Eichstätt - Es läuft bei den Grünen - vor allem im ländlichen Raum: Im Landkreis Eichstätt haben sich in den vergangenen Monaten sechs neue Ortsverbände gegründet.
Und das, obwohl die Partei keinen eigenen Abgeordneten für den Stimmkreis Eichstätt im Landtag hat. Landtagsabgeordnete Claudia Köhler ist deshalb seit etwa einem Jahr "Betreuungsabgeordnete" für Eichstätt. Die 53-jährige Betriebswirtin ist stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses für Staatshaushalt und Finanzfragen und außerdem "mit Leib und Seele" Gemeinderätin in Unterhaching.
Walting, Buxheim, Gaimersheim, Hepberg, Denkendorf und zuletzt Kösching - in all diesen Orten haben sich Ortsverbände gegründet. Ist das ein Signal für die Wahl im März?
Claudia Köhler: Das ist ein Signal. Es gibt diesmal viele Grüne Listen oder Listen mit grüner Beteiligung, auf denen Leute stehen, die sagen: Jetzt kümmern wir uns und packen an. Denn die Herausforderungen sind vor Ort die gleichen: Klimaschutz, Mobilität, soziale Gerechtigkeit. Dass da so viele ehrenamtlich mitarbeiten wollen, das ist eine große Sache. Denn wir haben gesehen, dass die Demokratie angegriffen wird, dass sie verletzlich ist. Die Leute haben gemerkt, wählen allein reicht nicht mehr, wir müssen uns engagieren.
Auch das "Bienen-Volksbegehren" hat den Grünen Auftrieb gegeben?
Köhler: Das sind schöne Themen, der Einsatz für die Artenvielfalt. Aber es gibt auch Themen, für die sind wir über Jahrzehnte geprügelt worden, weil wir sie benannt haben: Klimaschutz, Umweltschutz. Ich erinnere mich an den Ausstieg aus der Atomkraft. Da mag man den Überbringer der schlechten Nachrichten nie. Die Leute haben die Probleme jetzt realisiert, die Grünen haben sie schon ganz früh angesprochen und nicht beschönigt. Dafür kriegen wir jetzt den großen Zuspruch, und ich glaube, die Leute trauen uns zu, dass wir Lösungen präsentieren. Im Landtag sehe ich das auch, wir sind die größte Opposition. Wir arbeiten ernsthaft an unseren Anträgen und Gesetzesentwürfen und setzen damit die Themen. Auch wenn sie nicht im ersten Moment angenommen werden, sie drehen dann eine Extraschleife und kommt dann schon mal ins Parlament.
Einer Ihrer Termine führte Sie heuer in die Abschiebehaftanstalt in Eichstätt. Wie war Ihr Eindruck?
Köhler: Das war sehr ernüchternd, sehr trostlos. Das Thema begegnet mir ja leider wieder, im Haushaltsausschuss. Nun wird im Moment in München am Flughafen eine weitere Abschiebehaftanstalt vorbereitet. Man verkauft das immer gerne als notwendige Sache, um die vielen straffällig gewordenen Leute abzuschieben. Aber das ist ja nicht so. Dort sind hauptsächlich Leute, die nicht straffällig geworden sind. Deshalb gibt es ja ein extra Gefängnis, sonst wären sie im normalen Strafvollzug, wo sie auch hingehören, wenn sie eine Straftat begangen haben. Und wir haben in dem Abschiebegefängnis gesehen, dass es auch um unser eigenes Personal geht. Es ist für Resozialisierung ausgebildet, aber da gibt es nichts zu resozialisieren, denn die Leute haben erstens nichts angestellt und zweitens keine Perspektive. Das ist frustrierend für das Personal. Ich bin der Meinung, wir schaffen hier ohne Not eine soziale Brisanz, und wir geben wahnsinnig viel Geld dafür aus.
Wie könnte man das Geld sinnvoller einsetzen?
Köhler: Das eine ist die Beschleunigung der Verfahren, das ist aber eine Bundessache vom Bundesamt für Migration und Flucht. Ich kenne in Unterhaching Familien, die wohnen jetzt das vierte Jahr mit drei, vier Kindern in zwei Zimmern, das ist nicht in Ordnung. Dann gilt es, mehr Menschen in Arbeit zu bringen, und zwar in die Berufe, die wir brauchen. Außerdem muss eine humane Unterbringung gewährleistet sein, es ist traurig, dass wir drüber sprechen müssen. Und auf der anderen Seite müssen wir die, die wirklich straffällig geworden sind, auch konsequent verfolgen, dafür braucht es genügend Kräfte. Die Strafverfolgung muss gewährleistet sein, denn diese Fälle ziehen die vorbildlich Integrierten mit runter.
Sie haben die Mobilität als Thema genannt. Klimaschutz bedeutet, auch einmal das Auto stehenzulassen. Dafür braucht es aber einen gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV).
Köhler: Sie waren in Eichstätt von einer Taktverschlechterung betroffen, weil es keine Lokführer gegeben hat. Das darf einfach nicht sein. Wie sollen wir die Leute dazu bringen auf ihr Auto zu verzichten, wenn der ÖPNV nicht zuverlässig funktioniert und teilweise kaum vorhanden ist? Ich war bei Ortsversammlungen, da fährt nur drei Mal am Tag der Bus, und da ist der Schulbus schon dabei. Ich bin bei mir daheim mit Leib und Seele Kommunalpolitikerin, und was mich immer so erstaunt, ist, dass es oft die gleichen Politiker sind, die eine bessere Zuganbindung und Verkehrsverbünde im Kreistag fordern und die dann im Landtag dagegenstimmen, wenn wir Anträge einreichen. Ich bin Haushaltspolitikerin und sehe, wie viele Ausgabereste es im ÖPNV gibt. Da wurde für die Münchner Stammstrecke in den letzten Jahren ganz viel Geld gebunkert, das wahrscheinlich nicht reichen wird. Dafür sind die Zugbestellungen viel zu wenig, ebenso wie die Elektrifizierungen, der Ausbau in den ländlichen Gebieten. Da ist ein Riesen-Polster an Hausaufgaben, Milliarden von genehmigten Geldern, die einfach nicht angegangen wurden.
Mobilität, ÖPNV, diese Themen finden sich auch auf den Plakaten der "Fridays for Future"-Bewegung wieder. Sehen Sie da Bewegung?
Köhler: Unsere Jugend weiß genau, dass es sie am meisten treffen wird, wenn sich nichts tut. Hier ist die Gesellschaft eigentlich schon weiter als die Politik. Ich glaube, dass dadurch das Thema Bahn und ÖPNV viel mehr ins Bewusstsein gedrungen ist. Egal, wo ich hier in der Region 10 bin, überall sagen mir die Leute: Setz' dich ein für den Zugverkehr. Bei einer alternden Gesellschaft, die mobil bleiben soll, kann ich das doch nicht verschlafen. Bayern hat jetzt ganz fette Jahre hinter sich. Es wurde viel Geld ausgegeben, aber kaum in etwas Strukturelles. Ich sehe kein Thema, das befriedigend für die Zukunft vorbereitet wurde. ÖPNV nicht, Pflege nicht, bei der Bildung sind wir nicht zufrieden, in unsere Hochschulen regnet es rein, Klimaschutz - es ist viel zu wenig passiert.
Gilt das auch für den Individualverkehr?
Köhler: Wir brauchen ihn, manchmal geht es nicht anders. Aber auch da wird mit der momentanen politischen Prioritätensetzung eine Entwicklung gehemmt. Ich sehe, dass die Unternehmen mit E-Mobilität und Brennstoffzelle schon so weit sind. Wenn aber die politischen Rahmen nicht gesetzt werden, bringen wir sie ins wirtschaftliche Hintertreffen. Die Leute werden nicht umstellen, zum Beispiel auf einen Lkw mit Brennstoffzelle, oder einen E-Motor, wenn sich weder beim Mautsystem noch bei den Regelungen für Innenstädte etwas ändert. Das ist Aufgabe der Politik. Am Ende schaden wir der Wirtschaft, wenn wir ihr vorgaukeln, wir könnten den Status quo erhalten. Ich glaube, dass die Firmen das auch erkannt haben.
Vieles hängt an Audi, es ist der größte und wichtigste Arbeitgeber in der Region.
Köhler: Das ist doch das beste Beispiel. Man hat so lange den Konzernen signalisiert: Ihr könnt so weitermachen, wir protegieren euch. Und jetzt geraten wir ins Hintertreffen, obwohl Audi nicht faul war und durchaus in Forschung investiert hat. Letztlich kommt es darauf an, wie all diese Themen - wirtschaftliche Stärke, Mobilität und soziale Gerechtigkeit - ineinander greifen.
EK
Die Fragen stellte Tina Steimle.
Zu den Kommentaren