"Die ertrunkenen Kinder sind ein Warnsignal"

Die Wasserwacht Bayern startet ihre Aktion "Bayern schwimmt" - und es gibt viel Aufholbedarf

09.07.2021 | Stand 23.09.2023, 19:41 Uhr
Beim Startschuss dabei: Kultusminister Michael Piazolo (FW) und Bayerns Wasserwacht-Chef Thomas Huber (links). −Foto: Hase

Freising - Noch nie war die Aktion "Bayern schwimmt", die jetzt im Freisinger Hallenbad Fresch eröffnet wurde, so wichtig wie in diesem Jahr. Denn die Zahl der Kinder, die schwimmen lernen, ist durch Corona dramatisch zurückgegangen.

 

"Die bundesweit ertrunkenen Kinder und Jugendlichen direkt zu Beginn des Sommers sind ein Warnsignal", sagt Thomas Huber, Vorsitzender der Wasserwacht Bayern, CSU-Landtagsabgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Ausschusses für Jugend, Familie und Soziales am Freitag. Aufgrund der Corona bedingten Bäderschließungen sei vielfach der Schwimmsport in den Schulen ausgefallen, bedauert Thomas Huber. "Wir haben Aufholbedarf."

Nun also erneut "Bayern schwimmt" - und zwar zum zweiten Mal infolge rein digital. Die Schirmherrschaft übernommen hat Bayerns Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU), die den Termin in Freising jedoch kurzfristig wegen einer Grippe absagen musste. Anwesend war aber Kultusminister Piazolo (Freie Wähler). Das große Schwimmdefizit bei den Kindern bekommt sein Ressort besonders zu spüren. Wo keine Basics da sind, kann nicht aufgebaut werden, Klassenausflüge an Seen und Weiher werden nun zum Risiko für Lehrer.

Die Wasserwacht setzt neben der Website www.bayernschwimmt.de vor allem auf sieben sogenannte Video-Tutorials. Deren Ziel ist es, den Nachwuchs sicher ans Wasser zu gewöhnen, fürs Schwimmen zu motivieren, aber auch auf Gefahren hinzuweisen. "Denn wegen der noch immer reglementierten Besucherzahlen für die Freibäder strömen die Menschen verstärkt an die Seen und Weiher", so Leonhard Stärk, der Landesgeschäftsführer des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK), zu dem die Wasserwacht gehört. Dort aber sei die Gefahr von Badeunfällen deutlich höher. Schwerpunkt in den Videos sind deshalb heuer auch die Freigewässer.

Die Stars der Videos sind zwei Geschwister aus Schwandorf: der neunjährige Kilian und seine Schwester Antonia (14). "Schwimmen können ist überlebenswichtig", sagt Kilian. Er und seine Schwester sind richtige Wasserratten und demonstrieren für ihre Altersgenossen in den Filmen unter anderem, wie man einen Kopfsprung macht, krault, auf dem Rücken schwimmt, richtig ein- und ausatmet oder zwei Meter tief auf dem Beckengrund nach einem Gummiring taucht. Ihnen zur Seite steht der Moderator Julian Janssen - beim Kindersender Kika bekannt unter dem Namen Checker Julian -, der sich mit den beiden kleinen Oberpfälzern im Wasser zu messen versucht und von ihnen auch mal liebevoll veralbert wird. Beim Brustschwimmen über 200 Meter hat der Erwachsene gegen Kilian keine Chance. Das gibt dem Ganzen auch eine dramaturgische Note, die die jungen Zuschauer unterhalten soll - trockene reine Lehrdemonstrationen kommen bei Kindern wohl nicht so recht an, dachte man sich bei der Wasserwacht.

"Logisch, dass Kilian Checker Julian abhängt", erklärt lachend der Vater der Geschwister, Wolfgang Dantl. "Die beiden haben jeweils mit vier Jahren schwimmen gelernt." Er selbst ist auch begeistert bei der Wasserwacht dabei, unter anderem als Vorsitzender des Schwandorfer Kreisverbands. Gemeinsam mit seiner Frau gibt Wolfgang Dantl seit Jahren Schwimmkurse für Kinder. Doch so viele Anfragen wie heuer hatten die beiden noch nie. "Die Anträge stapeln sich, wir wissen nicht mehr, wie wir das alles abarbeiten sollen."

 

Auch sehen sich nach seiner Beobachtung immer weniger Eltern in der Lage, ihrem Kind selbst das Schwimmen beizubringen - was früher fast die Regel war, wie sich Minister Piazolo erinnerte, der es auch von seinem Vater lernte. "Es herrscht ein wachsendes Anspruchsdenken, dass alles die Schule, der Staat oder gemeinnützige Organisationen wie wir übernehmen sollen", ärgert sich Wasserwachtler Dantl.

Oft können viele Eltern auch selbst gar nicht schwimmen - vor allem viele Zuwanderer, denen meist auch noch Sprachbarrieren im Weg stehen sowie kulturelle Hindernisse. Dass etwa ein weiblicher Teenager gemeinsam mit gleichaltrigen Buben einen Schwimmkurs besucht, ist für viele strenggläubige muslimische Väter unzumutbar. So war denn auch der Anteil der Zuwanderer unter den im Wasser verunglückten Kindern und Jugendlichen überproportional groß.

Die Nachfrage nach Schwimmkursen könnte noch zunehmen. Denn die Staatsregierung beschloss kürzlich, jedem Kind in Bayern einen 50-Euro-Gutschein für einen Schwimmkurs zur Ablegung des Seepferdchens zur Verfügung zu stellen. Wobei selbst Wasserwacht-Chef Thomas Huber zugibt, dass das Seepferdchen nur die elementaren Grundlagen vermittelt.

Die Seepferdchen-Gutscheine seien "ja eine nette Sache", meint Wolfgang Dantl, "aber wenn es nicht genügend Schwimmlehrer gibt und auch nicht ausreichend freie Zeiten und freie Bahnen in den Bädern, dann bringt das wenig". Wütend macht ihn, dass die Staatsregierung seit Jahren weitgehend tatenlos dabei zuschaue, wie immer mehr Bäder in Bayern marode werden und irgendwann ganz geschlossen werden müssen. Es gebe im Freistaat "einfach zu wenige Schwimmbahnen für zu viele Schwimmer", sagt Wasserwacht-Chef Huber.

"Der Freistaat sollte die Kommunen dabei unterstützen", die Frei- und Hallenbäder zu sanieren und "am besten neue bauen", fordert Dantl. Doch das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben angesichts der wegen Corona leergespülten Kassen vieler Städte und Gemeinden.

Schon vor Corona war weitgehend Ebbe beim Neubau von richtigen Sportbädern. Natürlich gab es Eröffnungen von Plansch- und Wellnessthermen mit Rutschen und anderen Attraktionen. Aber ein richtiges neues Sportbad, mit einer 50-Meter-Bahn - das leistete sich im vergangenen Jahrzehnt nur noch die Stadt Ingolstadt. Und die gehörte zumindest bisher mit zu den reichsten im Freistaat. Für viele fränkische Kommunen sind solche Pläne illusorisch.

DK

Andre Paul