Würzburg (epd
"Die Hetze muss aufhören"

Flüchtling klagt gegen Verleumdungen bei Facebook Landgericht Würzburg vertagt Entscheidung

06.02.2017 | Stand 02.12.2020, 18:41 Uhr

Würzburg (epd/AFP) Muss Facebook verleumderische Beiträge löschen oder nicht? Um diese und andere Fragen ging es gestern bei einer mündlichen Verhandlung gegen den US-Konzern vor dem Würzburger Landgericht. Entschieden wurde nichts, Erkenntnisse gab es trotzdem.

Der Würzburger Anwalt Chan-jo Jun ist in Angriffslaune. Noch bevor die mündliche Verhandlung vor der Ersten Zivilkammer des Würzburger Landgerichts beginnt, liefert er sich mit seinem Hamburger Anwaltskollegen Martin Munz einige verbale Scharmützel. Munz vertritt den US-Konzern Facebook, gegen den Jun für den syrischen Flüchtling Anas M. eine einstweilige Verfügung erwirken will. Denn in dem sozialen Netzwerk wimmelt es laut Jun nur so vor Verleumdungen seines Mandanten - immer verbunden mit einem Bild, das den jungen Mann mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zeigt. Und immer wieder wird ihm etwa die Beteiligung an Terroranschlägen oder Straftaten unterstellt.

Eine der über Facebook verbreiteten Montagen zeigt beispielsweise das Selfie-Foto neben den Fahndungsfotos zu den mutmaßlichen Tätern nach einem Brandanschlag auf einen Berliner Obdachlosen. Darüber steht die falsche Behauptung: "Obdachlosen angezündet, Merkel machte 2015 Selfie mit einem der Täter." Auch bei einer Fotomontage zum Berliner Weihnachtsmarkt-Anschlag taucht das Bild auf. Der Anwalt des Flüchtlings will erreichen, dass die Bilder überall auf Facebook gelöscht werden. "Es geht darum, dass Hetze und Verleumdung aufhören", sagt Jun am Rande des Prozesses.

Als Facebook-Anwalt Munz seinen Aktenkoffer ausgepackt hat, nimmt er einen Packen Papier, geht auf Jun zu und drückt ihm diesen in die Hand. Es handelt sich um den ungefähr 60-seitigen Schriftsatz samt Anlagen, mit der die Hamburger Kanzlei "White & Case" am späten Freitagabend auf Juns schon vor Wochen eingereichte Schriftsätze reagiert hat - und der dem Würzburger IT-Fachanwalt erst gestern um 11 Uhr vom Landgericht weitergeleitet wurde, vier Stunden vor Verhandlungsbeginn. Das ist bei Eilverfahren zwar rechtlich zulässig, aber Jun ist genervt: "Wäre auch nett gewesen per E-Mail vorab." Munz antwortet, bereits im Gehen: "Ja, ich weiß." Jun daraufhin trocken: "Aber Sie wollten nicht nett sein!"

Diese Konversation beschreibt ganz gut auch den weiteren Verlauf der gut eineinhalbstündigen mündlichen Verhandlung. Richter Volkmar Seipel versucht zunächst die beiden Parteien zu einer gütlichen Einigung in der Sache zu bewegen - doch es wird schnell klar, dass das wohl nichts wird. Munz erklärt, dass Facebook kein Schmerzensgeld zahlen will. Für Beiträge von anonymen Nutzern, die unverändert veröffentlich wurden, schließe man Schmerzensgeldzahlung auch "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" aus. Nicht ganz so ablehnend zeigte sich Munz für den US-Konzern bei der Forderung, die verleumderischen Beiträge europaweit nicht nur zu blockieren, sondern zu löschen.

Zu einer Einigung kam man indes nicht, erst muss sich Munz dafür mit Facebook besprechen. Jun bewertet diese Andeutung eines Einlenkens aber als Erfolg, denn erstmals habe Facebook öffentlich erklärt, dass die beanstandeten Bilder nicht - wie bislang behauptet - gelöscht, sondern nur für deutsche Nutzer blockiert wurden.

Der Streit dreht sich vor allem um die Frage, in welchem Umfang Facebook aktiv werden muss. Die "Wundermaschine", mit denen nach den entsprechenden Inhalten gesucht werden könne, gebe es noch nicht, sagt Munz. Jun wiederum bezeichnet diese Aussage als "Unsinn".

Die Facebook-Anwälte lehnten auch die Forderung ab, mit Software das erneute Hochladen der beanstandeten Bilder zu stoppen. Dies sei technisch nicht möglich, Jun behauptet jedoch das Gegenteil.

Genau diese technischen Fragen waren denn auch das Problem der Verhandlung vor dem Würzburger Landgericht. Zum einen, weil die für all diese Fragen mit wegweisende E-Commerce-Richtlinie aus dem Jahr 2000 stammt und damit aus dem Vor-Facebook-Zeitalter. Zum anderen, weil Facebook für manche Justizvertreter ein Buch mit sieben Siegeln ist. "Wir haben den Nachteil, dass die gesamte Kammer nicht Mitglied bei Facebook ist", sagte Richter Seipel. So musste zum Beispiel erläutert werden, was es bedeutet, wenn verleumderische Beiträge über 600-mal auf Facebook geteilt werden und wer dann darauf Zugriff habe.

M. zeigte sich nach der mündlichen Verhandlung zufrieden. "Ich fühle mich sehr gut", sagte der 19-Jährige. Doch er machte auch erneut deutlich, welche Folgen das Selfie mit Kanzlerin Merkel vor eineinhalb Jahren für ihn hatte: "Das Foto hat mein Leben verändert", sagte der in Berlin lebende Syrer.

Der Ausgang des Verfahrens ist völlig offen. Beide Seiten haben nun mehr als einen Monat Zeit, sich doch noch gütlich zu einigen - sollte dies nicht geschehen, will die Erste Zivilkammer des Landgerichts am 7. März eine Entscheidung verkünden.