismus - werden aber am Ende die USA, und es sieht alles danach aus, dass die Entscheidung zuungunsten Russlands ausfällt. Dafür spricht zum einen, wie vergleichsweise halbherzig die US-Amerikaner bislang ihre Syrienpolitik betreiben und ihre Einsätze gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), zum anderen die betont schroffe Haltung Washingtons gegenüber Moskau im Ukraine-Konflikt.

Um nicht missverstanden zu werden: Die völkerrechtswidrige Annexion der Ukraine durch Russland ist selbstverständlich genauso verwerflich wie die russische Einmischung in den ukrainischen Bürgerkrieg. Aber dürfen das ausgerechnet Staaten am lautesten kritisieren, die selbst auf das Völkerrecht pfeifen, etwa wenn es gegen Serbien geht - dann ist plötzlich auch die Veränderung von Grenzen kein Tabu mehr - oder gar beim Überfall auf den Irak? Und was die Einmischung angeht: Hat nicht der Westen mit seiner Parteinahme und massiven Unterstützung der einen Seite den ukrainischen Bürgerkrieg erst richtig angeheizt?

Es sieht ganz so aus, als tobe in den Köpfen vieler westlicher Entscheidungsträger eben doch noch der Kalte Krieg und als wäre ihnen alles recht, wenn es nur Moskau ärgert. Ganz so, als wäre Russland selbst noch als schwieriger Partner nicht ungleich nützlicher, sei es im Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder auf tausend anderen Feldern.

In diesem Zusammenhang belastet ein zweiter Grundsatzstreit derzeit die Nato. Es geht darum, ob durch die Aufnahme der Ukraine, Georgiens oder von weiteren Westbalkan-Staaten in das Bündnis Russland zusätzlich isoliert werden soll - vor allem die USA hatten diese Einkreisungspolitik immer vorangetrieben. Oder ob es nicht sinnvoller ist, solche Provokationen zu unterlassen, die die Leistungsfähigkeit des Bündnisses nur gefährden und zudem statt mehr Sicherheit nur neue Konfrontation mit Moskau und damit zusätzliche Risiken bringen. Denn wie soll eine vom Bürgerkrieg zerrissene Ukraine für Friedenssicherung stehen und gar ein Georgien, das 2008 im Südossetien-Konflikt schon einmal ohne nachvollziehbaren Grund einen Krieg mit Russland vom Zaun brach - mit katastrophalen Folgen für Georgien selbst. Beim Großmanöver "Anakonda" in Polen waren kürzlich neben den Nato-Verbänden jedenfalls schon mal Ukrainer und Georgier beteiligt. Dagegen hatten zwar mehrere Nato-Staaten massive Bedenken vorgebracht, genutzt hat das offensichtlich nichts.

Auf die Weichenstellungen des Warschauer Nato-Gipfels darf man also gespannt sein - und sich auf das Schlimmste einstellen.