Roth
"Die Jugend gibt es nicht"

Wiebke Jessen von der Sinus-Akademie referiert in der Rother Kulturfabrik

26.02.2016 | Stand 02.12.2020, 20:09 Uhr

Wiebke Jessen betont, dass es beim Umgang mit Jugendlichen nicht darum gehe, in Schubladen zu denken. - Foto: lra

Roth (HK) Eine engagierte Referentin, die ihre Inhalte perfekt in Unterhaltung packt; ein gut gefüllter Saal in der Kulturfabrik und praxisnahe Denkanstöße für den Alltag: Es ist ein gelungener Vortragsabend, zu dem die Bildungsregion im Landkreis in die Rother Kulturfabrik eingeladen hat.

Wiebke Jessen, die lange in der Marktforschung gearbeitet hat, gibt dabei als Referentin ihre Erkenntnisse zum Besten. "Die Jugend gibt es nicht", lautet ihr Credo, "man muss genauer hinschauen." Deshalb teilt die Sinus-Studie junge Menschen in sogenannte Milieus ein.

Zuvor nutzte Landrat Herbert Eckstein die Gelegenheit, um die Arbeit der Bildungsregion vorzustellen. Es gehe darum, Partner zu vernetzen, neue Ideen zu entwickeln und langfristig Bildungschancen für alle Menschen zu verbessern, denn "kein Talent soll verloren gehen", so Landrat Eckstein.

Zum Einstieg wählte Wiebke Jessen die Bilder von Bill Kaulitz von Tokio Hotel und Thomas Müller vom FC Bayern München. "Rein qualitativ betrachtet", sagt sie, "sind beide 26 Jahre alt, haben im September Geburtstag und sind beruflich erfolgreich." Doch die beiden Bilder auf der Leinwand zeigten, dass wohl große Unterschiede bestehen. "Wer mit Jugendlichen zu tun hat, muss sich damit auseinandersetzen, dass sie unterschiedlichen Milieus angehören", sagt die Referentin. Da seien die Konservativ-Bürgerlichen, die familien- und heimatorientiert, bodenständig, mit Traditionsbewusstsein ausgestattet und gerne bereit sind, Verantwortung zu übernehmen. Deren Gegenüber bildet die Gruppe der Expeditiven, die erfolgs- und lifestyle-orientiert sind, gerne networken und auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen sind. Dazwischen gibt es fünf weitere Milieus auf die Wiebke Jessen eingeht. Dabei fällt auf, dass es viele jungen Menschen aus allen Gruppierungen in den städtischen Raum zieht.

Jessen versteht es, das sachlich nüchterne Thema der Marktforschung anschaulich und reich bebildert dem Publikum nahe zu bringen. Immer wieder spielt sie Filmclips ein, hat Fotos von Jugendzimmern dabei, Briefe von jungen Menschen, in denen diese Träume und Vorstellungen ihres künftigen Lebens schildern. Im Verlauf erwähnt sie auch die Problematik einer Lehrkraft, wenn in einer Klasse verschiedene Welten aufeinander treffen, und gibt Tipps, wie damit umgegangen werden kann. Sie empfiehlt den anwesenden Vertretern von Unternehmen sich genau zu überlegen: "Wie sollen meine künftigen Auszubildenden sein? Welche Ausrichtung bzw. Motivation sollen sie haben? Und stimmen Sie Ihre Werbung darauf ab."

Dabei betont sie, dass es nicht darum gehe, in Schubladen zu denken. Auch Gene seien nicht das allein entscheidenden Merkmal. Wenn es um die Milieus geht, muss man nach den Motiven fragen, die Jugendliche antreiben. Faktoren wie Herkunft, familiäres Umfeld, Freunde spielen eine Rolle.

Schließlich gibt sie noch den Hinweis, dass alle Bemühungen ins Leere laufen, wenn Eltern versuchen würden, ihre Kinder zu ändern und in andere Milieus zu zwängen. Ihre Prognose, wie sich die Milieus in Zukunft verändern werden geht davon aus, dass die Gruppe der postmodernen zunehmen wird, während die der traditionell geprägten Jugendlichen eher abnehmen wird.