Ingolstadt
"Die Mannschaft ist enorm stark"

30.11.2018 | Stand 02.12.2020, 15:07 Uhr
Goldene Zeiten: Arnd Peiffer wurde in Pyeongchang Olympiasieger im Sprint. −Foto: Kappeler/dpa

Ingolstadt (DK) Die deutschen Biathleten starten an diesem Sonntag ohne Laura Dahlmeier in die neue Weltcup-Saison. Dreifach-Olympiasieger Michael Greis glaubt dennoch, dass das deutsche Team eine gute Rolle spielen wird.

Herr Greis, die deutschen Biathlon-Fans sorgen sich derzeit um Laura Dahlmeier, die zuletzt wegen eines geschwächten Immunsystems eine Trainingspause einlegen musste. Was ist von ihr in der neuen Saison zu erwarten?

Michael Greis: Wie ich Laura kenne, weiß sie mit ihrem Körper umzugehen. Daher glaube ich, dass sie das im Laufe der Saison noch in Griff kriegt. Wenn sie in den Weltcup einsteigt, wird sie auf jeden Fall wieder fit sein. In den vergangenen Jahren hatte sie immer mal wieder gesundheitliche Probleme und musste den einen oder anderen Weltcup auslassen, deshalb bin ich ganz zuversichtlich, dass sie das gut hinkriegt.

Sind die Anforderungen im Biathlon mittlerweile zu hoch?

Greis: Im Biathlon gibt es natürlich nicht nur im Winter Wettkampfstress, auch im Sommer stehen viele Termine an. Es wird jedem selber überlassen, wie er sich das einteilt. Man muss auf jeden Fall aufpassen, wie man das Training gestaltet, und sich die nötige Ruhe gönnen. Belastung und Erholung müssen in einem guten Verhältnis stehen. Und es darf sich über die ganzen Jahre hinweg nichts aufstauen.

Bei den deutschen Meisterschaften in diesem Sommer überzeugten überraschend Karolin Horchler und Philipp Horn. Sind diese beiden die Zukunft des deutschen Biathlons?

Greis: Wir haben insgesamt ein super Team. Dass die beiden Talente bei den deutschen Meisterschaften gut waren, ist ein erfreuliches Zeichen, denn so sieht man, dass was nachkommt. Sie sind sicherlich bis Peking am Ruder, wenn sie die Leistung bringen. Philipp Horn hat sich jetzt den Startplatz erkämpft und wird sich im Windschatten der Großen rantasten. Dennoch sind es die Etablierten, also Arnd Peiffer, Simon Schempp, Benedikt Doll und Erik Lesser, die den Ton angeben. Bei den Damen hat Karolin Horchler in den vergangenen Jahren eine tolle Entwicklung genommen. Sie hat zuletzt einiges an ihrem Set-up verändert. Jetzt ist die spannende Frage, ob sie ihre guten Ergebnisse vom Sommer auch auf den Winter übertragen kann.

Im Gesamtweltcup hat es für die deutschen Männer in den vergangenen Jahren nie für einen Angriff auf den Sieg gereicht. Was erwarten Sie von ihnen in der neuen Saison?

Greis: Die Schwierigkeit ist einfach, dass mit Martin Fourcade und Johannes Thingnes Bø zwei Leute bei den Herren unheimlich dominieren. Das sind Ausnahmeathleten. So müssen sich sozusagen 10, 15 oder 20 Leuten den dritten Platz teilen. Aber bei den Olympischen Spielen waren die Deutschen topfit - Arnd Peiffer wurde Olympiasieger. Momentan ist die deutsche Mannschaft schon enorm stark. Und ich finde es gar nicht so schlimm, wenn man im Gesamtweltcup nicht auf Position eins oder zwei steht. Ein Top-Fünf-Resultat - und dazu sind unsere Leute definitiv imstande - genügt, um dann am Höhepunkt der Saison, der Weltmeisterschaft, mit einem Medaillensatz nach Hause zu gehen. Und das können sie auch.

Sie haben 2006 in Turin das bislang letzte olympische Staffelgold der deutschen Biathleten gewonnen. Warum hat es seitdem nicht mehr geklappt, obwohl die deutschen Biathleten so stark sind?

Greis: In Sotschi war es ganz, ganz knapp, und in Pyeongchang sollte es einfach nicht sein. Das war einfach Schicksal. Trotzdem sind die Herren 2015 in Kontiolahti Weltmeister geworden. In der Teamstärke sind die deutschen Männer sehr ausgeglichen und eigentlich auch Titelfavorit für die WM in Östersund. Wenn man gewinnen möchte, gehört aber das notwendige Glück dazu, und das war halt bei den Olympischen Spielen zuletzt nicht auf ihrer Seite.

Ist Fourcades achter Gesamtweltcupsieg schon vorprogrammiert?

Greis: Wenn Martin Fourcade gesund bleibt und wenn man sieht, wie er bisher dominiert hat, dann wird die Erfolgsgeschichte wahrscheinlich fortgeschrieben werden. Aber es wäre natürlich schön, wenn es etwas Abwechslung geben würde. Momentan ist er aber einfach das Maß aller Dinge.

Bei den Frauen war der Kampf um den Gesamtweltcup zwischen Anastasiya Kuzmina und Kaisa Mäkäräinen ziemlich knapp. Wer ist in der neuen Saison die aussichtsreichste Kandidatin?

Greis: Eigentlich wäre Laura Dahlmeier eine heiße Kandidatin. Aber mit den gesundheitlichen Problemen wird es schwierig werden, dass sie da mit eingreift. Ich glaube, dass Mäkäräinen und Kuzmina das unter sich ausmachen. Aber der Biathlon ist immer für eine Überraschung gut. Man muss sich alles erarbeiten, und auch Top-Leute wie Mäkäräinen und Kuzmina müssen erst einmal treffen. Mäkäräinen war läuferisch immer gut. Die Frage ist, wie sie es schafft, ihre Schießleistung die ganze Saison auf einem hohen Niveau zu halten, damit sie den Gesamtweltcup am Ende auch gewinnen kann.

Der Saisonhöhepunkt ist die WM in Östersund. Sie wurden 2008 dort Weltmeister in der Mixed-Staffel. Was ist das für ein Terrain?

Greis: Normalerweise steigt man immer in Östersund in die Saison ein, jetzt ist die WM am Ende der Saison. Man muss die Kräfte gut einteilen und trainingsmethodisch so aufbauen, dass man bei der WM noch fit ist. Das ist eine große Herausforderung. Östersund ist eine tolle Anlage, aber relativ anfällig für Wind. Darauf muss man sich schon im Training einstellen, damit man auch bei windigen Verhältnissen stabil schießen kann. Das kann tückisch werden. Die Strecke ist selektiv und abwechslungsreich.

Sie sind seit Kurzem Nationaltrainer der US-amerikanischen Biathlon-Männer. Wie kam es dazu?

Greis: Es war im Sommer vergangenen Jahres klar, dass ich als Trainer in der Schweiz aufhöre. Anfang des Winters kam Bernd Eisenbichler (US-Sportdirektor, d. Red.) auf mich zu, weil er ein neues Trainerteam aufbauen wollte. Wir trafen uns dann während der Olympischen Spiele, dort wurde alles konkreter. Es hörte sich gut an, dann habe ich mich dafür entschieden.

Wo sind Sie dort stationiert? Wohnen Sie in den USA?

Greis: Ich wohne noch in Deutschland und fliege ungefähr alle zwei Wochen nach Amerika zum Lehrgang. Es gibt mehrere Trainingszentren in den USA, unser Stützpunkt ist das Olympic Training Center in Lake Placid. Vor dem Weltcup-Auftakt waren wir nun in Obertilliach, im Winter spielt sich das meiste ohnehin in Europa ab.

Wie lauten Ihre Ziele?

Greis: Langfristig arbeiten wir auf die Olympischen Spiele in Peking hin. Tim Burke und Lowell Bailey, die jetzt aufgehört haben, kann man nicht so schnell ersetzen. Aber wir haben ein paar ganz gute junge Leute, die in die Fußstapfen der beiden treten könnten. Vergangenes Jahr waren sie 13. im Nationencup, das würde ich gerne bestätigen. Das wäre der erste Schritt. Wir wollen ein paarmal in den Top 15 dabei sein und im Gesamtweltcup unter die Top 30 kommen.

Ist es schwierig, den Athleten Ihre Gedanken zu übermitteln, noch dazu in einer fremden Sprache?

Greis: Ja, wenn es darum geht, um Gefühle zu sprechen und darum, wie sich etwas anfühlen muss, wird es relativ schwierig. Solche Themen sind auch auf Deutsch nicht immer ganz einfach zu erklären. Und auf Englisch ist das schon eine gewisse Herausforderung. Aber das ist natürlich auch das, was mich gereizt hat: Mit einem neuen Team in einer anderen Sprache zu arbeiten. Mein Englisch ist auf jeden Fall schon besser geworden (lacht).

Kurz nach dem Ende der vergangenen Biathlon-Saison gab der DSV teils überraschende Trainerrotationen bekannt. Waren Sie enttäuscht, dass Sie nicht ein Teil des deutschen Teams wurden?

Greis: Nein, überhaupt nicht. Das war überhaupt kein Thema. Es gab anfangs lose Gespräche, ob die Junioren nicht mal ein Thema wären, aber dann kamen die Gespräche mit Bernd Eisenbichler. Daher war ich weder enttäuscht noch hätte ich damit gerechnet.

Ist es Ihr Ziel, einmal in Deutschland zu arbeiten?

Greis: Momentan nicht.

Der Biathlon-Weltverband IBU hatte zuletzt mit Dopingvertuschung, Korruption und Betrug zu kämpfen. Schafft der Verband unter dem neuen Präsidenten Olle Dahlin den Weg aus der Krise?

Greis: Der IBU bleibt gar nichts anderes übrig, sie muss den Weg schaffen. Man muss erst einmal abwarten, was die österreichische Staatsanwaltschaft aufs Tableau bringt. Es war für jeden von uns damals überraschend, dass auf einmal die Staatsanwaltschaft bei der IBU einmarschierte. Das ist schon fast  ein kleiner Thriller. Die IBU hat auch schon an einigen Stellschrauben gedreht: Sie hat den Generalsekretär ausgetauscht und einen neuen Kommunikationsleiter. Was man hört, machen die alle eine gute Arbeit. Priorität muss das Thema Doping haben. Ich hoffe, dass die IBU die richtigen Schritte macht.

Russland steht im Biathlon immer wieder unter Dopingverdacht. Gibt es Nationen, für die Sie Ihre Hand ins Feuer legen würden?

Greis: Ich bin relativ sicher, dass der Sport insgesamt sauber ist. Der Fall Russland liegt jetzt auch länger zurück. Da ging es um Sotschi, das ist schon wieder vier Jahre her. Aber Fakt ist, dass in den vergangenen Jahren fast immer russische Sportler des Dopings überführt wurden. Da sieht man natürlich eine gewisse Tendenz. Das muss aufhören, und deswegen hat die IBU auch reagiert und Russland zum provisorischen Mitglied degradiert. Aber ich mir relativ sicher, dass der Großteil fair an den Start geht.

Das Interview führte Julia Pickl.