Die finsteren Begleiter des heiligen Nikolaus

04.12.2019 | Stand 23.09.2023, 12:04 Uhr

−Foto: Kristina Blum

Das Läuten von Kuhglocken ist in der Alpenregion nichts allzu Außergewöhnliches. Wenn es aber in der Vorweihnachtszeit in den Innenstädten oder gar in Wohngebieten laut schellt, dann ist der Nikolaus mit seinen finsteren Begleitern unterwegs. Wenn sie kommen, dann hört man sie. Die Kramperl.

Das laute Schellen und Scheppern der Kuhglocken, die sie um ihre Hüfte tragen, ist schon aus weiter Ferne zu vernehmen. Spätestens, wenn einem eine Meute Jugendlicher mit rußbeschmierten Gesichtern kreischend entgegenkommt, ist klar, sie können nicht mehr weit sein. Dann springen sie auf die Schaulustigen zu, schlagen mit ihren geflochtenen Weidenruten auf sie ein und Kinder verstecken sich weinend hinter ihren Eltern.

BESONDERES BRAUCHTUM ZUM NIKOLAUSTAG

In sogenannten Passen schließen sich die Läufer zusammen, die ihre Identität hinter Masken verstecken. Zwei davon gewähren unserer Zeitung Einblick in die geheimen Vorbereitungen des Brauchtums und berichten von dem Aufwand dieses traditionsbeladenen Hobbys. Zuletzt auch, weil negative Schlagzeilen die Krampus-Läufe überschatten und das Verhalten der Schaulustigen zunehmend aggressiver wird. „Die Pflege des Brauchtums und dieses an die jüngeren Generation heranzutragen – deswegen bin ich Kramperl geworden“, sagt Ulrich Hofer, Vorsitzender der „Wörgötter Pass Bad Reichenhall“. Die Pass ist ein Verein mit Perchtenläufern, die traditionell erst ab dem 21. Dezember unterwegs sind. Hofer läuft am 5. und 6. Dezember jedoch auch als Kramperl der „Stodara Krampein“ in Bad Reichenhall.

WAS SIND KRAMPERL UND PERCHTEN?

Wegen ihres teils furchteinflößenden Aussehens bringen Perchten und Kramperl viele Kinder zum Weinen. In Ziegen- oder Schaffelle gewandet, mit aufwendig geschnitzter Holzmaske, die oft eine gruselige Fratze zeigt, und den Glocken erschrecken sie auch den einen oder anderen Erwachsenen.  „Aber da gibt es wichtige Unterschiede“, sagt Hofer. Das in den Gruppen oft Kramperl und Perchten gemeinsam laufen, fällt vielen Schaulustigen gar nicht auf. Dem Experten schon. „Die Schreckgestalten mit den Holzmasken und dem Rossschweif in der Hand sind die Perchten“, sagt Ulrich Hofer. Diese kommen überwiegend aus Österreich, sind jedoch durch die Grenznähe auch im bayerischen Alpenland immer stärker vertreten. „Der Kramperl hat nur zwei Hörner, weil er dem Teufel ähneln soll. Perchten hingegen haben mindestens zwei Paar oder mehr“, erklärt Hofer. Ein weiterer Unterschied zwischen Krampus und Percht liegt bei den Glocken. Während Perchten nur leichte, rund zehn Kilo schwere, kugelförmige Schellen um die Hüfte geschnallt haben, laufen die Kramperl meist mit wesentlich schwereren Kuhglocken, die bis zu 30 Kilo wiegen können. Zudem tragen vielerorts Kramperl nur Fellmasken, was jedoch kein Muss ist.Eine komplette Ausrüstung samt Larve (Maske), Fell, Schweif, Glocken und allem, was dazugehört, koste mindestens 1100 Euro. „Je nachdem, welche Larve man sich schnitzen lässt, ist noch Luft nach oben“, sagt Hofer. Für eine aufwendig geschnitzte und bemalte Perchtenmaske könne man sogar bis zu 2000 Euro ausgeben.

DER GABENBRINGER UND DIE SCHRECKGESTALTEN

Johannes Schöbinger (Foto, mit von den Kramperl rußgeschwärzter Nase) ist Kreisheimatpfleger in Berchtesgaden und beschäftigt sich mit lokalem Brauchtum. „Das Nikolaus- und Kramperlbrauchtum ist seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar“, erklärt er. Beim sogenannten Einkehrbrauch brint der heilige Nikolaus, begleitet von seinen Kramperl, Gaben an die braven Kinder. Für Schöbinger ist klar, wie der Nikolaus traditionell auszusehen hat: Entgegen der von der Werbeindustrie propagierten Figur im roten Anzug und Zipfelmütze, tritt der Heilige in Bayern in bischöflichem Gewand auf – meist mit Rauchmantel, Messgewand, Mintra und Stab. Begleitet wird der Heilige während des Einkehrbrauchs traditionell von einem oder zwei Kramperl, mancherorts auch noch vom Nikoloweiberl oder einem Engerl, die Geschenke an die braven Kinder überreichen.

„Das Nikolaus- und Kramperlbrauchtum ist seit dem 16. Jahrhundert nachweisbar."

Johannes Schöbinger, Kreisheimatpfleger in Berchtesgaden

„Der Krampus stammt ursprünglich – wie auch viele andere dämonische Gestalten des Alpenraums – aus der vorchristlichen Zeit und ist germanisch-keltischen Ursprungs“, sagt Schöbinger. In der Mundart werden sie als Kramperl bezeichnet und sind im alpenländischen Adventsbrauchtum Schreckgestalten, die als Begleiter des Heiligen unartige Kinder mit der Rute bestrafen. Auch in anderen Gegenden des Freistaats wie der nördlichen Oberpfalz und auch hier in der Region in Eichstätt und Ingolstadt traten vorweihnachtliche Schreckfiguren wie der Specht oder der Luz auf. Dieses Brauchtum ist jedoch seit Mitte des 20. Jahrhunderts ausgestorben. Im Allgäu ziehen dieser Tage die Bärbele und Klausen durch die Dörfer und Städte. Auch sie tragen Tierfelle um den Körper und schaurige Masken mit Hörnern. Mit den Kuhschellen und Ketten um ihre Hüften lärmen sie, um die bösen Wintergeister zu verjagen. In den Gegenden, in denen die Kramperl auftreten, ist der eigentliche Brauch, die Einkehr des Nikolaus’, durch die wilden Gesellen oft in den Hintergrund gerückt ist. Das bedauert auch Kreisheimatpfleger Schöbinger. „Hunderte Kramperl laufen durch die Städte und der Nikolaus wird kaum beachtet. Diese Entwicklung finde ich sehr schade“, sagt er.

EINZIGARTIGES BRAUCHTUM DER BESONDEREN ART

In Berchtesgaden wird eine besondere Form des Krampus-Brauchtums gepflegt: der Buttenmandl-Lauf. In einigen Gemeinden ziehen die in Stroh gewandeten Gestalten mit einer Tierfellmaske mit heraushängenden Zunge umher. Um einen Buttenmandl einzubinden, ist viel Kraft mehrerer Männer notwendig. Auch zum Aufrichten und Ausziehen benötigen die Buttenmandl Hilfe. „Normalerweise darf man beim Einbinden eines Buttenmandl nicht zuschauen“, verrät Schöbinger. Als Kreisheimatpfleger pflege er aber gute Kontakte zu den Passen und konnte unserer Zeitung Fotos zur Verfügung stellen. Begleitet werden die Buttenmandl von sogenannten Gankerl. Nur in Tierfelle gewandet, tragen sie kleine Glocken und sind daher schneller und wendiger.

GESTALTEN DER SONNENWENDE WERDEN ZU ADVENTSDÄMONEN

Das Stroh und die Tierköpfigkeit dieser Gestalten bringt ihren einstigen Charakter als Fruchtbarkeitsdämon zum Ausdruck. „Der Name leitet sich von ‚butteln‘ ab, was so viel bedeutet wie ‚rütteln‘ und das Schütteln der Glocken meint“, erklärt Schöbinger. Eigentlich traten die Buttenmandl im heidnischen Brauch zur Sonnenwende auf, um den Winter auszutreiben. „Diese alten Bräuche wurden im Zuge der Christianisierung überhöht.“ Sozusagen angepasst. Damit das Gesicht des Kramperl oder Buttenmandl und damit auch die Identität der Person, die unter der Maske steckt, nicht zu erkennen ist, umranden sie ihre Augen mit Ruß. Auch die Hände sind schwarz, womit sie den Schaulustigen bei den Läufen über das Gesicht fahren und sie somit markieren. „Vor allem junge Dirndln wollen möglichst viel Ruß im Gesicht haben“, sagt der Kreisheimatpfleger. Eine bestimmte Bedeutung habe dieser Braucht jedoch nicht.

GESCHLECHTERROLLEN KLAR VERTEILT

Die Vorbereitungen auf die Saison beginnen früh: „Als Percht läuft die Vorbereitung eigentlich das ganze Jahr“, erzählt Hofer. Die „Gruttenstoana Kramperl“ bereiten sich seit Oktober vor. „Wer einen Hausbesuch buchen möchte, sollte sich spätestens bis Mitte Oktober bei uns melden“, sagt Matthias Wich, der seit sechs Jahren Kramperlmeister – sozusagen der Vorsitzende – bei den „Gruttenstoana Kramperl“ ist. Seit zwölf Jahren gehört er dem Verein an. Bereits Anfang November, sagt Wich, seien sie für die Saison ausgebucht.  Um als Krampus zu laufen, muss man laut Gesetz mindestens 16 Jahre alt sein. Ansonsten sollte man männlich sein, aus der Region kommen und das Brauchtum gut kennen. Frauen können als Hexen oder – sofern die Pass eine modernere Auslegung des Brauchtums zulässt – auch als Frau Percht auftreten und mitmachen. Die Engerl, die den Nikolaus und die Kramperl begleiten, sind übrigens immer weiblich.

"Als Percht läuft die Vorbereitung eigentlich das ganze Jahr"

Ulrich Hofer, Vrsitzender der Wörgötter Pass Bad Reichenhall

BRAUCHTUM GERÄT IN VERRUF

Zuletzt hat sich viel für die Kramperl-Läufer verändert, berichten Hofer und Wich. Schon vor einigen Jahren seien die Auflagen für die Krampus-Läufer deutlich strenger geworden, da sich viele von ihnen nicht bei den Schlägen unter Kontrolle hatten, alkoholisiert gelaufen sind. In den örtlichen Heimatzeitungen häuften sich negative Schlagzeilen. „Seit ein paar Jahren gibt es ein Register, wo jeder Läufer erfasst wird. Dabei macht das Ordnungsamt Fotos von Maske und Läufer. Zudem müssen alle eine Haftungserklärung unterschreiben“, berichtet Ulrich Hofer.

Wird ein Mensch verletzt oder der Krampus dabei beobachtet, wie er etwas kaputtmacht, könne dies zurückverfolgt werden. Allerdings habe sich auch das Verhalten auf Seiten der Bevölkerung verändert. „Die Jugend ist aggressiver geworden. Mittlerweile muss man die Kramperl schützen, nicht umgekehrt“, so Hofer. Tritte in den Rücken gegen die schweren Glocken oder Ziehen an Hörnern, was zu Verletzungen im Nackenbereich führen kann, sind keine Seltenheit. Dem pflichtet auch Wich bei: „Es gab eine Zeit, in der sich viele Passen aufgelöst haben, aber man hat sich wieder aufs Brauchtum besonnen. Die Tendenz zu Pöbeleien aus der Bevölkerung ist nicht zurückgegangen, dafür sind die Kramperl aber ruhiger geworden.“

Ja, seiner Meinung nach sei es ein „rabiates Brauchtum“, die Grenze zur Gewalt sehr schmal. Trotzdem zieht es viele Alpenländler nach draußen, wenn die Kramperl unterwegs sind. Und ja, die Striemen und heute auch die zunehmend strengeren Auflagen gehören inzwischen dazu.

Kristina Blum