Ingolstadt
Die Frage nach dem Höchstlohn

Fünf Kandidaten diskutieren mit Bürgern über den Sozialstaat – aber eine Neiddebatte will keiner

03.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:57 Uhr

Kandidaten auf dem Podium: (von links) Anton Brandl (FDP), Reinhard Brandl (CSU), Joachim Siebler (Grüne), Stefan Schieren (SPD) und Eva Bulling-Schröter (Die Linke) diskutierten über soziale Themen - Foto: Strisch

Ingolstadt (DK) Fünf Kandidaten, eine Frage: Wie viel Soziales können wir uns leisten? Moderiert von Prof. Friedrich Kraft entwickelte sich Mittwochabend in der VHS eine lebhafte Diskussion über Mindestlohn, Pflegenotstand und die wachsende Ungleichheit.

Auch Bürger beteiligten sich rege.

REINHARD BRANDL

Der CSU-Bundestagsabgeordnete machte an diesem Abend keine gute Figur: Brandl musste mehrmals aufgefordert werden, lauter zu sprechen, weil ihn kaum jemand verstand. Zum Thema Pflegenotstand räumte der CSU-Mann ein, die Politik könne nicht alles richten: „Auf 100 freie Stellen kommen halt nur 35 Bewerber.“ So richtig in Aufruhr gerieten die Zuhörer, als Brandl in der Schlussrunde, als es um hohe Managerbezüge ging, das Wort „Neiddebatte“ fallen ließ. Da gab es erboste Zwischenrufe.

EVA BULLING-SCHRÖTER

Ihr macht so leicht keiner was vor in politischen Debatten: Die Bundestagesabgeordnete der Linkspartei ist ein Schlachtross. „Momentan leisten wir uns ziemlich wenig Sozialstaat: Die Reallöhne sinken, die Renten auch, die Altersarmut ist gravierend. Dabei sind wir eine reiche Gesellschaft.“ Bulling-Schröter formulierte die bekannten linken Positionen: eine solidarische Sozialversicherung, Umverteilung von Steuern, Abbau der Leiharbeit, zehn Euro Mindestlohn. „Auf dem Münchener Flughafen, angeblich eine Jobmaschine, arbeiten Leute für 4,50 Euro.“

STEFAN SCHIEREN

Der Bundestagskandidat der SPD wirkte souverän und zitiere häufig aus der Fachliteratur. Daraus wurde eine Art Running Gag, der das Publikum sogar belustigte. Der Professor räumte ein, das Thema Mindestlohn (die SPD fordert 8,50 Euro) sei heikel. Aber: „Sogar im Heimatland des Kapitalismus, in England, wurde er eingeführt, und die Erfahrungen sind gar nicht so schlecht“, so Schieren.

JOACHIM SIEBLER

Er will für die Grünen in den Bezirkstag ziehen und vertrat Bundestagsabgeordnete Agnes Krumwiede. Siebler formulierte die Frage des Abends um: „Wie wenig Sozialstaat können wir uns leisten“ Dafür gab es Beifall. Der Kandidat verteidigte das Steuerkonzept der Grünen, das höhere Abgaben vorsieht: „Und zwar von denen, die noch genug übrig haben: Zum Beispiel dieser Sportschuhhersteller, der 20 Millionen Spielgeld zu vergeben hatte.“

ANTON BRANDL

Der Apotheker und FDP-Kandidat gab nur knappe Statements ab. „Wir werden um unser Gesundheitssystem beneidet, müssen uns aber noch mehr um Schwerstkranke und Demente kümmern.“ Brandl überraschte mit Aussagen wie: „Ich persönlich habe Ressentiments gegen Leute, die durch Finanzspekulationen reich werden.“

REAKTIONEN

Karl Ettinger saß im Publikum in der ersten Reihe, meldete sich auch als Erster zu Wort und redete als OB-Kandidat der FDP deutlich mehr als sein Parteifreund auf dem Podium. Ettinger sprach über die Rettung des Tierschutzvereins vor Insolvenz durch freiwilligen Lohnverzicht der Tierheim-Mitarbeiterinnen. Mit einem gesetzlichen Mindestlohn wäre das nicht möglich gewesen, griff er Bulling-Schröter an. Die konterte: „Fürs Tierheim schlage ich den öffentlichen Beschäftigungssektor vor. Ich frage mich auch, ob die städtischen Zuschüsse wirklich so sind, wie sie sein sollten. Der Gesellschaft sollte Tierschutz auch etwas wert sein.“

Walter Hürter, Vertreter von „Wir sind Kirche“ kritisierte: „Die Bezahlung von Pflegekräften ist unter aller Kanone. Die gravierenden Unterschiede bei den Einkommen in unserem Land sind einfach nicht mehr ertragbar. Da muss ein Umdenken passieren.“

Anita Sporer, alleinerziehende Mutter von vier Kindern, beklagte, ihre Mutter müsse von 105 Euro Rente leben. „Viele wagen nicht einmal den Schritt in Hartz-IV. Die Bevölkerung empfindet die soziale Ungerechtigkeit als immer schlimmer.“ Ihre Frage an die Politiker: „Denken Sie auch mal über einen Höchstlohn nach“ Bulling-Schröter meinte: „Eine Million ist genug.“

Jochen Semle, Bereichsleiter des Neuburger Kinder- und Jugendhilfezentrums, packte aus: „Wir haben zunehmend Diskussionen mit Jugendämtern, die uns unter den Tariflohn drücken wollen. Ich verstehe nicht, wie staatliche Institutionen so handeln können.“ MdB Reinhard Brandl entgegnete: „So einen Fall muss man überprüfen. Es kann nicht sein, dass bei öffentlichen Ausschreibungen nicht der Tariflohn gilt.“