München
Die enttäuschte Königstochter

Beeindruckende Aufführung der "Schwester von" im Metropoltheater

29.11.2019 | Stand 02.12.2020, 12:29 Uhr
Lange hat Ismene (Sophie Rogall), die "Schwester von" Antigone, gewartet, ausgeharrt zwischen Leben und Tod. Nun erzählt sie ihre Version der Familiengeschichte. −Foto: Turmes

München (DK) Ihre knallroten Lippen leuchten im bleichen Gesicht, Angst und Furcht verströmen ihre blitzenden Augen.

In ein langes Kleid in Trauerschwarz ist sie gewandet und mit einem schwarzen Tuch sind ihre Haare gebändigt. Ihre muskulösen Arme hat sie wie die Flügel eines Adlers ausgebreitet, der sich gerade anschickt, auf seine Beute sich zu stürzen: Sie ist Ismene, die Tochter der Jokaste und des Ödipus und leidet darunter, die Titel gebende jüngere Schwester der berühmten Antigone zu sein.

"Die Nummer 1" sei Antigone stets in der Hierarchie des Familienclans gewesen, stellt Ismene mit Verärgerung fest, dabei habe doch sie sich über das grausame Urteil ihres Onkels Kreon hinweggesetzt, dass der Leichnam ihres Bruders Polyneikes außerhalb der Stadtmauern verwesen soll. Sie hat ihn in die Stadt zurückgeholt und ihn würdig bestattet. Sie war die unangepasste Powerfrau in Thebens Labdakiden-Geschlecht und blieb doch - wie sie beklagt - in der Realität und in der Trilogie des Dramatikers Sophokles mit "Ödipus", "Ödipus auf Kolonnos" und "Antigone" samt all der Folgedramen nur das Aschenputtel.

Undank ist der Welten Lohn und ihr Familienclan ist sowieso nur "ein Haufen Verrückter", wie sie feststellt: Ödipus erschlägt seinen Vater Laios und heiratet seine Mutter, bevor er sich die Augen aussticht, Mutter und Sohn haben ein inzestuöses Verhältnis und sie erhängt sich an einem Strick. Ihre Schwester folgt der Mutter nach und begeht Selbstmord, nachdem sie von ihrem Onkel eingemauert wurde, während ihre Brüder in dem von ihnen angezettelten Bürgerkrieg sich gegenseitig umbringen. Welch eine Familie!

Großes Mitleid und viel Verständnis hatte die niederländische Autorin Lot Vekemans jedenfalls mit dieser enttäuschten, vom Leben und im Nachruhm zu kurz gekommenen Königstochter und verfasste einen Monolog als späte Hommage auf diese mutige und selbstbewusste Frau im Schatten. Domagoi Maslov inszenierte Ismenes intensiven Ruf nach Anerkennung mit gebremstem Pathos und viel Empathie für dieses Geschöpf der griechischen Mythologie in dem von der Fachzeitschrift "Die Deutsche Bühne" innerhalb der letzten Jahre vier Mal als "Bestes freies Theater im deutschsprachigen Raum" gekürten Münchner Metropoltheater. Und Sophie Rogall verleiht dieser Figur großartig Kontur und Stimme: Verbittert, aber nie verbiestert, beklagt sie Ismenes Schicksal, prangert wütend den Hochmut und die Zurückweisung durch die Sippschaft an und offenbart eindringlich die beschädigte Seele der "Schwester von". Aber sie berichtet auch mit berechtigtem Stolz über ihre Erfolge, die von ihrer Verwandtschaft freilich nicht anerkannt wurden, und blickt trotz aller Schicksalsschläge hoffnungsvoll nach vorne. Und doch resümiert sie resigniert: "Keine Zukunft, nur Vergangenheit. "

Eine beeindruckende schauspielerische Leistung in dem mit Devotionalien aus den 1950er-Jahren, von den Tütenlampen über Wählscheibentelefone bis zur ersten Generation der Fernseher, herrlich bestückten besten Off-Off-Theater Münchens.

ZUM STÜCK
Theater:
Metropoltheater, München
Regie:
Domagoi Maslov
Dauer:
Eine Stunde
Nächste Vorstellungen:
3., 4., 9., 10. und 13. Dezember
Kartentelefon:
(089) 32 19 55 33