Roth
"Die jungen Menschen stehen zunehmend unter Druck"

Interview mit Wiebke Jessen Vortrags- und Diskussionsabend am kommenden Dienstag in der Kulturfabrik

19.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:11 Uhr

"Wie ticken Jugendliche 2016": Dieser Frage widmet sich Wiebke Jessen. - Foto: Landratsamt

Roth/Hilpoltstein (HK) "Zwischen Schule, digitalen Medien und beruflicher Orientierung - wie ticken Jugendliche 2016" So ist der Vortrags- und Diskussionsabend mit Wiebke Jessen überschrieben, der am Dienstag, 23. Februar, ab 19.30 Uhr in der Rother Kulturfabrik stattfindet. Die Veranstaltung ist ein Angebot der Bildungsregion Roth-Schwabach.

Nach dem Vortrag wird sich Wiebke Jessen gerne der Diskussion mit dem Publikum stellen. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung nicht nötig. Einlass ist ab 19 Uhr. Einen ersten Einblick in ihre Forschungsergebnisse zum Leben junger Menschen von heute gab Wiebke Jessen im Gespräch mit Elke Stöhr, Koordinatorin der Bildungsregion im Landkreis Roth.
 

Frau Jessen, das Leben von Jugendlichen hat sich in den letzten Jahren geändert. Wo sehen Sie die größten Veränderungen?

Wiebke Jessen: Ganz oberflächlich ausgedrückt sind hier die Digitalisierung und die neuen Medien zu nennen, die auf viele Lebensbereiche Auswirkungen haben. Aber die jungen Menschen stehen auch zunehmend unter Druck, weil sie die Erfahrung machen, dass sie hauptsächlich an ihrer Leistungsfähigkeit gemessen werden. Wichtig zu verstehen ist dabei, dass es DIE Zielgruppe Jugend nicht gibt. Aufwachsen heute ist zwar insgesamt anders als beispielsweise in den 70er-Jahren, es gibt gemeinsame gesellschaftliche und historische Rahmenbedingungen, die Vielfalt an Lebenswelten hat aber eher zugenommen.

 

Ihre Sinus-Studie teilt die Jugendlichen deshalb in sogenannte Lebenswelten ein. Worauf basiert dieses Modell?

Jessen: Diese Grundlagenstudien beschreiben anschaulich die jeweils aktuellen Lebenswelten von Jugendlichen in Deutschland. Wie denken, fühlen und lernen sie, wie gestalten sie ihren Alltag, wo finden sie Sinn, Chancen und Anerkennung? Die Jugendlichen wurden zu ihrer Werthaltung und zu Themen wie Politik und Gesellschaft, digitale Medien, Mobilität und Nachhaltigkeit befragt. Die Studien illustrieren am Beispiel vieler Interviewzitate, selbstgebastelter Collagen der Jugendlichen zum Thema "Das gibt meinem Leben Sinn" und Fotodokumentationen ihrer Jugendzimmer, wie 14- bis 17-Jährige in Deutschland leben.

 

Sie haben erwähnt, dass die Digitalisierung eine der größten Veränderungen darstellt. Wie stark beeinflussen die neuen Medien das Leben der Jugend?

Jessen: Die Digitalisierung hat zusätzliche Dynamik in das Thema Chancengleichheit gebracht. Da finde ich einen Aspekt sehr spannend: Der Begriff der "Digital Natives" vermittelt den Eindruck, dass junge Menschen durchweg viel mehr davon verstehen als Erwachsene. Dabei beschreibt er erst mal nur, dass jemand ins digitale Zeitalter hineingeboren ist und nicht, dass digitale Kompetenzen angeboren werden. Beim Blick auf die Unterschiede zwischen den Generationen geraten die Unterschiede innerhalb der jungen Generation leicht aus dem Blick. Und das finde ich in dem Themenfeld besonders gefährlich. Und dann ist digitale Bildung inzwischen der Klassiker bei Kompetenzen, die man außerhalb von Schule erwirbt und bei der damit die Abhängigkeit von individuellen Voraussetzungen besonders groß ist.

 

Die Erkenntnis, dass jede Jugendgeneration anders ist als ihre Eltern- und Großelterngeneration, ist ein Dauerthema und lässt sich bis in die römische und griechische Antike zurückverfolgen. Aber braucht die Gesellschaft wirklich eine Art Leitfaden, um mit ihrer Jugend klarzukommen?

Jessen: Zumindest braucht sie Erklärungen und Einblicke, denn jede Generation wächst unter anderen Rahmenbedingungen auf. In dieser Lebensphase sind die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit und Identität besonders prägend. Durch den demografischen Wandel wird Jugend als Zielgruppe zum raren und begehrten Gut, über das man möglichst viel wissen möchte. So sind die Erkenntnisse der Jugendforschung im Marketing gefragt, vor allem aber im Personalbereich bei der Nachwuchskräftegewinnung wenn es darum geht, junge Menschen für das eigene Unternehmen zu gewinnen.

 

Wie sehen Sie die Entwicklung? Was werden die Themen der Zukunft sein, wenn die heutigen Jugendlichen in den Arbeitsmarkt eintreten?

Jessen: Die Sinus-Forschungsergebnisse zur beruflichen Orientierung zeigen, dass die Berufswahl bei den meisten Jugendlichen maßgeblich intrinsisch - das heißt von dem persönlichen Interesse an einem Thema, Fach oder einer Tätigkeit - gesteuert wird. Deutlich stärker als in der Vergangenheit legen zum Beispiel Jugendliche auch Wert darauf, dass Unternehmen Verantwortung in der Gesellschaft übernehmen. Umso wichtiger ist es, bei der Werbung um qualifizierten beruflichen Nachwuchs die große Vielfalt heutiger junger Menschen, ihre Lebensstile und Werte zu verstehen.