"Die Erinnerung an Franziska soll wachbleiben"

17.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:02 Uhr
Franziska aus Möckenlohe galt als aufgeschlossenes und fröhliches Mädchen. Sie wurde am Rathei-Weiher bei Neuburg-Zell ermordet, Reste einer Gedenkstätte finden sich noch am Ufer. −Foto: Richter/privat

Mehr als fünfeinhalb Jahre nach dem Mord an einer Zwölfjährigen aus Möckenlohe sind ihre Eltern noch immer schwer traumatisiert, jeder Tag ist eine Qual. Der gewaltsame Tod des Kindes hatte die gesamte Region erschüttert.

Eichstätt/Neuburg (DK) "Wir können diese Tragödie nicht mit Worten fassen", sagte Pfarrer Sebastian Bucher bei der Beerdigung der zwölfjährigen Franziska. Dieser Satz hat mehr als fünfeinhalb Jahre später noch immer Gültigkeit. Warum hat das Mädchen aus Möckenlohe im Kreis Eichstätt sterben müssen, so jäh und so grausam? Der Mörder hat nicht nur ihr Leben ausgelöscht, sondern eine ganze Familie traumatisiert. Normalität gibt es seit jenem verhängnisvollen 15. Februar 2014 nicht mehr. "Wir überleben jeden Tag", sagt Franziskas Vater Josef O. Seine Frau Bianca nickt.

Franziska ist ein aufgewecktes, fröhliches Mädchen gewesen. Es war ein Samstag, als die Zwölfjährige mit dem Rad die Freundin in Nassenfels besuchen und bei ihr übernachten möchte, wie sie es früher schon getan hat. Es gibt keinen Grund, ihr das zu versagen. Die drei Kilometer lange Strecke lässt sich in einer guten Viertelstunde meistern. Franziska kommt wohlbehalten an und verbringt den Nachmittag mit dem anderen Mädchen am Skaterplatz im Ort. Schon dort befindet sie sich im Visier ihres späteren Mörders. Stefan B. aus dem benachbarten Egweil, damals 26 Jahre alt und zuletzt in einer Neuburger Obdachlosenunterkunft lebend, sitzt in seinem grünen Toyota, hört laute Musik und beobachtet die Kinder. Ein früherer Schulkamerad sieht ihn dort und erkennt ihn zweifelsfrei wieder, wie er später angibt.

Kurz nach 17 Uhr macht die Zwölfjährige sich auf den Heimweg, sie will doch nicht bei der Freundin übernachten. Unterwegs bemerkt sie, dass der Fahrer eines grünen Autos ihr folgt. Die Sache ist ihr unheimlich, sie schreibt vier Whatsapp-Nachrichten an Freundinnen. "Ein grünes Auto verfolgt mich. Voll Angst", tippt sie ins Smartphone. Die Mitteilungen bleiben zunächst aber ungelesen. Das Fahrzeug von Stefan B. blockiert den Radweg nach Möckenlohe, rekonstruiert die Kripo später, etwa in Höhe einer Sitzbank. Engelsfiguren und ein Herz aus Holz erinnern bis heute an dieses Geschehen.

Der Mann verschleppt Franziska. Die Fahrt endet am Rathei-Weiher südlich von Neuburg-Zell mit der Vergewaltigung und dem grausamen Tod des Kindes. Die Details sollen an dieser Stelle nicht weiter Erwähnung finden, nur soviel: Zwei Angler entdecken die Tote am nächsten Tag, sie alarmieren die Polizei. Selbst hartgesottene Ermittler und Einsatzkräfte wenden sich entsetzt ab, als sie die übel zugerichtete Tote sehen. "Da musst du dich als Polizist und auch als Vater zusammenreißen, bei der Täterfestnahme nicht den Emotionen freien Lauf zum lassen", gesteht ein Fahnder. Der Verdacht war rasch auf Stefan B. gefallen, die Kripo durchsucht sein Zimmer in der Neuburger Obdachlosenunterkunft, trifft ihn dort und im Umfeld aber nicht an. "Eingang zur Hölle" heißt es an einer Schuppentür auf dem Gelände, ein makabrer Spruch angesichts des brutalen Geschehens ein paar Kilometer weiter. Als die Beamten wieder ins Auto steigen, fährt B. vor, erkennt die Lage und gibt Vollgas. Nach wilder Jagd klicken die Handschellen.

Der Mörder ist amtsbekannt, schon in der Schule galt er als Unruhestifter. "Haben wir versagt?", fragt sich einer seiner ehemaligen Lehrer. B. sei immer wieder aufgefallen, keiner habe etwas unternommen. Statt zu handeln, sei man froh gewesen, als er endlich die Schule verließ. "Für uns war der Fall erledigt. Weiterschieben ist aber kein probates und pädagogisch wirksames Mittel." Der selbstkritische Lehrer wird für seine Zivilcourage zum Schulrat zitiert.

Stefan B. bleibt eine gescheiterte Existenz, im Beruf fasst der gelernte Bäcker nie Fuß, gerät mit dem Gesetz in Konflikt, gibt sich oft völlig emotionslos. "Ich habe viele Tötungsdelikte mitgekriegt, aber dieser Fall war nur erschütternd", sagt Alfred Grob, damals Ingolstädter Kripochef und jetzt CSU-Landtagsabgeordneter. "Manche Menschen reflektieren im Nachhinein, was sie getan haben, und erschrecken selbst darüber. Aber hier war gar nichts, Stefan B. hat nicht den Anflug von Empathie gezeigt." Das Urteil am Landgericht Ingolstadt lautet auf lebenslange Haft.

Franziskas Eltern nennen den Mörder "das Monster", andere Bezeichnungen sind nicht unbedingt druckreif. Sie wünschen ihm die Hölle im Gefängnis, "das gibt uns eine gewisse Genugtuung, auch wenn es unser Kind nicht mehr lebendig macht". Verständliche Gefühle aus ihrer Sicht. Die Mutter von Stefan B. hatte früher Schafkopf mit Josef O. gespielt, sie hat ihm geschrieben und um Verzeihung gebeten. Der Kontakt ist abgebrochen. Die Ex-Freundin des Gewalttäters ist eine Kollegin von Bianca O. "Ohne die Kripo, den Eichstätter Polizeichef und das Kriseninterventionsteam wären wir damals untergegangen", erzählt der Vater. "Sie haben uns aufgefangen, wie unsere Freunde auch." In der Arbeit bei Audi habe man ihm alle Zeit gegeben, die er brauchte, und ihm intern eine andere Stelle angeboten. "Dort finde ich viel Verständnis."

Andere reagieren mitunter hilflos im Umgang mit den Eltern. "Da gehst du in die Bürgerversammlung und 80 Leute verstummen, sobald du den Raum betrittst", sagt Josef O. "Manche meinen, dass es nach über fünf Jahren genug mit der Trauer sein muss", erzählt seine Frau. Wenn es nur so einfach wäre! Jeder Gedanke an die Tochter ist ein Stich direkt ins Herz. So sind Bianca und Josef O. seit dem 15. Februar 2014 zahllose Tode gestorben.

"Wir quälen uns jeden Tag auf die Beine." Schlafen ohne Tabletten? Geht nicht. Noch immer muss das Ehepaar einmal im Monat zur Psychotherapie, die Zukunft erscheint grau, ohne Perspektive. "Franziska Ich komme bald" hat der Vater sich auf den Unterarm tätowieren lassen, bei der Mutter steht da in Kurzform "Franziska Ikb". Beide tragen ein Porträt des Mädchens am Oberarm, sie haben es sich heuer stechen lassen. Sie werden ihr Kind wiedersehen, im Jenseits, davon sind beide fest überzeugt. Ins Hier und Jetzt kehrt die Tochter nicht mehr zurück, deshalb bleibt den Eltern nur ein Wunsch: "Die Erinnerung an Franziska soll wachbleiben!"

Horst Richter