Ingolstadt
Die Gang der Amateure

Prozess um geknackte Geldautomaten: Kripoleute aus München und Ingolstadt schildern ihre Ermittlungen

17.05.2019 | Stand 23.09.2023, 7:02 Uhr

Ingolstadt (DK) Sie wollten ans große Geld, um sich Urlaube und neue Autos leisten zu können, doch als sich einige junge Männer aus dem Münchner Raum zur Beschaffung der nötigen Scheine aufs Knacken von Geldautomaten mittels Gasexplosionen verlegten, wollte sich so recht kein Erfolg einstellen.

Seit Monatsbeginn müssen sich ein mutmaßlicher Hauptbeteiligter und einige Helfershelfer wegen dieser und anderer Eskapaden vor dem Landgericht verantworten (DK berichtete bereits am 4. Mai). Beim Fortsetzungstermin am Freitag ging es vor allem um die polizeilichen Ermittlungen, die den Möchtegern-Ganoven wegen ihres sorglosen Vorgehens schnell zum Verhängnis wurden.

Die Ingolstädter Justiz muss sich mit diesem Fall befassen, weil der zweite größere Coup der Automatenknacker auf den Giromaten der Raiffeisenbank in Weichering-Lichtenau abzielte. Den hatten sie am späten Abend des 16. September vorigen Jahres erfolglos zu sprengen versucht - und die Ingolstädter Kripo war bei den Ermittlungen schließlich federführend, obwohl wesentliche Beiträge auch von den Münchner Kollegen geleistet wurden, die gegen einzelne Verdächtige auch noch wegen weiterer Vorwürfe ermitteln.

In Untersuchungshaft befindet sich seit dem vorigen Herbst ein 24-Jähriger aus Haar, der bei dem Weicheringer Vorfall mit im Bunde gewesen sein soll. Sein mutmaßlicher damaliger Mittäter muss sich nicht mehr verantworten, weil er im Januar in der Haft Selbstmord begangen hat. Zwei andere junge Männer, beide 31 Jahre alt, sitzen auf der Anlagebank, weil sie beim Verschieben eines gestohlenen Luxusautos geholfen haben sollen.

Das Verfahren gegen einen 20-jährigen vierten Angeklagten aus München wurde gestern vorläufig eingestellt, weil er zwar von kriminellen Vorhaben gewusst haben soll, jedoch nicht aktiv beteiligt war. Er kommt jetzt mit 30 abzuleistenden Sozialstunden davon.

Auch wenn die drei verbliebenen Angeklagten zum Prozessauftakt über Einlassungen in groben Zügen ihre Tatbeteiligungen eingestanden hatten, gibt es nach Auffassung der Rechtsbeistände doch noch einige Details abzuklären - ganz so, wie in der Anklageschrift festgehalten, habe sich das alles womöglich doch nicht zugetragen, meint zumindest die Ingolstädter Rechtanwältin Marion Reisenhofer, die einen der beiden 31-Jährigen vertritt. Dieser Mann, ein zuletzt arbeitsloser Kfz-Schrauber, war angeblich beim Entschärfen der GPS-Ortungseinheit im gestohlenen Luxusschlitten behilflich gewesen.

Die 2. Jugendkammer unter Vorsitz von Jürgen Staudt ließ sich zum Einstieg in die Beweisaufnahme am Freitag von den beiden Ermittlungsleitern der Kripo in Ingolstadt und München zunächst einmal den Rahmen für die polizeilichen Ermittlungen geben. Die beiden Beamten schilderten, wie man den mutmaßlichen Automatenknackern und Autodieben wegen ihrer recht blauäugigen, völlig ungeschützten Handykommuni-kation sehr schnell auf die Schliche gekommen war.

Wer in den vergangenen Jahren jemals auch nur ein klein wenig von neueren polizeilichen Ermittlungsmethoden gelesen oder gehört haben sollte, wird sicher nicht auf die Idee kommen, kriminelle Vorhaben über soziale Medien lang und breit zu erörtern. Nicht so die jetzigen Angeklagten, die offenbar all ihre Pläne und Taten minutiös über den Messengerdienst WhatsApp untereinander ausgebreitet haben. Die Polizei musste praktisch nur noch die auf Servern und Handys gespeicherten Chatverläufe mit- oder nachlesen, um gut im Bilde zu sein.

Dass dies auch zügig gelang, verdankten die Beamten einer richterlich erwirkten Telefonüberwachung, die eingerichtet worden war, nachdem einige der jetzigen Angeklagten und auch ihr später in der Haft verstorbener Kumpel im vorigen August im Raum München zufällig in eine Polizeikontrolle geraten waren. Da waren im Wagen der jungen Leute typisches Werkzeug für Automatenaufbrüche (Gasflasche, Einleitungsschlauch, Brechstangen) und auch Sturmhauben gefunden worden. Ein direkter Tatnachweis hatte sich zu diesem Zeitpunkt zwar nicht führen lassen, doch waren die Männer fortan höchst verdächtig und reif für die Telefonüberwachung, später auch für Observierungen.

Dass sich die Polizei nun für sie interessierte, hätten die jungen Männer eigentlich "schmecken" müssen - doch sie ließen sich nicht davon abbringen, Mitte September zunächst in Fahrenzhausen und nur zwei Tage später in Lichtenau zuzuschlagen. Beide Explosionen richteten zwar große Schäden an den jeweiligen Bankautomaten an, doch an die Geldkassetten gelangten die Täter nicht. Die Handschellen klickten dann zwei weitere Tage später, bevor die Gang einen dritten Anschlag auf einen Giromaten in Oberpframmern im Kreis Ebersberg verüben konnte.

Eine ganz eigene Geschichte ist die eines angeblich von den beiden Haupttätern aus einem Parkhaus des Münchner Flughafens gestohlenen BMW M6 des Autovermieters Sixt. Den Wagen mit einem Zeitwert von (netto) rund 80000 Euro verschacherten die Beschuldigten angeblich in Serbien für 8000 Euro, weil sie sich offenbar von den Käufern gehörig übers Ohr hauen ließen. Auch dies ein Beispiel dafür, dass hier nicht gerade Profis, sondern blutige Amateure am Werk waren.

Der Prozess soll am nächsten Freitag fortgesetzt werden.

Bernd Heimerl