"Die Kinder gehören in die Schule"

BLLV-Kreisvorsitzender Stefan Rank über die Lehren aus der Pandemie für die Grundschule

17.05.2021 | Stand 20.05.2021, 3:33 Uhr
In der Turnhalle werden die Schüler an der Grundschule Schernfeld regelmäßig vor dem Unterricht getestet. Stefan Rank vom Lehrerinnen- und Lehrerverband hält die Tests für "gut und richtig", lediglich die Art und Weise kritisiert er. −Foto: Meßner

Herr Rank, Sie sind Kreisverbandsvorsitzender des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV) und Leiter der Grundschule in Schernfeld.

 

Seit gut einer Woche sind die Grundschüler weitgehend zurück im Unterricht. Wie fühlt sich das an?
Stefan Rank: Sehr, sehr gut. Ich finde, es gibt nichts Traurigeres als ein Schulhaus ohne Leben. Die Kinder gehören in die Schule, vor allem die Erstklässler. Das Ministerium hat im Grundschulbereich den Schwerpunkt auf die vierte Klasse gelegt. Aus Sicht des Übertritts ist das verständlich, aber gerade in diesen Zeiten wären andere Gesichtspunkte wichtiger.

Die da wären?
Rank: Wir haben einfach die große Befürchtung, dass bei unseren Erstklasskindern der Schriftspracherwerb zum Teil stillsteht. Diese Kleinsten haben wegen der Pandemie Schule noch nie erlebt, wissen also gar nicht, wie Schule eigentlich ist. Deshalb müssen wir jetzt schauen, dass es den Erst- und auch Zweitklasskindern möglichst gut geht.

Wegen des Abstandsgebots läuft aber auch das an vielen Schulen nur im Wechselunterricht. Manche Grundschulen nutzen eigens Turnhallen, um ganze Klassen in Präsenz zu unterrichten.
Rank: In der Aula oder in der Turnhalle zu unterrichten, halte ich für pädagogisch schwierig. Gerade in der Grundschule lebt der Unterricht von der Zuwendung des Lehrers zum Kind. Wenn dann der Abstand zur letzten Reihe 15 Meter beträgt, ist Unterricht, wie wir ihn uns vorstellen, nicht möglich.

Aber wäre das nicht immer noch besser als Wechselunterricht?
Rank: Alles hat seine Vor- und Nachteile. Der Wechselunterricht bedeutet gerade für die Eltern eine große Belastung. Die Kinder sind jeden zweiten Tag zu Hause. Wenn die Woche gut durchgeplant ist, arbeiten die Kinder auch daheim - das geht durchaus.

Hätte es aus Sicht des BLLV eine bessere Lösung gegeben?
Rank: Das ist schwierig, weil einfach zwei Dinge gegeneinanderstehen. Das eine ist guter Unterricht, das andere ist der Infektionsschutz. Und diese Dinge schließen sich - teilweise zumindest - aus. Aus Verbandssicht war für uns aber immer wichtig, die Klassenzimmer so sicher wie möglich zu machen.

Wie weit ist man da im Landkreis Eichstätt?
Rank: Die Grundschullehrer sind größtenteils zweimal geimpft - zumindest die, die es wollten. Das heißt: Die Lehrer müssen sich nicht mehr so große Sorgen machen. In Kombination mit einer guten Teststrategie für die Kinder und mit sicheren Klassenzimmern, etwa was den Luftaustausch betrifft, sollte hier ein vollständiger Präsenzunterricht möglich sein. Die Lehrer der weiterführenden Schulen bekamen nun zumindest ein erstes Impfangebot. Ein gewisser Schutz sollte auch hier nach den Pfingstferien eingetreten sein, vollen Präsenzunterricht noch in diesem Schuljahr halte ich ab Klasse 5 aber eher für unwahrscheinlich.

Wie sicher sind denn die Klassenzimmer?
Rank: Was mir zu kurz kommt, ist der gute Schutz am Arbeitsplatz. Da hat man sich im Landkreis nicht zu flächendeckenden Maßnahmen wie Schutzscheiben am Pult oder auch Messungen, wie gut der Luftaustausch ist, durchringen können. Wir haben - soweit ich das weiß - keine Luftreinigungsgeräte in den Klassenzimmern. Da wurde an den Schulen, in denen nicht gut gelüftet werden kann, nicht genug gemacht.

Warum eigentlich nicht? Der Freistaat hat eigens ein Förderprogramm aufgelegt.
Rank: Richtig, es wäre möglich gewesen. Die Entscheidung liegt aber beim Sachaufwandsträger. Bei den CO2-Ampeln sind viele der Meinung gewesen: Das ist sinnvoll. Deshalb haben wir die vielerorts in den Klassenzimmern stehen. Bei den Luftreinigungsgeräten hat man sich tatsächlich ein wenig gedrückt. Aber klar, die Anschaffung der Geräte ist das eine, Wartung und Instandhaltung das andere. Man muss regelmäßig die Filter wechseln. Da entstehen Folgekosten. Und man darf den Umweltaspekt nicht vergessen, also den zusätzlichen Stromverbrauch und den Abfall.

Dafür gibt es nun eine ausgeklügelte Teststrategie.
Rank: Die Tests sind gut und richtig, weil man einen gewissen Überblick über das Infektionsgeschehen bekommt. Wo wir als Verband Kritik geübt haben, ist vor allem die Art und Weise, wie die Tests durchgeführt werden.

Wie meinen Sie das?
Rank: Der Plan ist, die Tests im Klassenzimmer zu machen. Beim Test selbst wird die Maske abgenommen, das heißt man schafft einen unsicheren Zeitraum. Ich denke, dass man die Erstklasskinder mit den Tests zum Teil auch überfordert. Die sind nicht in der Lage einen Füller richtig zu halten, sollen aber diesen mehrstufigen Test allein durchführen. Der Lehrer soll laut offizieller Aussage nur für eine angenehme Atmosphäre sorgen. So funktioniert das nicht.

Ist das heikel, wenn in einer Klasse ein Test positiv ausfällt?
Rank: Das ist heikel, absolut. Wir haben das versucht zu lösen, indem die Kinder in der Turnhalle getestet werden und das Ergebnis selbst gar nicht sehen. Wir schreiben die Uhrzeit drauf, die Namen. Die Lehrer kontrollieren die Ergebnisse und die Schüler halten sich, bevor sie in die Klasse gehen, in ihren Pausenzonen auf. Das heißt, wir würden die Kinder zur Seite nehmen, noch bevor sie ins Schulhaus gehen. Das ist für uns die schonendste Weise.

Wie ginge es dann weiter?
Rank: Wir würden die Eltern informieren, die müssten das Kind abholen, ein PCR-Test müsste veranlasst werden. In diesem Zusammenhang ist allerdings ärgerlich für uns Schulen, dass wir seit Kurzem verpflichtet sind, das Gesundheitsamt zu informieren. Da erschließt sich uns der Sinn nicht.

Was spricht dagegen?
Rank: Die Eltern bekommen die Information. Sie müssen einen PCR-Test veranlassen, weil das Kind nur mit einem negativen PCR-Test wieder in die Schule darf. Wenn dieser positiv ist, geht ohnehin eine Meldung an das Gesundheitsamt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass in dem Moment, in dem das Gesundheitsamt mit im Boot war, Eltern begonnen haben, die Tests zu verweigern. Wir haben tatsächlich einige, die ihre Kinder jetzt lieber zuhause lassen. Auch weil sie in der Vergangenheit sehr unterschiedliche Erfahrungen mit dem Gesundheitsamt gemacht haben, etwa mit widersprüchlichen Aussagen bei vergleichbaren Fällen. Wir sind der Auffassung, dass bei einem positiven Selbsttest danach alles ganz schnell gehen muss: Der PCR-Test muss am besten sofort gemacht werden und das Laborergebnis im Idealfall noch am Abend vorliegen. Damit ich auch den Mitschülern Entwarnung geben kann.

Und wenn das Gesundheitsamt eingeschaltet wird. . .
Rank: . . . dann kann es sein, dass sich zum Teil erst nach zwei oder drei Tagen jemand meldet. Wenn wir das Gesundheitsamt überhaupt erst einmal erreichen. Das ist schon das erste Problem. Wir Schulen haben auch keine andere Telefonnummer als alle anderen. Dann erreicht das Gesundheitsamt irgendwann die Eltern, veranlasst irgendwann einen PCR-Test, dann kommt irgendwann das Ergebnis und das Gesundheitsamt spricht rückwirkend eine Quarantäne aus. Genau so geht Infektionsbekämpfung nicht.

Und mittendrin in all dem stecken die Eltern. Die es oft selbst nicht leicht haben und es wohl auch manchmal den Schulen nicht einfach machen.
Rank: Ich habe die Erfahrung gemacht: Das Allerwichtigste ist Transparenz. Wenn man den Eltern die Beweggründe für Entscheidungen mitteilt, sind sie wirklich vernünftig. Es gibt nur ganz wenige Ausreißer. Die gibt es aber immer.

Wie beurteilen Sie aus Verbandssicht allgemein den Umgang mit der Pandemie an den Schulen? Es ist immerhin eine Ausnahmesituation, die es so noch nie gegeben hat.
Rank: Man hat das schon ganz gut hingebracht. Allerdings muss ich sagen: Vieles, was gut gelaufen ist, ist auf unterster Ebene gut gelaufen. Die Kommunikation von oben nach unten war im Schulbereich eine Katastrophe. Die Schulen haben die Verlautbarungen immer erst in letzter Sekunde bekommen. Die Anfangszeit der Pandemie nehme ich aus. Dass zu Beginn vieles ein Herantasten war, ist logisch, absolut verständlich. Aber wir sind jetzt im Grunde immer noch in der gleichen Situation wie vor 13 Monaten. Es hat sich nicht viel verändert! Weder in der Kommunikation noch in den Möglichkeiten, die das Kultusministerium bietet. Beispiel Software. Die weiterführenden Schulen hat man mit Microsoft Teams versorgt, für die Grundschulen kam gar nichts. Mebis ist verbessert worden, aber für Grundschulen sicher nicht die erste Wahl.

Das wurde im Landkreis selbst in die Hand genommen, oder?
Rank: Für die Videokonferenzsoftware auf Landkreisebene waren wir sehr dankbar. Den Rest haben die Schulen allein geregelt und deshalb ist es auch gut gelaufen. Das hat aber wahnsinnig viel Zeit gekostet. Jede Schule musste selbst überlegen, wie sie mit den Herausforderungen umgehen will. Freilich bedeutet es auch mehr Freiheit, wenn man viele Dinge lokal entscheiden kann. Aber dort, wo es dann wirklich Sinn machen würde, durfte man es ja trotzdem nicht.

Zum Beispiel?
Rank: Hätten die Grundschulen selbst entscheiden dürfen, hätten sie sicherlich die ersten Klassen als Erstes wieder in den Präsenzunterricht geholt.

Hier hat das Kultusministerium dem Übertritt Priorität eingeräumt.
Rank: Vermutlich aus Furcht vor den Eltern, weil diese die Rechtmäßigkeit dieses Übertritts sonst vielleicht angezweifelt hätten.

Befürchten Sie aufgrund der Pandemie langfristig negative Auswirkungen, was den Leistungsstand der Schüler betrifft?
Rank: Das hängt stark vom Elternhaus und dem sozialen Umfeld ab. Ich bin mir sicher, dass bei vielen Schülern die Pandemie fast spurlos vorbeigehen wird, was den Leistungsstand angeht. Weil viele Eltern ihre Kinder mit ganz viel Engagement unterstützen. Bei den Kindern, die ohnehin für Schule schwer zu erreichen sind, werden die Folgen dagegen teils katastrophal sein. Wir stellen fest, dass gerade Eltern, die sich auch sonst wenig um den Schulerfolg kümmern, die Kinder jetzt weiterhin zu Hause lassen und dies mit der Angst vor den Selbsttests begründen.

Welche Lehren sollten aus Sicht des Lehrerverbands aus der Pandemie gezogen werden?
Rank: Die digitalen Möglichkeiten sollten wir in jedem Fall auch in Zukunft in den Unterricht miteinbeziehen. Da haben wir im letzten Jahr unwahrscheinlich viel dazugelernt und neue Instrumente kennengelernt. Eben wie digitales Lernen das analoge Lernen unterstützen kann. Auch die Kommunikation mit den Eltern wurde in Pandemiezeiten intensiver und das gegenseitige Verständnis ist gewachsen. Und wir sollten das, was wir in den vergangenen Jahren pädagogisch weiterentwickelt haben, wieder mehr schätzen. Denn momentan machen wir fast nur Frontalunterricht und merken, wie viel den Kindern verloren geht und wie viel dem Unterricht fehlt. Gute Schule ist mehr!

Glauben Sie an ein weitgehend normales nächstes Schuljahr ab September?
Rank: Ja, da glaube ich fest dran.

Das Gespräch führteMarkus Meßner