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"Die Lücke wird immer größer"

09.01.2017 | Stand 02.12.2020, 18:49 Uhr

Der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach (SPD) spricht im Interview über die Schwere zwischen Arm und Reich, die sich immer weiter öffnet.

Herr Lauterbach, die Zuzahlungen von Versicherten für den Zahnersatz sind zuletzt deutlich gestiegen. Worauf führen Sie diese Entwicklung zurück?

Karl Lauterbach: Der Zahnersatz wird im Allgemeinen hochwertiger und damit auch teurer. Gleichzeitig ist die Summe, die von den Kassen ersetzt wird, nicht angehoben worden. Das heißt: Die Lücke wird immer größer. Die Zuzahlungen steigen überproportional an.

 

Führt das bereits zu einer sozialen Schieflage?

Lauterbach: Auf jeden Fall. Man kann inzwischen die soziale Situation eines Menschen wieder an seinen Zähnen erkennen. Gerade Rentner haben oft schlechte Zähne. In der Wissenschaft wird zunehmend klar, welchen Einfluss die Zahngesundheit auf Krankheiten hat. Was wenig bekannt ist: Schlechte Zähne führen zu Demenz, zu Herzinfarkten und Schlaganfällen. Das darf nicht unterschätzt werden. Zahnsanierungen werden häufig aufgeschoben oder gar nicht erst durchgeführt - aus finanziellen Gründen. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Deshalb muss jetzt gehandelt werden.
 

Was kann die große Koalition tun?

Lauterbach: Wir sollten den Umfang der von den Krankenkassen zu ersetzenden Zahnersatz-Leistungen überprüfen und erweitern. Die Zahlungen der Kassen sind weit hinter den Möglichkeiten eines modernen Zahnersatzes zurückgeblieben. Es geht jetzt darum, den Anpassungsbedarf zu ermitteln. Ich würde hierfür eine unabhängige Expertenkommission einsetzen. Ich stehe mit vielen Zahnmedizinern in Kontakt. Es steht fest, dass sich hier eine Lücke aufgetan hat, die wir unbedingt schließen müssen.

 

Es gibt bei den finanziellen Aufwendungen für Zahnersatz große regionale Unterschiede in Deutschland. Woran liegt das?

Lauterbach: Es liegt zum Teil an der Versorgungssituation. Auch in der Zahnmedizin haben wir inzwischen unterversorgte Gebiete. Außerdem gibt es auch demografische Gründe. In Regionen mit besonders vielen alten Menschen sind die Ausgaben im Schnitt höher als anderswo.
 

Können private Zahn-Zusatzversicherungen ein Teil der Lösung sein?

Lauterbach: Zusatzversicherungen können nur einen kleinen Teil zur Lösung beitragen. Ich rate hier zu Vorsicht. Wir müssen den Rahmen für eine gute Zahnversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung ausdehnen. Das ist besser, als allein auf Zusatzversicherungen zu setzen. Das Problem sind allein hohe Verwaltungskosten. Wir können nicht jedes Problem mit Extra-Versicherungen lösen. Denn: Wer sich eine Zusatzversicherung leisten kann, braucht sie am wenigsten. Und diejenigen, die sie dringend brauchen, können sie sich nicht leisten. Die Versicherten haben einen Anspruch auf angemessenen Zahnersatz. Sonst wird die soziale Schieflage nur noch größer.

 

Der Gesundheitsökonom Karl Lauterbach ist stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion.

Die Fragen stellte

Rasmus Buchsteiner.

Foto: Fischer/dpa