Nürnberg
Die Macht der Vergangenheit

Widersprüchlich: Georg Schmiedleitner inszeniert Tennessee Williams' "Die Katze auf dem heißen Blechdach" in Nürnberg

13.12.2016 | Stand 02.12.2020, 18:55 Uhr

American Beauty: Josephine Köhler als Margaret in Tennessee Williams' Stück im Nürnberger Schauspielhaus. - Foto: Bührle

Nürnberg (DK) Big Daddy, der millionenschwere amerikanische Selfmademan, ist ein sexistischer Kotzbrocken, der nicht von ungefähr an ein aktuelles Pendant in den USA erinnert. Aber glücklicherweise entgeht Regisseur Georg Schmiedleitner dieser naheliegenden Analogie und legt in seiner Nürnberger Inszenierung von Tennessee Williams' Südstaatentragödie "Die Katze auf dem heißen Blechdach" den Familientyrannen nicht als Trump-Verschnitt an.

Was Michael Hochstrasser als "Big Daddy" nicht hindert, seine Sippe - Söhne, Schwiegertöchter, Enkel und vor allem "Big Mama", seine Gattin - beim Familienfest zu seinem 65. Geburtstag patriarchalisch zu dominieren und zu kujonieren.

Schmiedleitners Regie setzt auf die zeitlose Stilisierung des (1955 uraufgeführten) Selbstzerfleischungsstücks, das vor allem durch Elia Kazans geniale Verfilmung (mit Elizabeth Taylor und Paul Newman) bis heute weltweit bekannt ist. Im abstrakten Ambiente einer von Hunderten von Neonröhren eingegrenzten Arena (Bühnenbild Florian Parbs) prallt die um das Familienerbe sich bis aufs Blut bekämpfenden Sippschaft aufeinander. Was die Inszenierung zum Auftakt mit antikischer Wucht vorführt, wenn Brick, der zum Alkoholiker gewordene Sohn (großartig Stefan Willi Wang in seiner Zurückgenommenheit als Verzweiflungstrinker), und seine Frau (Josephine Köhler mit dem Sex-Appeal der amerikanischen Beauty), sich in einem gnadenlosen Dialog-Duell die Wahrheit über ihre glück- und kinderlose (und damit ihre Erbchancen zunichtemachenden) Ehe an den Kopf werfen. Wie überhaupt diese Inszenierung dann am meisten überzeugt, wenn sie die Charaktere einzeln aufeinandertreffen lässt und die infame, hintergründig verletzende Wortgewalt des Stücks ausstellt. Was im finalen Showdown zu einem weiteren Höhepunkt führt, wenn Vater und Sohn, Michael Hochstrasser und Stefan Willi Wang, sich endlich ihre Lebenslügen eingestehen und sich den vernichtenden Wahrheiten ihrer gestörten Vater-Sohn-Beziehung stellen.

Dazwischen freilich unterläuft Gerhard Schmiedleitner seine eigene Regie immer wieder, wenn er mit vordergründigen Effekten die Zuschauer unterhalten zu müssen glaubt: so muss der sportverletzte Brick, dessen Traum vom großen Footballstar an seiner uneingestandenen Homosexualität platzt, mit bewundernswerten artistischen Einlagen ohne Krücken, einbeinig hüpfend, immer wieder den Bühnenraum durchmessen oder sich mit seinem eingegipsten Bein hilflos auf dem Bühnenboden winden, weil ihm der eigene Vater erst die Krücken wegstößt und ihm dann nicht hilft, sich aufzurichten. Von einer Tortenschlacht der Schwiegertöchter, die bis aufs Blut ums Erbe streiten, zu schweigen. Aus den zur Staffage degradierten Nebenrollen ragt einzig Elke Wollmann als Big Mama heraus, die sich alles schönredet, sich ihren Traum vom glücklichen Familienleben nicht nehmen lassen will und sich der längst offenkundigen Wahrheit nicht stellt, dass nämlich ihr Big Daddy, der sie eigentlich ein langes Eheleben lang abgrundtief verachtete, unheilbar an Krebs erkrankt ist.

Zum Finale allerdings lässt dann Gerhard Schnmiedleitner seine anfangs ganz anders angelegte Inszenierung mit eindrucksvollen Verfremdungseffekten endgültig in die Western- und Society-Soap vom glamourösen American Way of Life umkippen: Die Schauspieler setzen sich breitkrempige Stetsons auf und Big Daddy legt wie ein sterbender Indianer seinen letzten Federschmuck an und geht zu den Klängen von Elvis Presleys süßlichem Song "Love Me Tender" in die ewigen Jagdgründe ein.

Das Publikum belohnte die recht widersprüchliche, wenn auch stellenweise beklemmend eindrucksvolle Inszenierung mit stürmischen Applaus!

Weitere Vorstellungen: 15., 17., 25. und 30. Dezember; 8., 12., 18. und 26. Januar, Kartentelefon (0180) 523 16 00.