"Die Krise ist noch nicht vorbei"

16.12.2010 | Stand 03.12.2020, 3:20 Uhr

Thorsten Weinelt, Chefstratege der UniCredit-Group. - Foto: oh

München (DK) Die Krise, die viele schon für beendet hielten, hält sich hartnäckiger als gedacht. Einem überraschend starken Wirtschaftswachstum in Deutschland stehen immer wieder Rückschläge in anderen Ländern Europas gegenüber. Über diese Entwicklungen sprach unser Redakteur Norbert Schmidl mit dem Chefstrategen der UniCredit-Group, Thorsten Weinelt.

Herr Weinelt, wie schätzen Sie die Konjunkturentwicklung in Deutschland ein?
 

Thorsten Weinelt: Hier bin ich eigentlich ganz positiv gestimmt. Wir rechnen nach bereits sehr starken 3,6 Prozent Wachstum in diesem Jahr für 2011 mit weiterhin sehr ordentlichen 2,5 Prozent. Erstens gehen wir davon aus, dass der Welthandel sehr robust bleibt und 2011 mit sechs bis acht Prozent wächst, nach zwölf Prozent in diesem Jahr. Deutschland als sehr exportorientiertes Land wird davon profitieren. Zweitens hat der Aufschwung in Deutschland in der Breite zugenommen. Er ist nicht mehr nur im Export begründet, sondern verstärkt in der Binnennachfrage – sowohl durch Unternehmensinvestitionen als auch den Privatkonsum. Und wir gehen davon aus, dass gerade der private Verbrauch in den kommenden Quartalen eine bedeutende Rolle spielt – wegen der äußerst soliden Situation am Arbeitsmarkt, die auch zu stärkeren Tariferhöhungen und damit mehr Geld in den Taschen der Arbeitnehmer führen dürfte.

Sehen Sie aufgrund der genannten Gründe die Krise schon als beendet an?

Weinelt: Nein, auf gar keinen Fall. Wir sind jetzt im letzten Teil der Krise. Wir sehen, dass die dynamische Zunahme der Staatsverschuldung große Probleme bereitet. Sie ist angestiegen aufgrund der Bankenrettungs-, der Konjunkturpakete sowie aufgrund von Steuerausfällen. Das ist in manchen Ländern zu einem akuten Problem geworden: in Irland, Griechenland, Portugal und Spanien. Von daher kommt es jetzt im letzten Drittel der Krise darauf an, die Staatshaushalte wieder zu sanieren und auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen. Gelingt das, kann die Krise ohne größere Verwerfungen gemeistert werden.

Sollte der europäische Rettungsschirm deshalb erweitert werden, was aber die Staatshaushalte weiter belasten würde?

Weinelt: Zunächst einmal muss man den Rettungsschirm nicht erweitern. Er reicht auf jeden Fall aus, um nach Irland noch Portugal zu helfen, falls dies nötig sein sollte. Von daher ist eine Erhöhung des Rettungsschirms zum jetzigen Zeitpunkt nicht zwingend notwendig. Möglicherweise könnte dies aber der Fall sein, wenn neben den kleineren Ländern auch Spanien und eventuell sogar noch Italien darauf zurückgreifen müssten. Das halten wir aber für äußerst unwahrscheinlich. Speziell in Italien ist die Verschuldung der Privathaushalte eine der niedrigsten in ganz Europa, die Sparquote ist sehr hoch, und es wurde kein Konjunkturpaket aufgelegt, das den Staatshaushalt stark belastet. Dadurch sind die Defizite nicht völlig ausgeufert.

Es stehen mehrere Beitrittsländer vor der Türe zur EU, vor allem aus Osteuropa. Ist dies für die EU u stemmen?

Weinelt: In Osteuropa gibt es nur sehr wenige Länder mit einem sehr dynamischen Anstieg der Staatsverschuldung und hohen Schuldenquoten. Und selbst in Ländern, in denen die Staatsverschuldung bereits relativ hoch ist, wie in Ungarn, liegt sie immer noch unter der in Irland, Griechenland oder Italien. Deshalb sehe ich dieses Problem nicht als sehr groß an. Es ist aber nötig, dass man bei einem Beitritt zur EU oder zur Währungsunion die Kriterien genauer anschaut als man das damals bei Griechenland gemacht hat und die Konvergenzkriterien wirklich sehr hart auslegt. Die weitere Entwicklung der EU wird auch davon abhängen, ob es uns gelingt, die Währungsunion als Stabilitätsunion erhalten zu können.

Wie optimistisch sind Sie, dass der Euro durchhält?

Weinelt: Sehr optimistisch. Ich glaube, dass jenseits von ökonomischen Überlegungen der Euro vor allem ein politisches Projekt ist. Der Euro ist ein Instrument der europäischen Einigung. Deshalb sollte den Politikern durchaus bewusst sein, wie wichtig der Euro ist, so dass alles getan wird, um den Euro zu retten und hoffentlich auch alles getan wird, um die Eurozone wieder zu einer Stabilitätszone zu machen.

Glauben Sie, dass das eine oder andere Land aus der Währungsunion ausscheren wird?

Weinelt: Nein. Ich bin optimistisch, dass es uns gelingen wird, die Eurozone zu erhalten, so wie sie ist. Ich glaube auch nicht, dass man ein Land einfach aus der Eurozone austreten lässt. Allerdings heißt das, dass viele Länder, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, insbesondere in der europäischen Peripherie, enorme Anstrengungen unternehmen müssen, um sich wieder wettbewerbsfähig zu machen. Das bedeutet unter anderem auch ein hohes Maß an Lohnzurückhaltung oder sogar -kürzung. Das ist schmerzhaft und braucht Zeit, ist aber unumgänglich. Gleichzeitig ist es jedoch auch eine Chance, Stabilität und fiskalische Disziplin in diese Länder zu bringen und sie damit langfristig wettbewerbsfähig zu machen.