Fürth
"Die Koffer ist ein eigener Makrokosmos"

Seit 25 Jahren weht über der Fürther Kofferfabrik die Subkultur-Fahne - Fürs Jubiläum ging Leiter Udo Martin auf Spurensuche

07.08.2019 | Stand 02.12.2020, 13:19 Uhr
Führt den Subkultur-Dauerbrenner mit einjähriger Kündigungsfrist namens "Kofferfabrik" seit 2007: Udo Martin. −Foto: Wrede/Kofferfabrik

Fürth (HK) Die kultverdächtige "Kofferfabrik" in Fürth feiert ihren 25. Geburtstag mit einem bunten Jubiläumsfestival.

Wir haben mit Udo Martin (62), dem aktuellen Leiter der privaten Kultureinrichtung in Fürth, über verschwundene Koffer, wilde Anfänge und kurze Mietverträge gesprochen.

Herr Martin, wann haben Sie zuletzt einen echten Originalkoffer aus der Fürther Kofferfabrik zu Gesicht bekommen
Udo Martin: Leider überhaupt noch nicht.

Wie kann das sein? Sind die Bestände aus der alten Kofferfabrik spurlos verschwunden?
Martin: Nach dem Auszug der Herstellerfirma Bermas sind wohl zwei Container mit nagelneuen Koffern einfach entsorgt worden. Im Nachhinein sagt man schade. Heute ist deshalb in der Kofferfabrik nur noch der alte Name erhalten geblieben. Und eben keine Originalkoffer aus der Zeit.

Aber in der Kofferfabrik hängen doch noch alte Koffer. . .
Martin: In der Kofferfabrik hängt heute genau noch ein Koffer. Und zwar über dem Eingang zum KofferMusicClub. Keiner weiß, woher der kommt.

Über die Geschichte des Fürther Fabrikgeländes haben Sie zum 25-jährigen Jubiläum eine Ausstellung auf die Beine gestellt. Was haben Sie bei Ihren Recherchen herausgefunden?
Martin: Nach dem Zweiten Weltkrieg hat die Kofferfabrik in Fürth die Produktion eingestellt, weil im Februar 1945 wahrscheinlich zwei englische Piloten genau über der Kofferfabrik die letzten zwei Bomben abgeladen haben, die sie beim Angriff auf Nürnberg nicht losgeworden sind. Nach der Zerstörung hatte der Kofferhersteller nur noch die Verwaltung und Lagerräume in Fürth. Die Kofferproduktion selbst ist in die Oberpfalz verlagert worden. Irgendwann in den 80ern hat die Firma Bermas dann die Produktion eingestellt und betreibt bis zum heutigen Tag nur noch Handel mit Koffern.

Wie hat sich Ihre Spurensuche gestaltet?
Martin: Unglaublich aufwendig. Finden Sie einmal Unterlagen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg! Bilder sind noch das viel größere Problem. Die Fürther Oststadt war und ist das Glasscherben-Viertel der Kleeblattstadt. Vor dem Beginn der Kofferproduktion sind auf dem Gelände zunächst Spiegel hergestellt worden. In den 30er Jahren ist die Spiegel-Produktion dann den Bach heruntergegangen. Und die Koffer kamen.

Warum war in den 80ern dann auch Schluss mit der Kofferproduktion?
Martin: Die Kofferproduktion in Fürth war eigentlich zunächst extrem innovativ. Die Firma Bermas hat zum Beispiel die Rollen für den Koffer erfunden. Dafür hat man den Firmenchef - ein Fürther mit Oberpfälzer Wurzeln - damals furchtbar ausgelacht. Nach dem Motto: Wer braucht schon Rollen unter dem Koffer? Dann hat dieser Chef der Kofferfabrik, ein gewisser Herr Schneider, das Patent auf die Kofferrollen dummerweise aufgegeben. Gehen Sie heute mal zum Flughafen - dann kennen Sie das Ende der Geschichte.

Warum haben Sie sich überhaupt die Mühe gemacht, so genau in der Vergangenheit der Kofferfabrik zu kramen?
Martin: Mir ging es einfach um die Anfänge dieses alten Fabrikgeländes. Von Kultur in einer alten Fabrik ist heute jeder sofort begeistert. Ich wollte wissen, was damals hier los war. Kein Mensch in Fürth wusste Genaueres über die Geschichte. Ich habe einfach mal versucht, die Vergangenheit laienhaft aufzudröseln. Ich wollte einfach mehr über die Wurzeln erfahren. Ich bin natürlich kein Historiker. Aber hier haben früher einmal bis zu 400 Leute in der Kofferproduktion gearbeitet. Die Erben haben sich danach wenig gekümmert. Keiner hat sich über die Kofferfabrik einen Kopf gemacht.
Ein ziemlich langer Dornröschenschlaf, der immerhin bis Mitte der 90er gedauert hat.
Martin: Ja, dann hat Lothar Böhm im Jahr 1992 eine Galerie auf dem Gelände eröffnet. Dort hat er Ausstellungen gemacht. 1994 gab es endlich die Lizenz zum Bierausschank von der Stadt. Danach ging alles los. Lothar Böhm war der Keimling der heutigen Kofferfabrik.

Wie war die Stimmung damals?
Martin: Ich war damals ja nur als Gast hier. Aber die Stimmung war, kurz gesagt: Endlich passiert mal was in Fürth! Es gab plötzlich Subkultur. Es gab auf einmal tolle Konzerte und spannendes Theater.

Eine neue Erfahrung für die Fürther nach der Wende?
Martin: Damals gab es praktisch keine Konzertbühnen. Und keine Kleinkunstbühnen.

Damals gab es in Nürnberg noch das legendäre Komm. Waren die Nürnberger für die Fürther Vor- oder Feinbild?
Martin: Für die Jungen auf jeden Fall Vorbild. Ich war selber dort Stammgast.

Kamen denn auch Nürnberger in den Koffer?

Martin: Nein. Aber die Fürther mussten nicht mehr unbedingt nach Nürnberg fahren. Fürth ist heute noch Arbeiterstadt und der Underdog in der Metropolregion. Fürth ist nicht München gewesen. Heute sage ich: zum Glück. Dadurch haben wir Platz gehabt für Subkultur. Heute sind wir wohl führend in Franken bei der Subkultur. Bei uns in Fürth wohnen mittlerweile sehr viele Künstler.

Was hat die Kofferfabrik damals so besonders gemacht?
Martin: Rational kann man das gar nicht erklären. Es ist einfach immer etwas passiert in ,der Koffer'. Und es hat wenig Regeln gegeben. Aber eben auch Konflikte, die wir aber meistens lösen konnten.

Gab es auch Durststrecken, in denen die Zukunft ernsthaft auf dem Spiel gestanden ist?
Martin: 2007 haben ein paar junge Leute die Koffer beinahe vor die Wand gefahren. Ich habe damals versucht zu helfen. Wirtschaftlich ging es aber nicht mehr. Ich bin dann auf die Schnapsidee gekommen, die Koffer selber zu machen.
Sie sagen Schnapsidee. Nach dem Motto: Viel Ruhm, wenig Kohle?
Martin: Viel Arbeit, wenig Ertrag. Und wenig ist noch übertrieben.

Die Kofferfabrik ist immer noch eine private Kultureinrichtung. Schauen Sie mit Neid auf Fördertöpfe von kommunalen Kulturzentren in anderen Städten?
Martin: Nein. Wir bekommen in den letzten Jahren auch von der Stadt Fürth ein wenig Zuschüsse. Die Koffer ist sehr schwer mit anderen Kultureinrichtungen zu vergleichen. Die Koffer ist keine Mischung aus Nürnberger Komm und Erlanger E-Werk. Die Koffer ist ein eigener Makrokosmos. Wenn man das Gelände betritt, ist man in einer anderen Welt.

Wovon (über)lebt die Kofferfabrik heute?
Martin: Von den Gästen, die jeden Tag zum Trinken und zum Essen hierherkommen. Ich nehme praktisch das Geld von den Kneipengästen und trage es einen Stock höher in die Kultur.

Stimmt das auch für die Zukunft oder wird es immer schwerer, Kulturprogramm auf die Beine zu stellen?
Martin: Das Programm ist das geringste Problem. Das größte Problem ist der Mietvertrag mit seiner kurzen Kündigungsfrist von nur einem Jahr. Wir sitzen sprichwörtlich auf gepackten Koffern. Das aber seit 25 Jahren. Man gewöhnt sich also dran.

In diesen Tagen wird gefeiert. Wie?
Martin: Wir versuchen, einen Querschnitt zu zeigen mit Konzerten, Theater und Disco. Wir machen das Kofferfabrik-Festival noch bis zum 11. August.

Das Gespräch führte

Nikolas Pelke