Nürnberg
Die ganze Welt des Gerhard Richter

13.11.2014 | Stand 02.12.2020, 21:59 Uhr

 

Nürnberg (DK) Das Staatsmuseum für moderne Kunst Nürnberg ist mit einem Schlag in die Liga der international beachteten Museen für Kunst der Nachkriegszeit aufgestiegen: Es kann jetzt wie wenige andere Häuser in Deutschland vor allem die deutsche Malerei von den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts an repräsentieren.

Zu danken ist das den großzügigen Dauerleihgaben der Berliner Sammlung Böckmann, die dem Museum größere Konvolute von Gerhard Richter, Gotthard Graupner und A. R. Penck überließ, die in der nächsten Zeit in großen Sonderausstellungen vorgestellt werden. Den Auftakt machen 29 Werke von Gerhard Richter, nicht nur der „teuerste“ lebende deutsche Künstler, sondern weltweit der derzeit höchst gehandelte Künstler überhaupt.

Für das Nürnberger Staatsmuseum bedeutet das, so Kurator Thomas Heyden, einen „Quantensprung“, nicht nur, weil man in die erste Riege der international renommierten Museen aufgestiegen ist, sondern weil man sich mit diesem Sammlungsbestand künftig für Ausstellungen auch Leihgaben anderer Häuser einhandeln kann, die man nicht bekäme, wenn man selbst nicht diese Bilder zu bieten hätte. Und die Ausstellung der Werke Richters, mit denen das Nürnberger Museum jetzt weltweit die drittgrößte Sammlung mit Gemälden des Künstlers beherbergt, bietet auch einen hervorragenden Überblick über das Gesamtwerk Richters, sodass man sie insofern als kleine Retrospektive bezeichnen kann, als sie den überwältigenden Kosmos dieses ein halbes Jahrhundert umfassenden malerischen Oeuvres auslotet.

Was mit frühen Werken des 1932 in Dresden geborenen Künstlers beginnt, der 1961 in den Westen übersiedelte, an der Düsseldorfer Akademie studierte, (wo seinerzeit Joseph Beuys höchst umstritten lehrte), und zusammen mit Sigmar Polke und anderen als Gegenposition zum „Sozialistischen Realismus“ der DDR den „Kapitalistischen Realismus“ kreierte. Schon mit seinen ersten Bildern, seinem „Waldstück“ von 1965 etwa, dem Entrée der Nürnberger Ausstellung, stellte Richter die vorherrschende Kunst infrage und beantwortete die scheinbar paradoxe Frage, wie kann man ein Bild malen, ohne ein Bild zu malen. Seine Absicht dabei: „Nichts erfinden, keine Idee, keine Komposition, keinen Gegenstand, keine Form – und doch alles erhalten: Komposition, Gegenstand, Form, Idee, Bild“.

Also malte Richter nach Fotografien, nicht im Stile des amerikanischen Fotorealismus, sondern in klassischer Manier mit Pinsel und Öl auf Leinwand, was seinen Gemälden eine Unschärfe verlieh, die sie zu – auf den ersten Blick – abstrakten Bildern machte. Dabei waren sie weder gegenständlich noch ungegenständlich, denn sie bildeten ja einen Gegenstand, die Fotografie, ab. Exemplarisch dafür steht in der Ausstellung das Bild „Olympia“, eine Hommage an ein Gemälde Manets, tatsächlich aber ein Bild aus Richters Zyklus so genannter „Pornografien“, die ganz und gar nicht voyeuristisch nicht einen „gemalten Akt“, sondern nur den „malerischen Akt“, den Akt des Malens zeigen.

Mit solchen Diskontinuitäten und Ambivalenzen entwickelte sich Gerhard Richter (kleines Foto) zum „Meister des Stilbruchs“, der Farbmuster genauso malerisch „reproduzierte“ wie er „Seestücke“, „Wolken“ oder in seinem berühmten RAF-Zyklus nach Polizeifotos die Leichen von Gudrun Ensslin, Michael Baader und Ulrike Meinhof malte. Oder in unübertroffenem Naturalismus klassische Genre-Bilder von Landschaften (nach) malte, etwa die „Brücke (am Meer)“ von 1969.

Von Kurator Thomas Heyden chronologisch gehängt – die Hängung wurde von Gerhard Richter persönlich abgesegnet und in Nuancen, aber höchst sinnfällig verändert und durch eigene Leihgaben des Künstlers ergänzt –, entfaltet sich in dieser angesichts des riesigen Werks eher kleinen Ausstellung dennoch das gesamte Panorama des ebenso konsequenten wie vielfältigen, ja sich scheinbar widersprechenden Oeuvres eines Künstlers, der wie kaum ein anderer immer wieder sich selbst, den Künstler, das Kunstwerk und damit die Kunst der Gegenwart problematisierte. Und dabei eben immer wieder doch solch große Kunst hervorbrachte.

Staatsmuseum für moderne Kunst Nürnberg, Klarissenplatz. Gerhard Richter: Ausschnitt. Bis 22. Februar 2015. Di – So 10 – 18 Uhr; Do 20 Uhr. 24., 25. und 31. Dez. geschlossen.